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Die große Erfindung des Julius von. B.

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Julius hat etwas erfunden, das man nicht in einem Satz erklären kann. Das ist erst mal nichts Besonderes, denn Julius studiert an der Berliner Universität der Künste in der „Digitalen Klasse“ von Professor Sauter. Die meisten Arbeiten, an denen in der Fakultät Gestaltung an diesem Nachmittag im Juli kurz vor den Klassenausstellungen geschraubt wird, sind schwer zu erklären. Aber das ist es nicht. Julius ist der Einzige hier, der die Umgebung prüft, bevor er den zweiten, noch geheimen Prototypen aus einem kleinen Rollkoffer zieht. Er ist der Einzige, auf dessen Email-Konto täglich Post von Agenturen eingeht, die sehr viel Geld für seine Erfindung bieten. Oder von fremden Menschen, die ihn einen Terroristen nennen. Der er nicht ist. In den meisten Mails steht: Du bist ein verdammtes Genie. Das ist er. Julius’ Erfindung ist weit mehr als Kunst. Und sie ist dabei, ihren Erfinder aufzureiben. „Ich würde gerne etwas anderes machen, aber das Ding beschäftigt mich sicher noch mal zwei Jahre“ sagt er und dann: „Ich brauche eigentlich ein Team, oder eine Stiftung, die mir helfen.“ Leicht verzweifelt wiegt er dazu den Rollkoffer in der Hand. Er nimmt sich jetzt erst mal einen Anwalt, er ist jetzt erst mal 24.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die große Idee hatte Julius mit 22. Im November 2006 schrieb er die Pläne dazu in sein Notizbuch, in dem schon andere Werke ihren Anfang nahmen, mit komplizierten Bauplänen zumeist. Julius hatte in der Schule die Leistungskurse Physik und Kunst und das ist es bis jetzt für ihn geblieben: Physik und Kunst, in welcher Reihenfolge, das kann er nicht genau sagen. Julius erfindet damals also, kurz vor Weihnachten, den Fulgurator, von dem er noch nicht weiß, dass er so heißen wird, von dem er aber schon weiß, dass er funktionieren wird. Es soll ein Gerät sein, das aussieht wie eine Kamera, die aber keine Bilder von der Umgebung aufnimmt, sondern der Umgebung ihre eigenen Bilder aufdrückt. Eine Art Rückwärtskamera, aber das trifft es nicht ganz, es ist, wie gesagt, nicht in einem Satz zu erklären. Vorsprung durch Technik Julius schraubt an das Gehäuse seiner alten Spiegelreflex einen Blitzsensor, der erkennt, wenn in der Nähe ein anderes Blitzgerät ausgelöst wird. Den koppelt er mit dem Auslöser. Hinter der Filmklappe befestigt er einen weiteren Blitz und dort, wo eigentlich ein Film eingelegt wird, setzt Julius spezielle Schablonen ein, die ein wenig aussehen wie Dias. Der Blitz knallt von hinten in die Schablone und wirft das Schablonenbild durch ein normales Objektiv an die Wand, wo es für ein paar Millisekunden zu sehen ist. Soweit die Physik. Für die Kunst stattet Julius den ersten Fulgurator noch mit einem Pistolengriff aus. Er will damit auf andere Fotos schießen. 2007 nimmt er den „Apparat zur minimal-invasiven Manipulation von Fotographien“ in Betrieb, wie der Fulgurator heißt, wenn Zeit ist. Julius stellt sich damit neben die Touristen am Checkpoint Charlie. Der Blitz ihrer Kamera löst via Sensor im gleichen Moment den Fulgurator aus, der den Checkpoint ganz kurz stempelt. Seine Schablonen-Botschaft steht einen Wimpernschlag lang in der Welt und die Touristen haben sie fotografiert. Sie starren auf die Displays ihrer Kamera, auf denen eine Botschaft zu sehen ist. Sie starren an die Mauer, wo nichts zu sehen ist. Sie zweifeln an der Wirklichkeit. Was stimmt – ihr Fotoapparat oder ihre Augen? Verstörender kann Kunst nicht sein. „Es hat sofort funktioniert“ sagt Julius, er sitzt jetzt auf einer Bank im Garten der Fakultät. Ein schwarzes H&M-Sakko schlackert um seinen Körper. Julius ist sehr schmal, aber trotzdem auffällig, seinen Bart zum Beispiel hat er noch nie rasiert. Der wächst ihm langschwarz und buschig einen halben Meter vom Kinn weg und von oben kommen noch ziemlich viele Haare dazu. Warum so? „Ich mag es, wenn die Leute grinsen tun, wenn sie mich sehen.“ So spricht Julius, benutzt oft „tun“, stottert wenn es schnell gehen muss. Er ist Legastheniker. Sprache, das gibt er gerne zu, geht eigentlich gar nicht bei ihm. Aber dafür kann er Geräte erfinden, die man „so schon vor 40 Jahren hätte bauen können.“ Es ist nur vor Julius niemand darauf gekommen. Auf der nächsten Seite: Der Fulgurator im Einsatz!


