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Hausmeister einstellen, Baurecht lernen: Wie aus Carina eine Stadträtin wurde

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Carina, 24, ist Mitglied bei den Jungen Freien Wählern in Bayern. Sie studiert BWL an der Uni Bamberg und steht am Sonntag wieder zur Wahl. Du bist seit sechs Jahren im Stadtrat - erinnerst du dich noch an den Wahlabend? Ich bin damals ganz überraschend zu dem Mandat gekommen. Ich war auf Platz 23 gesetzt und in Höchstadt gibt es nur 24 Listenplätze. Meine Freunde meinten alle: "Ein paar Anerkennungsstimmchen bekommst du vielleicht, aber richtig Ernst nimmt dich wahrscheinlich keiner. Mit 18 kommt man doch nicht in den Stadtrat." Dann kam der März 2002 und am Ende des Wahlabends war ich auf Platz sieben - auf einen Schlag war ich die jüngste Stadträtin Bayerns. Nun hatte ich also diesen "Titel" und allerhand Anerkennung von der lokalen Presse. Das war der Startschuss. Meine erste richtige Stadtratsitzung war dann kurioserweise am selben Tag wie mein Deutsch-Abitur. Nach fünf Stunden Deutsch-Abi ging es in die erste Sitzung mit Vereidigung und allem, was dazu gehört. Und dann ging es auch schon aktiv los. Ich habe angefangen, mich mit bayerischem Baurecht auseinanderzusetzen und hab relativ schnell begriffen, dass es im Stadtrat keineswegs nur um greifbare Themen geht. Vor allem geht es um Kanalbauarbeiten und Straßen, die repariert werden müssen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Klingt schon ein bißchen langweilig. Ganz genau. Für eine 18-Jährige sind die Themen größtenteils absolut langweilig. Man muss dazu erst einen Zugang finden und erkennen, warum diese Themen so wichtig sind. Gott sei dank haben mir meine Fraktionskollegen sehr geholfen. Sie sind mit mir zu den Baustellen gefahren, haben mir alles gezeigt und die Dinge greifbar gemacht. Auch bei Personalfragen durfte ich plötzlich mitentscheiden - welcher Hausmeister in welcher Schule eingestellt wird beispielsweise. Und das sind, glaube ich, schon Entscheidungen, mit denen andere Jugendliche in dem Alter nicht konfrontiert werden. Haben dich deine Kollegen denn ernst genommen? Das war erst einmal ein Problem. Meine Kollegen hatten eben alle schon Häuser gebaut und Familien gegründet - sie hatten im alltäglichen Bereich viel mehr Erfahrungen als ich. Wenn man dann über irgendwelche Bauanträge entscheiden soll, ist das schwierig. Aber ich bin ein Mensch, der sich trotzdem interessiert, informiert und etwas zum Thema sagt. Klar ist das schwierig, von einem 60-Jährigen ernst genommen zu werden. Gerade in den ersten zwei, drei Jahren wurde es immer ganz peinlich still, wenn ich mich gemeldet habe, weil jeder wissen wollte, was denn ein junger Mensch in diesem Gremium beizutragen hat. Da gab es schon immer das eine oder andere Schmunzeln unter den Kollegen. Sag doch ein paar Worte zum Arbeitsalltag. Man hat zwei obligatorische Sitzungen im Monat. Einmal die Stadtratsitzung und die Fraktionssitzung. Dann kommt es darauf an, in wie vielen Ausschüssen man aktiv ist. Ich selbst bin im Jugend- und Sozialausschuss und stellvertretend im Bauausschuss. Ich bin nach dem Abi an die Uni Bamberg gegangen, die von meinem Heimatort nicht weit weg ist. So ließ sich zeitlich alles ganz gut organisieren. Und das ist auch das, was ich meinen Nachfolgern immer versuche zu vermitteln: Der Zeitaufwand ist nicht so groß und er lohnt sich. Man schafft das schon ganz gut neben dem Studium. Es funktioniert außerdem sehr viel über persönliche Gespräche, die man immer und überall führen kann.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Carina. Du studierst BWL. Warum hast du nicht Politik studiert? Ich bin davon überzeugt, dass sich praktische Politik draußen bei den Bürgern abspielt und nicht an der Uni. Politik lernt man überall. In der Kneipe, am Stammtisch oder beim Einkaufen im Gespräch mit dem Metzger. Und Wirtschaft hat mich schon immer interessiert. Was bekommt man für die Arbeit im Stadtrat? Pro Sitzung bekommt man 35 Euro. Davon wird man definitiv nicht reich. Sechs Jahre Kommunalpolitik - gibt es ein Ereignis, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist? In Höchstadt ist es Tradition, dass der jüngste Stadtrat zu jedem kirchlichen Fest die Stadtfahne trägt. Dazu muss man wissen, dass diese Fahne gefühlte 15 Kilo wiegt. Normalerweise ist die für einen jüngsten Stadtrat ausgelegt, der so Mitte dreißig und männlich ist. Nun war da aber ich. Ich habe die Fahne dann unter Schmerzen in den Armen brav getragen - hatte allerdings zwei Ältere, die links und rechts von mir gelaufen sind, um mich notfalls zu stützen. Warum bist du eigentlich für die Freien Wähler angetreten und nicht für die CSU oder die SPD? Ich bin ein Querdenker und brauche für eine eigene Meinung kein Parteibuch. Hier bei uns gibt’s nur rot oder schwarz. Also habe ich mich damals für die goldene Mitte entschieden, weil ich mich bislang nicht 100 Prozent mit einer der anderen Parteien identifizieren konnte.

Text: carla-schif - Foto: privat

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