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So klingt echter Untergrund: Afro Hesse, der illegale HipHop-Immigrant im Interview

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Afro, wie ist es dir nach der Flucht aus Algerien in Deutschland ergangen? Afro Hesse: Sehr mies. Es war total schrecklich. Ich war ein kleiner Junge und war total frustriert, weil ich meine Heimat nicht verlassen wollte. Als Kind wollte ich immer zurück nach Algerien. In einem Interview hast du über deine Kindheit in Deutschland gesprochen und erwähnt, wie es war als Flüchtling unter Deutschen zu leben. Ist es wirklich so schlimm für Migrantenkinder? Ich weiß nicht, ob es jetzt noch so ist. Aber als ich ein Kind war, wurde ich nicht von den anderen Kindern akzeptiert. Ich war ein Einzelgänger und bin in einer Gegend aufgewachsen, wo es türkische, kurdische und italienische Kids gab. Ich war der einzige Algerier dort. Wo und wann bist du dann dem HipHop das erste Mal begegnet? Ganz ehrlich, das erste Mal bin ich HipHop in Algerien begegnet. Da war ich neun Jahre alt. Mein Vater hat schon seit den 70er Jahren in Deutschland gearbeitet und kam damals, als es uns allen noch gut ging, einmal im Jahr nach Algerien, um uns zu besuchen. Einmal hat mein Vater mir dann ein „Snap“-Tape mitgebracht. Als ich es das erste Mal gehört habe, bin ich voll ausgerastet. Ich wusste gar nicht, was das für Musik ist. Aber für mich war das schon Hip Hop. Und wann hast du angefangen selbst HipHop zu machen? Richtig mit Rap angefangen, habe ich 1993. Da waren wir schon in Deutschland. Ich habe die Bravo Supershow im Fernsehen gesehen, wo alle geklatscht und geschrien haben. Da habe ich voll Gänsehaut bekommen. An dem Tag habe ich beschlossen, Musiker zu werden. Ein paar Jahre später war ich richtig tief im Hip Hop drin und hatte meine ersten Auftritte. Ich habe aber voll scheiße gerappt und auch noch mit schlechtem Deutsch. Aber das war mir egal, weil ich einfach von der Musik begeistert war. 1997 hat sich die Ausländerbehörde das erste Mal eingeschaltet, woraufhin du und deine Familie untergetaucht seid. Wir haben uns damals einen Tag lang bei einem Pfarrer in der Kirche versteckt und dann hat uns eine deutsche Freundin meiner Mutter abgeholt. Sie hat uns in der Nähe von Darmstadt bei einer Familie untergebracht. Das musst du dir so vorstellen: Du bist in dieses Haus gekommen und den Flur entlang gegangen bis zum Wohnzimmer. Dann hast du einen Teppich zur Seite geschoben und bist eine Treppe heruntergelaufen. Da lagen dann überall Matratzen auf dem Boden. Wir haben uns dort unten drei Wochen lang versteckt. Es war wirklich ekelhaft. Ich bekomme gerade Gänsehaut, wenn ich daran denke. Würdest du trotz dieser Umstände Deutschland oder Algerien als deine Heimat bezeichnen? Weder noch. Denn das Problem ist, dass ich schon als Kind aus meiner Heimat gerissen wurde. Dann hat es doch mit der zweiten Heimat in Deutschland geklappt, die ich mir selbst mit meiner Musik und meinen Freunden aufgebaut habe. Aber auch diese neue Heimat hat mich nicht akzeptiert. Ich bin auf jeden Fall Algerier, aber ich bin auch durch diesen ganzen Scheiß, den ich durchgemacht habe, multikulturell geworden. Ich bin Hesse, Afrikaner, Araber, Deutscher und Algerier. In Frankreich war das mit der Aufenthaltsgenehmigung einfacher. Dort sollst du ein Künstlervisum erhalten haben. Nein, das ist alles Bullshit. Weißt du, wie viele Sprüche über mich im Umlauf sind? Ich habe niemals ein Künstlervisum bekommen oder gesagt, dass ich eines habe. Ich habe nur einmal mit einem Reporter darüber geredet, nachdem ich ziemlich aufgewühlt war. Wieso warst du aufgewühlt? Ich bin in Paris schwarz gefahren und wurde von den Bullen erwischt. Die haben mich dann auf das Revier mitgenommen und in so eine Glaszelle gesteckt. Da war alles aus Glas, total krank. Und es waren nur schwarze Afrikaner in der Zelle. Ich stand da in der Mitte und die haben mir alle so leid getan. Irgendwann wollten die Bullen dann wissen, wie ich heiße und wo ich geboren bin. Echt, mein Herz ist in die Hose gerutscht. Ich dachte nur: „Alles klar, Alter, jetzt ist es vorbei.“. Aber ich wurde freigelassen. Ich stand dann draußen vor dem Revier auf der Straße und war total perplex. Meine Hormone haben verrückt gespielt. Es war Glück im Unglück. Und in dem Moment habe ich den Anruf von diesem Reporter bekommen und ihm die Story erzählt. Am Ende meinte ich nur, ich müsste mal schauen, dass ich ein Künstlervisum bekomme. Aber ich habe keines.