Als Julius seinen Dozenten von dem geglückten Experiment erzählt, hören sie erstaunt zu. Einer rät, ein Patent anzumelden, was Julius auch macht, eine langwierige Prozedur. Julius schickt Bauskizzen und Erklärungen. Und weil er sie nun schon erstellt hat, reicht er sie auch noch beim Wettbewerb der Ars Electronica ein und stellt Skizzen und Bilder auf seiner Homepage aus. Den Preis, eine Art Oscar für Computerkunst, gewinnt er, der Patentantrag geht durch. Die Veröffentlichung auf seiner Homepage war hingegen zu früh, wie er heute sagt, denn seitdem füllt sich seine Mailbox zuverlässig wie eine Sanduhr. Eine Welle von Blogeinträgen befasst sich umgehend mit dem Fulgurator, ein Blogger schreibt vom anderen ab, die wenigsten verstehen, worum es geht. Schließlich bleibt oft nur das Bild übrig, das Julius als martialischen Fulgurator-Aktivisten zeigt. Die meisten Blogleser halten den Bärtigen mit seiner Foto-Pistole für einen Scherzkeks. Manche hassen ihn vorsichtshalber, weil er ihre Urlaubsbilder bedroht, ein paar US-Amerikaner nehmen sein Äußeres zum Anlass und halten ihn für einen Terroristen. Julius spricht von sich selbst als von einer Art Hacker. Fulgurieren ist, und das macht einen guten Teil der Faszination aus, ein analoger Hack. Julius bearbeitet Fotos nicht mit Botschaften nach, wie es viele seiner Künstlerkollegen machen, er ist viel weiter: Julius verändert die Wirklichkeit. Seine Botschaften und Signale sind eine Millisekunde lang Tatsache, dann sind sie wieder weg. Julius zaubert.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Und so sieht der Fulgurator in Einzelteilen aus. Auf die Blogeinträge hin melden sich erste Werbeagenturen. Sie wittern im Fulgurator das perfekte Werkzeug für Guerilla-Marketing. Logos ihrer Kunden während eines Events auf die Kameras der Fotografen zu zaubern – ein Traum. Sie bieten Julius Geld, jeden Tag mehr, aber der lehnt ab. Viel zu gefährlich, den Fulgurator schon aus der Hand zu geben, Julius ist noch lange nicht fertig. Die Möglichkeiten werden auch dem Erfinder erst langsam bewusst. Er baut den zweiten, geheimen Prototypen, leistungsstärker und mit besseren Objektiven. Damit kann er auch über weitere Entfernungen fulgurieren. Julius geht zum Reichstag und wirft eine Schablone von Philipp Scheidemann genau an den Balkon, auf dem der Reichskanzler vor 90 Jahren die Republik ausgerufen hat – ein legendäres Bild. Julius bringt es zurück, zumindest für die paar Besucher, die mit ihm fotografieren. „Normale Kameras nehmen sich die Bilder, ich gebe sie wieder her.“ Er schießt Markenlogos auf das Brandenburger Tor, die Touristen wundern sich, dass das Wahrzeichen von Berlin jetzt auch einem Konzern gehört. Julius geht zu den Empfängen von Hollywood-Stars und fulguriert, aber er hat auch Angst. Die Pressefotografen, deren Bilder er verändert, könnten ihn verklagen. Die Prominenten, denen er seine Botschaften aufs Abendkleid brennt, auch. Überhaupt ist das mit den Botschaften so eine Sache. Nicht genug, dass er ein Gerät erfunden hat, dass er Fotokunst produziert, die Wirklichkeit verändert und die Menschen zum Staunen bringt, nein, Julius kann damit auch Parolen verbreiten. Nur welche? „Ich bin ein politischer Mensch, aber das ist, sagen wir mal, nicht meine Hauptbeschäftigung.