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"Der Weg des Dalai Lama reicht mir nicht"

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Athen, London, München. Der Deutsch-Tibeter Norbu, 30, war in den letzten Wochen viel unterwegs. Gemeinsam mit anderen Tibetern aus ganz Europa hat der Stuttgarter bei den Protesten gegen die Tibetpolitik der chinesischen Regierung demonstriert. Jetzt.de sprach mit Norbu über sein Engagement in der tibetischen Widerstandsbewegung, seine Forderungen an China und die Zukunft Tibets. Du bist nach Olympia in Griechenland geflogen, um dort zu demonstrieren. Warum? Ich wollte in erster Linie verhindern, dass das Unrechtsregime der chinesischen Regierung in Tibet bei der Eröffnungszeremonie in Olympia einfach ausgeblendet wird. Die Proteste der vergangenen Wochen waren für uns Exiltibeter eine der wenigen Chancen unsere Freunde und Verwandten in Tibet zu unterstützen. Wir mussten einfach etwas tun. Wenn alle lediglich zuschauen oder nur hinter vorgehaltener Hand reden, wird sich nichts verändern. Unsere Brüder und Schwestern in Tibet opfern ihr Leben für unser Land. Da können wir nicht einfach untätig bleiben. Hat sich euer Engagement in den letzten Wochen gelohnt? Auf jeden Fall. Wir hätten nie damit gerechnet, dass unsere Protestaktionen eine so große Medienwirkung erzeugen würden. Die Bilder aus Olympia haben viele Menschen wachgerüttelt. Alle großen Nachrichtensender haben unsere Aktion aufgezeichnet. Die Bilder von CNN und BBC gingen um die ganze Welt. Zum ersten Mal üben westliche Länder jetzt offen Druck auf die chinesische Regierung aus. China kann den Dialog mit dem Dalai Lama nicht mehr so kategorisch ablehnen wie zuvor. Du gehörst dem Verein Tibeter Jugend in Europa an. Was macht die Organisation genau? Der Verein fördert den Austausch junger Tibeter in Europa. Wir organisieren Treffen, Podiumsdiskussionen und Ferienlager. Ein wichtiges Anliegen ist uns, die tibetische Sprache und Kultur zu pflegen und zu erhalten. Wir starten aber auch viele Protestaktionen. Letztes Jahr haben wir etwa für die Befreiung des Panchem Lama aus der chinesischen Gefangenschaft demonstriert. Die Protestaktionen in den letzten Wochen haben einzelne Personen oder kleinere Gruppen aber selbst initiiert und organisiert. Der Verein hat lediglich zugestimmt, die jeweiligen Leute zu unterstützen. Welche Protestformen habt ihr angewandt? In Olympia wollten wir den Eröffnungsumzug eigentlich für ein paar Minuten zum Anhalten bringen. Das hat leider nicht geklappt, weil wir nach wenigen Minuten von Sicherheitskräften umzingelt waren. Ich habe am Umzugsrand eine große Tibetflagge hochgehalten und laut „No Torch through Tibet“ und „Stop Killing in Tibet“ gerufen. Die Sicherheitskräfte kamen auf mich zugerannt, haben mir die Tibetflagge weggerissen und mich brutal zu Boden geworfen. Meine Cousine aus der Schweiz hat sich sinnbildlich für das Blutvergießen in Tibet Tomatenketchup auf den Körper geschmiert und sich direkt vor den vor den Umzug auf die Straße gelegt. Auch Sie wurde weggezerrt. Auf der Polizeistation haben wir uns dann wieder getroffen. Hattest du keine Angst vor den Konsequenzen? Griechenland und England sind Rechtsstaaten, deshalb musste ich nicht befürchten gefoltert oder lange inhaftiert zu werden. Aber durch die Aktion sind wir den chinesischen Behörden jetzt natürlich bekannt. Deshalb können wir vielleicht nie wieder nach Tibet einreisen. Das ist schon ein sehr großes Opfer. Aber im Vergleich zu dem, was die Tibeter in unserer Heimat momentan für ihre Freiheit riskieren, ist unser Engagement gering. Wie war die Reaktion der Bevölkerung an den jeweiligen Protestorten? Wir haben große Unterstützung erfahren. Als wir nach den Protesten in Olympia nach Athen zurückgekehrten, haben uns Einheimische auf der Straße wieder erkannt und gesagt es, sei richtig gewesen, was wir gemacht haben. Das hat uns sehr gefreut. Auch in London und München waren wir überwältigt von der großen Anteilnahme. So viele Menschen haben mitdemonstriert. Vor allem in München, wo es im Vergleich zu London keine große Tibetergemeinde gibt, waren sehr viele Menschen auf unserer Seite.

