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Haare ab!

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Im Feminismus ist zur Zeit ja einiges los, er erlebt eine regelrechte Renaissance: Charlotte Roche erforscht und verbalisiert in ihrem Buch „Feuchtgebiete“ die Ekel-Abgründe des weiblichen Körpers und wird damit stinkreich. Die Alphamädchen sagen, dass auch Männer vom neuen Feminismus profitieren, und Lady Bitch Ray thematisiert unermüdlich das weibliche Geschlechtsteil. Nicht dass man daran irgendetwas schlecht finden könnte: Moderne Männer wollen emanzipierte Frauen, und sie können sich gut vorstellen, die eigene Karriere zurückzustellen, wenn die der Frau gerade durch die Decke geht. Feminismus muss auch immer ein bisschen anstrengend sein. Das müssen gesellschaftliche Erneuerungen immer sein, sonst ändert sich nichts. Deswegen war auch das Girlietum der Neunziger kein echter Feminismus, sondern seichter Pop. Nur: was hat Feminismus mit Haaren zu tun?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Emanzipierte Frauen haben Haare. Das alleine wäre nicht so schlimm. Nur haben Feministinnen auch Haare zu haben, zwischen den Beinen, und am besten überall. Je mehr Haare, desto emanzipierter, so die feministische Suggestion. Ohne diese condition sine qua non wird überhaupt erst nicht diskutiert. Wer unbehaart ist, oute sich damit als Opfer eines raffinierten kapitalistischen Apparates, mit Hilfe dessen die Pornobranche nach und nach den letzten Hort menschlicher Intimität erobert. Und wo der Markt regiere, da gehe es ohnehin schnell amoralisch und vor allem unmoralisch zu. In der Januar-Ausgabe der EMMA schimpfte Regula Stämpfli: „Kindermösen an erwachsenen Frauen sind also nicht einfach chic, hip, Mode, bequem, geil, lockeres Schönheitshandeln, sondern sie sind die am eigenen Körper vollzogene herrschende politische Philosophie.“ Frauen rasierten sich demnach nur, damit sie Männern gefallen – und noch schlimmer, weil diese es verlangen. Das historische Argument, wonach die Rasur eben gerade keine Erfindung der Pornobranche ist, sondern in zahlreichen Kulturen seit Jahrhunderten verbreitet ist, gilt nicht – weil zu diesen Zeiten natürlich Männer das Sagen hatten. Das ist schlichtweg Blödsinn, denn wenn Haare wirklich Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse wären, was bedeutet dann ein rasiertes Männerkinn? Was Achselhaare, Brust-, Bein- und Rückenhaare? Ist nur dann ein freier Mensch, wer keine Haare hat? Der Designer Tom Ford sagte sich in einem Interview mit dem Schweizer Magazin Die Weltwoche über Schamhaare: „Das ist natürlich, pur, animalisch“. Und weiter: „Es ist eine haarlose Generation, ihre sexuelle Sozialisierung passierte mit Pornos, in denen kein Schamhaar vorkommt.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Schuld an der Haarlosigkeit soll wieder einmal die zunehmende Unterwanderung unserer Gesellschaft durch – amerikanische – Pornografie sein. Denn erst durch die durch das Internet hervorgerufene Pornoschwemme sei die Intimrasur in den Neunzigern wieder in Mode geraten. Das stimmt: Während sich (laut einer Umfrage des Magazins Marie Claire) nur 16 Prozent der unter 20-jährigen Amerikanerinnen nicht rasieren, sind bei den über 40-Jährigen 45 Prozent mit Busch. Was das „animalisch“ betrifft, so mag Ford bestimmt Recht haben. Haare haben tatsächlich etwas Wildes, Animalisches, ganz so wie intensiver Schweißgeruch auch. Weniger Haare (den Kopf einmal ausgenommen) fühlen sich besser an und sehen besser aus. Wer es denn wirklich animalisch mag, kann sich dann bestimmt auch an unrasierten Beinen freuen. Viel Spaß damit. Natürlich richtet sich der allgemeine Geschmack nach der vorherrschenden Mode. Wem das aber nicht passt, der kleide sich bitte in Jutesäcken. Die neuen Feministinnen sind es, die den Einheitslook fordern. Sie verunglimpfen rasierte Männer und Frauen als Opfer perfider Marktmechanismen. Dabei haben sie einfach nur den schlechteren Oralsex.

Text: johannes-siebold - Foto: Anna-Lena Thamm

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