“ Als Präsident Bush zu Besuch kommt, schneidet Julius eine Schablone mit dem Abzeichen „Skull & Bones“, um an die studentische Verbindung Bushs zu erinnern. Später setzt er probeweise mit fulgurierten Flammen das Reichstagsgebäude wieder in Brand. Geld, Macht, Kunst Es melden sich auch die ersten Zeitungen, Wired und der Boston Globe aus den USA und ein Magazin aus Russland. Der russische Reporter kann vor allem nicht glauben, dass Julius keinen Künstlernamen trägt. Julius heißt mit Nachnahmen von Bismarck, er ist, mit ein paar „Ur“- dazwischen, Großneffe des berühmten Otto. „Kaum Künstler in der Familie. Und leider auch kein Schloss in Sicht“, sagt Julius zu diesem Stammbaum. Sein Bruder immerhin ist Physiker. Mit ihm bespricht Julius manche Projekte. Die Werbeagenturen fangen an zu nerven. Sie fragen, wofür Julius den Fulgurator theoretisch hergeben würde, Greenpeace vielleicht? Julius denkt im Fakultätsgarten noch mal darüber nach. Auf jeden Fall würde er den Fulgurator für einen guten Zweck einsetzen, aber es müsste eine große, am besten eine weltumspannende Aktion sein, durchdacht. Aber zum Durchdenken hat Julius eben überhaupt keine Zeit, seit es den Fulgurator gibt. Das aktuelle Semester setzt er aus, um konzentrierter mit dem Gerät arbeiten zu können, er hat jetzt jede Woche Termine, fulguriert bei Politiker-Treffen, Premieren, Konferenzen. Ein gewisses Problem besteht darin, dass er nicht genau weiß, wie effektiv er dort arbeitet. Schließlich kann er nicht auf die Apparate der Fotografen schauen. Ein anderes Problem ist Geld. Er braucht es, nicht nur um bessere Objektive zu kaufen, er muss sich auch rüsten, falls es zu Patentstreitigkeiten kommt, falls andere den Fulgurator nachbauen. Das könnte schnell sehr teuer werden. Woher aber soll Geld kommen, ohne die Kontrolle über den Fulgurator aus der Hand zu geben? Ohne alle Fotos, die mit Blitz geschossen werden, angreifbar zu machen? Für Galerien eignet sich der Fulgurator nicht recht. „Vielleicht“, denkt Julius laut „baue ich auch in Handarbeit ein paar Apparate und verkaufe sie dann.“ Die höchste Summe bietet ihm gerade ein Porno-Produzent aus Hollywood, der den Fulgurator in der Paparazzi-Szene verwenden will. Wofür genau, weiß Julius nicht. Er steht jetzt im Keller der Akademie an einem Lasercutter, es riecht nach weichem Plastik. Julius schneidet eine neue Schablone, ein christliches Kreuz, das er zu Demonstrationszwecken auf das Hemd des Reporters fulguriert. Wenn man fulguriert wird, kommt einem kurz ein hellweißer Fleck entgegen. Auf dem Bild der normalen Kamera, die ein Kommilitone bedient hat, ist das Kreuz flammend hell auf dem Hemd zu sehen. Nicht schwer vorzustellen, welchen Effekt das an anderen Orten hätte. Julius hat große Pläne. Er will mit dem Fulgurator verreisen und ihn in anderen Ländern für Meinungsfreiheit einsetzen, er will später ein Buch über seine Erfindung schreiben, er will vielleicht doch noch die klassischen Türen des Kunstmarkts einrennen, er will und muss so vieles, seit er das Geheimnis im schwarzen Rollkoffer hat. Und gleichzeitig hat Julius von Bismarck schon wieder neue Ideen im Notizbuch. Geheim allesamt, er sagt nur: „Denk an die Sonne. Damit wurde noch kaum kreativ gearbeitet.“ Dann packt er den zweiten Prototypen ein und muss weiter, Sakko und Bart flattern dunkel. Ein bisschen unheimlich wirkt er so, unter seinen bunten Kommilitonen. „Ich finde es schön hier“, sagt er auf dem Weg zur Tür, „also dass ich vorrangig als Künstler denken darf und von dieser Seite an die Physik herangehen kann.“ Später, als die Rollen des Koffers auf dem Gehweg der Grunewaldstraße klappern, bleibt er noch mal stehen und sagt: „Schön schon. Aber ich würde auch gerne bei der nächsten Marsmission mitmachen.“ Mehr: juliusvonbismarck.com Auf den nächsten Seiten Bilder vom Fulgurator!


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Julius war auch bei Obama. Mit dem Fulgurator schießt er ihm ein Kreuz ans Rednerpult - ein Bild, das einige Fotografen mit nach Hause nehmen werden.


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Illustration: Julia Schubert

Fulgurierte Flammen an einem Fenster im Reichstagsgebäude.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Tut gar nicht weh - Max mit Kreuz, das in echt nicht zu sehen war.

Text: max-scharnigg - Fotos: v. Bismarck, Richard Wilhelmer

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