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Das Problem ist das Geben

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Dass man nur mit Fleiß, harter Arbeit und guten Zeugnissen im Leben nicht allzu weit kommt, dürfte mittlerweile zu jenen Weisheiten gehören, die man schon nicht mehr hören kann. Zum beruflichen Fortkommen gehört nämlich – Eltern und anderen klugen Ratgebern zufolge – der persönliche Einsatz beim Netzwerken. Netzwerken war früher einmal zwielichtigen Organisationen wie der Verbindung „Skulls&Bones“ in den USA vorbehalten, die sich dadurch auszeichneten, dass ihre Existenz immer bestritten wurde und die Gerüchte um sie recht abenteuerlich klangen (George W. Bush zum Beispiel war bei den „Schädeln&Knochen“ dabei). Heute steht Netzwerken jedermann offen und das Handwerk hat sich zu großen Teilen ins Internet verlagert. Weil es da aber immer so anonym vonstatten geht, werden in regelmäßigen Abständen in jeder größeren Stadt und in jeder Branche, die etwas auf sich hält, sogenannte „Networking-Partys“ veranstaltet. Diese Veranstaltungen funktionieren fast immer nach demselben Prinzip: Man verspricht im Vorfeld den Teilnehmern, dass sie von diesem Treffen nur profitieren können, sperrt sie dann in einen Raum, stellt Schnittchen und Getränke zur Verfügung und wartet ansonsten ab. Im Prinzip ist an derlei Veranstaltungen nichts auszusetzen. Es ist unbestritten nützlich, sich aktiv um sein berufliches Fortkommen zu kümmern. Es ist auch wichtig, sich nie auf den aktuellen Job zu verlassen, sondern sich schon mal prophylaktisch nach anderen Möglichkeiten umzusehen, sollte auch die eigene Firma anfangen, auszusortieren. Es gibt nur ein Problem beim Netzwerken: Es besteht aus zwei Komponenten. Die eine heißt „Nehmen“ und die andere, ja, „Geben“! Weil man so sehr mit Tagträumen über mögliche positive Folgen solcher Treffen beschäftigt ist, blendet man den Faktor „Geben“ so lange aus, bis kommt, was immer kommen muss: Man wird angegraben. Und weil man selbst normalerweise nicht gerade zu den Global Players der Wirtschaft gehört (warum sollte man dann auch zu so einer Veranstaltung gehen?), sind die Angraber ausgerechnet jene, die man beim Überblicken des abendlichen Angebots als „unwichtiges Füll-Volk“ abgetan und ignoriert hat. Schließlich ist man vor Ort, um sich selbst weiterzubringen und nicht, um anderen unter die Arme zu greifen. Und überhaupt: Sieht man so aus wie Mutter Theresa?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kontakte knüpfen und pflegen mag wichtig sein, um dem eigenen Fortkommen auf die Sprünge zu helfen. Oft ist die Netzwerkerei aber mehr nervig als nützlich. Die Angraber gehören fast immer zu zwei Gruppen. Die eine firmiert unter dem Titel „ambitionierte Kleinkünstler mit übersteigertem Sendungsbewusstsein“. Die andere lässt sich unter den Begriff „streberhafte Berufsanfänger mit Drang zur Vielrednerei“ einordnen. Beiden gemein ist, dass sie die Gabe perfektioniert haben, ihr Opfer gleichzeitig in eine Ecke zu drängen und es dabei in eine katatonische Starre zu labern. Da steht man also in einer Ecke, ein Glas Wein in der einen, ein öliges Stück Fingerfood in der anderen Hand und hört sich beständig nickend die Geschichte von diesem Projekt an, das so erfolglos enden wird, wie all die anderen Projekte dieser Art, die schon an einem vorüber gezogen sind. Weil man aber ein höflicher und zur Lethargie neigender Mensch ist, fährt man dem Redner nicht gleich über den Mund und schickt ihn weg, sondern hört sich trotzdem weiter an, was der zu sagen hat. Währenddessen sieht man aus dem Augenwinkel, wie sich all die Menschen, die man für potentielle Netzwerk-Kandidaten hielt, miteinander unterhalten und dabei so aussehen, als hätten sie eine ausnehmend gute und beruflich vielversprechende Zeit. Punkt 22 Uhr verlassen diese Sonnenkinder dann mit einem Stapel Visitenkarten das Speiselokal und mit ihnen verschwindet die glänzende Zukunft, die man vorher erträumt hatte. Eine Stunde später hat man sich dann endlich aus dem Belagerungs-Zustand befreit, kippt den letzten Schluck Weißwein, entschuldigt sich halbherzig bei den Umstehenden und stopft die Zettel in die Hosentasche, die die Belagerern gereicht hatten. Traurig und mit einem schlechten Bauchgefühl geht man nach Hause und legt sich ins Bett. Und sobald man am nächsten Morgen den Computer einschaltet, bestätigt sich das schlechte Gefühl nur, als man die fünf Mails sieht, die alle eine ähnliche Betreff-Zeile haben („Unser nettes Gespräch gestern“) und auch denselben Inhalt: Ob man denn jetzt mal konkret und mit allen verfügbaren Mitteln mithelfen könne, dieses irre spannende Sache voran zu bringen. Das wäre super. Und man würde sich dann am Nachmittag noch mal per Telefon melden. Ja, genau, super!

Text: penni-dreyer - Illustration: Katharina Bitzl

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