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Nachhilfe: Zwei Berliner Rapper machen aus Unterrichtsstoff Liedtexte

Ein Lernrezept aus dem Musiklabor
Text: max-scharnigg
Robin Haefs, 27, sitzt auf einem schwarzen Ledersofa und guckt ein bisschen düster, so wie man das von einem Rapper erwarten würde. Daneben sitzt sein drei Jahre jüngerer Kollege Vincent Stein, aber der versucht erst gar nicht, einen auf böser Junge zu machen, und strahlt über das ganze Gesicht. "Wir mögen Kinder", sagt er, "deshalb machen wir das auch."








Haefs und Stein haben eine CD aufgenommen mit "authentischem Hip-Hop", wie sie sagen, aber sie setzen sich mit ungewöhnlichen Themen auseinander. Sie vertonen Unterrichtsstoff. Die Songs finden sich auf ihrer CD mit dem Titel "Rapucation": Klimawandel, europäische Geschichte und Biologie-Wissen in Versen, unterlegt mit harten Beats. In den Berliner Medien werden Haefs und Stein seither "die Photosynthese-Rapper" genannt, was die beiden aber nicht gerne hören. "Wir sind schließlich ernstzunehmende Musiker", sagt Haefs.



In der Musikszene sind die beiden tatsächlich keine Unbekannten: Stein arbeitet als Produzent mit dem Popduo "Ich und Ich" und mit Teenie-Schwarm Jimi Blue. Haefs brachte unter dem Pseudonym Mad Maks schon ein eigenes Album heraus. Dass die beiden nun für die Rapucation-CD die Schulbücher hervorgekramt haben, erklärt Haefs mit der Suche nach einem Thema für seine Abschlussarbeit an der Uni. "Ich wollte irgendwas Sinnvolles machen", sagt er, und dass er schon seit vielen Jahren kurze Raps für Werbekunden entwickle. "Da dachte ich, das klappt bestimmt auch mit Sachen, die sich die Kinder in der Schule so schwer merken."





Gemeinsam mit Stein nahm er dann die CD auf. Das sei ziemlich viel Arbeit gewesen. "Es ist ja nicht so, dass du noch genau im Kopf hast, wie die Photosynthese eigentlich funktioniert." An elf Berliner Grundschulen wurden die CDs dann verteilt. Anerkennung gab es nicht nur von Eltern, sondern auch von Lehrern. Was die Musiker aber am meisten freut: Auch Schüler gaben dem Projekt gute Noten. Sogar Kinder, die Rap nicht mochten, konnten der Musik plötzlich etwas abgewinnen.



Der erste Teil der Doku über das Rapucation-Projekt:







Rapucation-Songs sind als Eselsbrücken gedacht. Im Unterricht gibt es leider immer noch viele Fakten, die man auswendig lernen muss, sagt Haefs. Und er ist überzeugt, dass seine Sprechmusik dabei helfen kann. Um den Lernerfolg zu testen, ließ er bei dem Schulprojekt einige Kinder in verschiedene Gruppen einteilen: Einige bereiteten sich mit Arbeitsblättern auf einen Test vor, andere mit der Rapucation-CD, eine dritte Gruppe trat ohne Vorbereitung zur Prüfung an. Das Ergebnis: Die Schüler lernten mit der CD genauso gut wie mit den Arbeitsblättern. "Und das, obwohl sie den Umgang mit der CD ja gar nicht gewöhnt waren", sagt Stein.



Lernen durch Musikhören? Das klingt verlockend. Doch Marianne Demmer, die bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) für den Bereich Schule zuständig ist, hat da ihre Zweifel. Kinder würden Jahreszahlen, die sie beim Musikhören gelernt haben, nicht zwangsläufig auch im Geschichtsunterricht nutzen, erklärt sie. Denn Menschen speicherten das Wissen immer so ab, wie sie es erworben haben. "Der erwünschte Transfer von Fakten in eine andere Situation gelingt nicht ohne Unterstützung eines Lehrers", sagt Demmer. Grundsätzlich hält sie Unterricht für wünschenswert, bei dem die Kinder und Jugendlichen selbst aktiv mitmachen können. "Wenn Schüler mit Herz, Hand und Verstand lernen, prägen sie sich alles besser ein", sagt die Grund- und Hauptschullehrerin. "Die Schüler sollten am besten selbst Raps schreiben und dann musikalisch verarbeiten."



Kinder schreiben eigene Songs



Genau daran arbeiten momentan auch Robin Haefs und Vincent Stein. Sie wollen ihr Musikprojekt nach der ersten Testphase noch weiterentwickeln, um es im Schulbetrieb besser unterzubringen. Von kommenden Januar an wollen die beiden Berliner Musiker beispielsweise Workshops für Schüler anbieten. Dort könnten die Kinder dann lernen, selbst Rapsongs zu schreiben und zu singen, sagt Vincent Stein. Außerdem würden sie derzeit mit Schulbuchverlagen verhandeln, ob und wie sich ihre Idee weiter verwerten lasse.



Ob sie nicht Angst haben, sich mit den Schüler-Raps ihr Image als harte Rapper zu verderben? "Was interessiert mich Image? Ich scheiß' auf mein Image", sagt Robin Haefs und guckt wieder so finster wie zu Beginn des Gesprächs. Die Reaktionen seien doch bis jetzt positiv gewesen, sagt sein Kollege. Robin Haefs rutscht jetzt auf dem schwarzen Sofa ein Stück nach vorne. "Wir sagen einfach: Hier, Kleiner, da hast du ein bisschen Bildung, dann hast du 's vielleicht ein bisschen leichter im Leben", und fügt noch hinzu: "Ich weiß echt nicht, was daran uncool sein soll."



ANGELIKA SLAVIK

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