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Vor ein paar Jahren hatten du und dein Vater eine Privataudienz beim Dalai Lama? Wie war das? Ich habe den Dalai Lama schon zwar schon sehr oft bei seinen Besuchen in Deutschland und der Schweiz erlebt, aber es war schon toll ein paar persönliche Worte von ihm zu hören. Meinem schwer kranken Vater hat der Dalai Lama am Ende eine Orchidee geschenkt. Dein Vater hat sogar schon für den Dalai Lama gearbeitet. Mein Vater ist 1957 mit seiner Familie nach Indien geflohen. Er ging aber schon vor der Flucht einige Zeit auf ein Internat in Nordindien. Später hat er eine zeitlang als Übersetzer für den Dalai Lama gearbeitet. In Indien erhielt er ein Stipendium für ein Studium in Deutschland. Nach dem er sein Studium beendet hatte, ist er für eine Weile zurückgekehrt. Schnell hat er aber gemerkt, dass er dort nicht viel ausrichten kann und ist wieder zurück nach Deutschland gekommen. Du bist in Deutschland geboren. Warst du selbst schon einmal in Tibet? Nein. Die Reise ist sehr teuer und generell ist es als Exiltibeter schwierig ein Visum zu bekommen. Anfang diesen Jahres wollten meine Schwester und ich eine Rundreise durch Tibet machen. Uns wurde aber kein Visum ausgestellt. Das war lange vor den Aufständen in Tibet. Warum wurde euer Visumsantrag abgelehnt? Es gab keine offizielle Begründung. Der Visumsantrag wurde einfach abgelehnt. Vermutlich will man potentielle Risikogruppen vor den olympischen Spielen aus dem Land fernhalten. Bist du für einen Boykott der olympischen Spiele? Nein, ich bin für keinen Komplettboykott. Reine Propagandaveranstaltungen wie die Eröffnungszeremonie sollten Sportler und Politiker aber meiner Meinung nach definitiv meiden. Was sind deine Forderungen an die chinesische Regierung? Die chinesische Regierung soll endlich einen substantiellen Dialog mit dem Dalai Lama aufnehmen. Wichtig ist mir auch, dass das Team Tibet, also das tibetische Olympiateam, zu den olympischen Spielen zugelassen wird. Die Tibeter haben sich als Nationalteam beim olympischen Komitee beworben und bis heute weder eine Zusage noch eine Absage vom IOC erhalten. Wie der Verein Tibeter in Europa fordere ich auch, dass eine unabhängige Kommission zugelassen wird, die die Vorfälle in Tibet untersucht. Außerdem müssen die zahlreichen Demonstranten, die nach den Protesten in Tibet festgenommen wurden, wieder freigelassen werden. Der Dalai Lama fordert die Tibeter immer wieder zum gewaltfreien Widerstand auf? Hältst du diese Strategie für richtig? Ja, generell schon. Alle Tibeter haben großen Respekt vor dem Dalai Lama und würden sich nicht gegen ihn erheben. Aber wenn der Dalai Lama eines Tages stirbt, ist die Zukunft ungewiss. Es gibt vor allem in der jungen Tibetergeneration mittlerweile viele, die bereit sind, auch mit Gewalt gegen die Unterdrückung der Tibeter vorzugehen. Was erhoffst du dir persönlich für die Zukunft Tibets? Soll Tibet unabhängig werden? Langfristig bin ich für die vollständige Unabhängigkeit von China. Der so genannte mittlere Weg des Dalai Lama ist mir zu wenig. Aber für den Anfang wäre eine echte innenpolitische Autonomie, wie er sie fordert, schon einmal ein großer Fortschritt. Wichtig sind auch die freie Meinungsäußerung, die freie Religionsausübung, die von der chinesischen Regierung zwar proklamiert wird, aber nicht wirklich stattfindet und ein Stopp der chinesischen Siedlungspolitik.

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