Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Bist du zufällig in der Gegend?" Ein Nachruf auf das Date

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Neulich, gegen ein Uhr nachts in einer Bar: Das Handy einer Freundin machte Piep. Ein Typ, den sie ganz gut fand, hatte ihr folgende SMS geschickt: „Ich bin in der Bar XY was trinken. Bist zu zufällig in der Gegend?“ Die Botschaft zwischen den Zeilen war nicht schwer zu enträtseln. Die Art, sie vorzubringen aber auch nicht sonderlich einladend. Trotzdem wechselten wir die Bar. Auf dem Weg dorthin fragten wir uns, wann das letzte Mal eine Beziehung oder eine Affäre mit einem fest verabredeten Stelldichein angefangen hat. So mit geplanter Unternehmung und tagelanger Vorfreude. Da dämmerte es uns: Das Date ist tot. Als es noch Bestandteil eines normalen Wochenendes war, folgte ein Date einer gewissen Dramaturgie. Über den Ablauf herrschte stillschweigendes Einvernehmen: Ansprechen, Nummer austauschen, zwei Tage später anrufen, Date am Wochenende klarmachen, Programm starten. In den USA, dem Mutterland der Dating-Kultur, küsst man nicht beim ersten Date und schläft frühestens nach dem dritten miteinander. Das europäische Drehbuch beinhaltete einige Abweichungen, das Rendezvous war aber in jedem Fall für beide Beteiligte als solches erkennbar. Der klassische Weg einer Annäherung begann mit einem gemeinsamen Kinobesuch. Drohte, der Abspann zu nahen und die Hände waren immer noch zentimeterweit voneinander entfernt, wusste man, dass demnächst etwas passieren musste. Der zweite Klassiker: Essen gehen. In trauter Zweisamkeit versuchte man, seinen Thai-Curry im Mund zu behalten und währenddessen sich verkrampft die Neuerscheinungen auf dem Musikmarkt vorzutragen. Ob die Konversation auf Autopilot lief oder die Floskeln auswendig gelernt waren („Ich mochte von Coldplay nur das Parachutes-Album“), war nicht wichtig. Wichtig war das, was später kam. Und wenn der andere keinen Totalschaden hatte, kam da in der Regel auch was.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dates gaben dem Prozess der gegenseitigen Annährung eine feste Struktur, an der man sich ranhangeln konnte. Sie bauten ein Fundament für das, was noch folgen sollte. Fürchterlich berechenbar im Voraus, bisweilen grauenhaft unnatürlich in der Umsetzung. Auf solchen Treffen lastete immenser Druck, Erfolgsdruck. Ein Freund von mir redet sogar von Bringschuld, die er empfand, wenn er das Gefühl hatte, dass sein Gegenüber anfing zu gähnen. Längst ist die manifeste Absicht, die hinter so einer offiziellen Verabredung steckt, einer indifferenten Wurstigkeit gewichen, die uns überallhin begleitet, sei es bei der Berufswahl oder bei der Frage, was man von der Karte bestellen soll. Gerade im zwischengeschlechtlichen Bereich hat sich undefinierbares Herumeiern als eine bequeme und sehr praktikable Haltung erwiesen. Die Tür, die einst ins Haus fiel, öffnet man nur noch sehr langsam – immer mit der Option im Hinterkopf, sie bei Bedarf schnellstmöglich wieder zuknallen zu können. Zum Beispiel teilt man dem Objekt der Begierde mit, dass man mit Leuten unterwegs ist, es gerne aber noch „dazustoßen“ kann - im Dunstkreis seiner Freunde verfügt man immer über ein Sicherheitsnetz, das eventuelle Pannen abfedert. Oder: Anstatt anzurufen, was einer Selbstentblößung nahekommen wurde, taktiert man sich in einer langwierigen Prozedur mit SMS und Skype-Nachrichten zu einem Treffen hin, das nach außen weiter den Schein des Beiläufigen wahren soll. An dieser Stelle fällt es wirklich schwer, nicht in die redundante Handy-Schimpf-Falle zu tappen. Ständige Erreichbarkeit schafft eben die Notwendigkeit ab, offen kund zu tun, was im Schilde geführt wird. Man kann mal schauen, nachher durchklingeln, vielleicht noch vorbeikommen. Wenn der andere am Apparat auf den Standardopener „Was machst du später so?“ nicht mit „Nichts wirklich. Wieso fragst du?“ antwortet, sondern tatsächlich wichtige Beschäftigungen aufzählt, wird man eher nicht eine baldige Zusammenkunft vorschlagen. Analog zur grassierenden Dating-Verkrampfung erzielen Balz-Sendungen wie „Bauer sucht Frau“, „Flavor of Love“ oder „The Bachelor“ exorbitante Einschaltsquoten. In Hollywoodfilmen wie „Der Date Doktor“ sollen Profis Abhilfe schaffen. Online-Dating wird, wenn man dahergelaufenen Studien Glauben schenken darf, irgendwie salonfähig. Die Spielregeln, die aus dem Alltag verschwinden, tauchen umso grotesker in der virtuellen und inszenierten Welt wieder auf. In zugespitzten Datingshows und „originellen“ Datingparties kanalisiert sich also letztendlich die eigene Hilflosigkeit und Unsouveränität. Sicherlich entritualisiert sich das Liebesleben mit zunehmender Erfahrung. Ob der Sex nach dem ersten Date stattfindet, oder das Date nach dem ersten Sex, ist eigentlich auch egal. Vielleicht ist es die Ungeduld. Wer seine verflossenen Beziehungen wie Altlasten mit sich herumschleppt, wird in einem neuen Anlauf außerdem zögerlicher sein, seine Absichten offen kund zu tun. Vielleicht ist es also die Vorsicht. Vielleicht liegt es auch am Zuständigkeitsvakuum, das entstanden ist, seitdem der allgemeine Konsens nicht mehr vorschreibt, dass Männer den ersten Schritt machen müssen. Oft sind es auch einfach schlechte Manieren. Ich habe vor einiger Zeit mal abends jemandem meine Nummer gegeben. Angerufen hat er nicht. Ein paar Tage später kam eine Benachrichtung per Email, dass mich wer auf StudiVZ ankontaktiert hat. Ich wurde gegruschelt, um genau zu sein. Wir haben uns nicht getroffen.

Text: xifan-yang - Illustration: Katharina Bitzl

  • teilen
  • schließen