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Du sollst am Tag vor deiner Abschiebung mit deinen letzten 80 Euro ein Ticket nach Paris gekauft haben und dann dorthin geflüchtet sein. Ich musste aus Deutschland weg und hatte nur fünf Tage Zeit. Danach hätten sie mich abgeschoben und ich wäre weg gewesen. Ich habe meine Taschen gepackt und bin abgehauen. Wie ging es dann weiter? Ich habe erst einmal für sechs Wochen bei Bekannten von meiner Mutter gewohnt. Das war in Grenoble. In dieser Zeit habe ich das Schlimmste durchgemacht, was ich je erlebt habe. In der Zeit bin ich echt psychisch krank geworden. Es gab keinen Tag, an dem ich wirklich lachen konnte. Selbst wenn ich gelachte habe, habe ich geweint. Ich habe alles verdrängt. Das ist heute immer noch so. Es gibt Momente, wo ich gut drauf bin. Wo ich kurz lachen kann. Aber seitdem ist nichts mehr in Ordnung. Kannst du uns ein bisschen über die ersten Wochen in Frankreich erzählen. Als ich in Paris angekommen bin, habe ich mich erstmal nach Jobs umgeschaut. Ich habe gesucht, wie verrückt, aber nichts gefunden. Es gab ein Haus, wo man essen und trinken konnte, wenn man kein Geld hatte. Also für Leute, die auf der Straße leben. Dort habe ich immer gefrühstückt und bin duschen gegangen. Die Grundbedürfnisse waren gedeckt, aber Geld oder Arbeit gab es nie. Zwei Monate später bin ich in ein Jugendhaus hereingekommen, das sich sehr stark für das eigene Viertel engagiert hat. In diesem Jugendhaus gab es auch Proberäume. Ich habe mich mit den Leuten angefreundet und angefangen dort Musik zu machen. Du lebst nun schon seit einigen Jahren im Untergrund und bist seit fast vier Jahren wieder in Deutschland. Deine Lage hat sich aber hoffentlich verbessert? Ach, nein. Eigentlich überhaupt nicht. Ich verdiene kaum Geld und bin auch noch illegal hier. Ich habe zwar eine Wohnung, aber die ist ohne Strom. Zurzeit wohne ich bei einem Kumpel, weil es bei mir zu kalt ist. Ich werde aber bald versuchen ein bisschen zu renovieren. Aber es ist auf keinen Fall ein Ort, wo man sich wohl fühlt. Dafür, dass du nur rund ein Jahr in Paris gelebt hast, hast du dich schnell in die französische HipHop-Szene integriert. Wie kam es zu den ersten Kontakten? Das war meine einzige Möglichkeit, mich irgendwie einzuleben. Irgendwann hatte ich die Idee, eine deutsche HipHop-Jam mit deutschen Gruppen zu organisieren. Ich habe das alleine in Paris organisiert und es kamen viele französische Musiker. Alle Franzosen meinten nur: „Krass! Es gibt deutschen Rap in Paris? Da müssen wir hin.“. Das Haus war voll. Es war sehr beeindruckend, wie viele französische Rapper sich für eine andere Sprache im HipHop interessieren. Durch diese und andere Jams habe ich sehr viele Leute kennen gelernt. Von da an ging es plötzlich ziemlich schnell. Nach drei Monaten habe ich mit Gruppen wie Busta Flex Busta zusammen gearbeitet und war zum ersten Mal in einem französischen Musikvideo zu sehen. Obwohl auf deinem neuen Sampler „Mehr als Musik“ hauptsächlich deutsche Musiker vertreten sind, klingt der Sound nicht typisch nach Deutschrap. Wie hat dich die französische Rapkultur beeinflusst? Ich bin ein Fan von French Rap und kein billiger Ami-Kopierer, wie andere deutsche Rapper. Wenn man sagt, „Afro ist ein Rapper, aber er macht es nicht wie die Amis“, dann ist das ein dickes Lob für mich. Ich versuche mehr Musik zu machen, mehr Emotionen herüberzubringen und nicht einfach nur Tracks zu produzieren, die sich gut verkaufen. Manche kritisieren deine Rap-Technik und dein Deutsch. Wie gehst du mit solcher Kritik um? Was soll ich sagen, ich rappe wie ich spreche. Ich habe kein Deutsch in der Schule gelernt. Bei mir war alles anders. Ständige Schulunterbrechungen haben da auch nicht geholfen. Es gibt manchmal einen Track, auf dem die Technik gut ist und dann gibt es wieder einen, wo die Technik kacke ist. Aber ich habe auf jeden Fall mehr drauf, als die Leute denken. Vor allem live bin ich wirklich ein verdammt guter Rapper. In deinen Songs und auch in Interviews äußerst du Kritik an Angela Merkel. Wenn du Bundeskanzler für einen Tag sein könntest, was würdest du ändern? Oh, gute Frage. Ich würde alle Frauen zu mir einladen und alle Männer abschieben. Angela Merkel und Roland Koch würde ich in ein Kinderheim stecken. Nein (lacht), Spaß beiseite. Ich würde jedem armen Menschen auf deutschen Straßen ein Haus, Bett und Essen geben. Und ich würde die Steuerfahnder zu mir bitten und ihnen sagen, dass sie die 200 Millionen Euro, die sie eingesackt haben, mir geben sollen. Für meine Promo. Wo wir gerade beim Finanziellen sind: Wie hältst du dich finanziell über Wasser? Das ist voll krass. Ich mache wirklich nur Geld, wenn ich die CDs auf der Straße verkaufe. Sonst verdiene ich keinen einzigen Cent. In Paris bin ich die Champs-Élysées auf und ab gelaufen und habe die Platten an die Touris verkauft. Auch beim Splash-Festival bin ich mal durch das Publikum gelaufen und habe versucht meine Platten an den Mann zu bringen. Manchmal gibt es auch Nebenjobs, aber nur sehr selten. Letztens habe ich drei Tage lang bei Fashion Weeks gearbeitet. Plötzlich stand Naomi Campbell neben mir. Und hast du mir ihr geredet? Ich habe mit ihr geflirtet, aber leider einen Korb bekommen. Afro Hesses Sampler „Mehr als Musik“ ist am 29.02.2008 erschienen. Mehr Infos unter: www.myspace.com/afrohesse

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