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„Renn um dein Leben“

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Es ist nicht so, dass Fabian Weißbarth bislang keine Bedrohungen gekannt hätte. Wenn er auf Gegendemos gegen den rechten Rand der Bevölkerung mobilisiert, fixieren ihn einzelne Nazis aus den Gruppen heraus, sie rufen ihm dann seinen Namen zu. Die Botschaft ist klar: "Wir wissen, wer du bist. Wir kennen dich." Als der 20-jährige Politik- und Soziologie-Student vergangenes Wochenende einen Blick in seinen Account beim Studenten-Portal StudiVZ wirft, bekommt das diffuse Gefühl der Bedrohung eine neue Dimension. „...du fabian bist in pankow unerwünscht“, steht da. Und dann, ein paar Zeilen weiter: „renn um dein leben du hurensohn“ Unterschrieben mit „danzig88“ – ganz klar eine Nachricht von Faschisten. (Die 88 steht im Nazicode fast immer für Heil Hitler, weil das „H“ der achte Buchstabe des Alphabets ist.)

Eine Nachricht, die alles was vorher war, fast unbedeutend erscheinen lässt. Denn die neue Botschaft suggeriert nicht nur, dass die Nazis wissen, wer Weißbarth ist. Sie sagt auch: "Wenn wir wollen, dann finden wir dich. Und dann bringen wir dich um." Weißbarth, der in Berlin als stellvertretender Landesvorsitzender der Jusos beim SPD-Nachwuchs den Arbeitskreis Anti-Faschismus koordiniert, nimmt die Nachricht ernst. "Als ich begriffen habe, was da steht, klappte mir die Kinnlade runter." Er glaubt, dass die Täter ihn vor allem einschüchtern wollen. "Für mich bedeutet das: Nicht nur als Antifa, auch als Sozialdemokrat stehst du in der Schußlinie", sagt er. Das habe auch in seiner Partei für Schrecken gesorgt. "Manche Genossinnen und Genossen schätzen die Bedrohungslage jetzt anders ein." Einen Tag lang saß Weißbarth beim Landeskriminalamt Nummer 5, das sich in der Hauptstadt um politisch motivierte Straftaten kümmert. Er ist hoffnungsvoll, dass die Täter geschnappt werden. "Nazis agieren im Netz oft dilettantisch", sagt er. In diesem Fall bedeutet das, dass die Täter keine Anonymizer-Software benutzt haben könnten, und die zuständigen Internet-Provider auf Antrag der Gerichte die IP-Nummern herausgeben könnten. Egal, ob dann eine straff organisierte Nazi-Bande hinter dem Anschluss sitzt oder zwei Mitläufer, die sich durch die feige Drohung hervortun wollten – für den Anschlussinhaber wird es dann unangenehm. Die Gesinnungsgenossen des oder der Täter können sich aber entspannt zurücklehnen. Sie dürften sich bei StudiVZ gut aufgehoben fühlen. Große Schlagzeilen machte die Seite, weil einer der Gründer der Seite, Ehssan Dariani eine Partyeinladung im Stil des Nazi-Blattes "Völkischer Beobachter" verschickte. Bis heute sind auf StudiVZ Gruppen mit streng nationalistischer Färbung zu finden: "Kaliningrad kenn ich nicht. Die Stadt heißt Königsberg!" oder auch "Deutsche Soldaten sind Helden, keine Mörder", eine Gruppe mit "besonderem Augenmerk auf den Soldaten der Befreiungskriege 1812/1813, sowie der Einigungskriege und des 1./2. Weltkrieges." Wer glaubt, die Verantwortlichen bei StudiVZ würden so eine Gruppe ungewollt übersehen, scheint allerdings zu irren: „Nach langem hin und her konnte die Löschung der Gruppe verhindert werden, leider musste etwas an der Gruppenbeschreibung geändert werden. Ich danke dem StudiVZverantwortlichen das er hier Toleranz und Verständnis für uns gezeigt hat“, schreibt der Gründer der 422-Studenten-starken Geschichtsklitterungstruppe unter Missachtung der deutschen (!) Rechtschreibung in der Gruppenbeschreibung. Ein weiteres Problem des Portals sind die anhaltenden Fake-Anmeldungen, gegen die das Unternehmen offensichtlich noch immer kein wirksames Mittel gefunden hat. Das freut nicht nur Nazis, die Morddrohungen verschicken, sondern auch Prostituierte, die sich in den immer wieder neu gegründeten Gruppen "Sex gegen Taschengeld" um die Studentenschaft bemühen dürfen. Auch die Nazis, die Weißbarth ihre Drohung schickten, verbergen sich hinter einem Fake-Account (siehe Screenshot). Auf die Problematik angesprochen, sagte StudiVZ-Pressesprecher Dirk Hensen, dass man kein Mobbing auf der Seite dulde und dagegen vorgehe. Darüber hinaus beteilige sich StudiVZ an einem bundesweiten Projekt gegen Rechtsextremismus. Weißbarth gibt den Betreibern der Webseite auch keine Schuld: "Wenn Nazis in der Gesellschaft sind, dann sind sie auch im Netz." Allerdings hat sich sein Verhalten im virtuellen Leben gründlich geändert: "Mit einem Mal macht man sich Gedanken, wie sicher man im Netz ist", sagt er. Ob er in Zukunft noch Bilder von sich auf Parteiseiten haben will, hat er noch nicht entschieden. Seinen StudiVZ-Account hat er behalten, seinen Namen aber unkenntlich verschlüsselt. Bei aller Vorsicht will Weißbarth – das merkt man im Gespräch mit ihm – vor der Bedrohung aber nicht einknicken. Und das, obwohl er auch außerhalb der virtuellen Welt nervös geworden ist: "Ich gehe mit ganz anderer Wahrnehmung durch die Straßen." Aus den Augenwinkeln beobachtet er, was um ihn herum geschieht. Wenn er heimkommt, drängt es ihn jetzt immer schnell ins Haus. "Tür auf, Tür zu, aufatmen."

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