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„Da machen wir eine Eierstockentzündung“

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Die Tür zum Praxiszimmer von Dr. M. geht auf, eine schrille Stimme ruft „Der nächste, bitte“. Jemand geht hinein und vom Wartezimmer aus hört man Gekicher. Nach fünf, höchstens zehn Minuten kommt die Person wieder heraus, in der Hand ein Attest. So geht das die ganze Zeit: Niemand ist länger als zehn Minuten im Behandlungszimmer von Dr. M. „Klar gibt es Ärzte, die es etwas lockerer handhaben“, sagt Dr. med. Max Kaplan am Telefon. „Schließlich lassen sich so genannte weiche Indikationen wie Bauchschmerzen, Übelkeit oder Schwindel nicht objektiv überprüfen. “ Kaplan ist Vize-Präsident der Bayerischen Landesärztekammer. „Kein Arzt aber darf einen Patienten länger als zwei Tage rückwirkend krankschreiben.“ Nur: Dr. M. nimmt es sehr locker. Ihre Praxis ist nur für zwei Stunden in der Woche geöffnet – Donnerstag von 10 bis 12 Uhr. Dr. M. schreibt Atteste aus – und sonst nichts.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Versuch 1: privat versichert Das letzte Mal war ich während meines Zivildienstes bei Dr. M. in Behandlung. Das ist Jahre her, aber alles sieht genauso aus wie in meiner Erinnerung. Ein Mädchen wartet. Zwei junge Männer in weiten Hosen unterhalten sich über ihre Schuldentilgung, der eine erwähnt immer wieder das Wort „Stadelheim“. Als eine ältere Frau die Praxis betritt, bietet ihr einer der beiden seinen Platz an. Sie kennen sich von einem früheren Besuch. Nach über einer Stunde bin ich an der Reihe. Die Terrassentür im Behandlungszimmer ist geöffnet, es ist kühl. Dr. M. trägt ein Kopftuch und spricht mit schriller Stimme. Medizinische Geräte gibt es nicht. Die ganze Situation hat etwas Unwirkliches, Skurriles. Die Helferin fragt nach meiner Versicherungskarte. „Sind Sie schon einmal hier gewesen?“ „Ja, ist aber schon etwas länger her.“ „Haben Sie keine andere Karte?“ „Nein“ „Das ist schlecht, wir können hier keine Privatpatienten behandeln. Wissen Sie, wir sind ja von der Universität angestellt.“ Dr. M. rät mir, zu einem Kollegen von ihr zu gehen. Dass ich überarbeitet sei und gemobbt werde, soll ich ihm sagen, und dass ich von ihr komme, dann wisse er Bescheid. Bei den Münchner Unikliniken ist Dr. M. unbekannt. Bei der Bayerischen Landesärztekammer will man aus Datenschutzgründen keine Auskunft geben. Weshalb ein Arzt keine Privatpatienten behandelt, kann sich hier niemand erklären. „Nicht gerechtfertigte Atteste werden selten verfolgt“, sagt Dr. Kaplan. „Die Schule oder der Arbeitgeber müsste ja beim Arzt anrufen und sich beschweren. Der Arzt ist dann beim nächsten Mal skeptischer und stellt das Attest nicht sofort aus.“ Folgt eine offizielle Beschwerde bei der Ärzteaufsicht, kann diese eine Rüge erteilen. Nur, wenn ein solcher Missbrauch eindeutig nachweisbar ist, muss der Arzt mit einer Strafe rechnen. Aber nur in Ausnahmefällen kann ihm auch die Approbation entzogen werden. Dr. Kaplan kann sich nicht erinnern, dass dies in den letzten zehn Jahren vorgekommen sei. Wir besuchen Dr. M. eine Woche später noch einmal: Versuch 2 – gesetzlich versichert Ich erzähle, dass ihre Adresse ein Geheimtipp von Freunden sei. Dass ich seit drei Tagen bei meinem Praktikumsplatz fehle und dringend eine Bescheinigung brauche. Sie fragt nicht nach meinem Wohlbefinden, sondern nur: „Wie lange wollen sie denn noch krank sein?“ „Eine Woche?“ Ich traue mich nicht, höher zu pokern. Als die Sprechstundenhilfe nach meiner Krankenkassenkarte greift, fasse ich Mut. „Gehen auch zwei Wochen?“ Die Frauen beraten sich kurz und prompt habe ich eine Eierstockentzündung. „Weil da niemand so genau nachfragt.“ Aber dann ändern sie ihre Meinung: Eine Blinddarmreizung scheint ihnen überzeugender. Dr. M. gibt mir noch die Symptome meiner Krankheit auf den Weg: Übelkeit, Brechreiz, Schwindel. „Für neugierige Kollegen“, sagt sie und bittet mich, meinen Besuch nicht an die große Glocke zu hängen. Wäre doch schade, wenn so viele kämen, dass die Praxis schließen müsste, nicht wahr?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mitarbeit: wlada-kolosowa

Text: philipp-mattheis - Foto: Kaj Lehmann

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