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Wenn Zweijährige Marketing lernen: Julia wollte wissen, was Elite ist

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Du hast dich vor drei Jahren bei McKinsey beworben und einen Text über das dortige Auswahlverfahren geschrieben. War das der Ausgangspunkt zur Recherche für dein Buch*? Genau. McKinsey hat damals den Begriff "Elite" so propagiert: "Wir formen Eliten, wir machen Eliten. Wer bei uns ist, der ist Elite." Da dachte ich: Uh, was soll das heißen? Am Ende deiner Bewerbung lag sogar ein Vertrag vor dir. Hast du überlegt, zu unterschreiben? Ich hatte ein, zwei Wochen gezögert – die Verlockung war plötzlich so groß. Es hat mich selbst erschreckt, wie sehr es mich gekickt hat, das Verfahren geschafft zu haben. Und als ich dann den Vertrag in der Hand hatte, der soviel Geld bedeutet hätte … Wieviel wäre das gewesen? 67.000 Euro im ersten Jahr plus Auto … aber letztendlich war meine Skepsis größer. Aber du hast diesen Moment erlebt, in dem man das Gefühl hat, zu einem erlesenen Kreis zu gehören. Auf jeden Fall. Ist dieses Gefühl ein Motiv, zu einer Elite gehören zu wollen? Es ist mehr. Die Studenten an den Elite-Unis antworteten auf meine Frage, ob sie Angst hätten, arbeitslos zu werden kategorisch mit „Nein“. Wenn man Elite wird, ist man viele Sorgen los. Welche Unis hast du für deine Recherche besucht? Ich war vor allem an der European Business School (EBS) in Oestrich-Winkel – dort habe ich einen Studenten über ein Jahr hinweg immer wieder getroffen. Dann war ich an der Bucerius Law School in Hamburg, an der WHU in Vallendar und dann habe ich noch Studenten der Bayerischen Eliteakademie getroffen. Wo hast du selbst studiert? In Dortmund. Was ist der Unterschied zwischen den Unis? An den privaten Wirtschaftsunis studieren nur 25 bis 30 Prozent Mädels - die kommende Wirtschaftselite scheint eine männliche zu sein. Und mir ist aufgefallen, dass alles nach wem heißt. Das neueste Gebäude an der EBS heißt Kiep-Center nach Walther Leisler Kiep. Der Eingangsbereich heißt nach einer Möbelfirma, die Hörsäle heißen „Deutsche Bank“-Hörsaal oder Daimler-Chrysler-Raum. Vielleicht schwer, aber: Kannst du „Elite“ definieren? „Elite“ ist für viele ein Label, sich selbst zu pushen. Der Begriff wird unscharf benutzt. Jeder benutzt ihn, wie er ihn braucht. An den Internaten, wo Noten keine Rolle spielen, wird gesagt: Wir sind eine Verantwortungselite. An den Wirtschaftsunis wird gesagt: Wir sind eine Leistungselite. Mein Eindruck aber war, dass dort die Geldelite eine wichtige Rolle spielt. Deshalb halte ich den Begriff heute für eine gesellschaftliche Debatte für unbrauchbar. Wenn mich jemand fragt, ob wir Eliten brauchen, könnte ich nicht sagen: Ja oder Nein. Ist nur der Begriff ein Problem? Oder ist es ein Problem, dass es prinzipiell Bereiche gibt, in die sich „Geldeliten“ oder „Leistungseliten“ zurückziehen können? Die private Bildungskarriere beginnt heute mit zwei Jahren. Eltern kaufen sich Kindergärten für 1.000 Euro im Monat und dann geht das so weiter bis zum Ende des Studiums. Diese Entwicklung halte ich für falsch. Weil ich das Gefühl habe, dass diese Kinder aus dem normalen Leben rausgezogen werden und mit allem, was normal ist, wenig zu tun haben. Ist das ein Kennzeichen von Elite? Ja. Allein die Orte sind sehr exklusiv. Dadurch wird ja schon eine Botschaft gesendet: Hier ist etwas Erlesenes. Und Elite funktioniert, indem man ein paar Leute nimmt und ihnen sagt, sie seien Elite. Die Studenten der Bayerischen Eliteakademie, die ich als sehr nachdenklich erlebt habe, die hatten deshalb ein Riesenproblem mit dem Begriff Elite. Weil die immer gesagt haben: Wir sind gute Studenten, wir strengen uns an. Aber von uns gibt es noch soviel mehr! Warum ist der Begriff so populär geworden? Es scheint mir, als würde der Begriff wie ein Werkzeug eingesetzt, mit dem man diverse Probleme, zum Beispiel in der Bildung, kurieren kann. Tja, am Ende dachte ich, ich hätte Mitleid mit dem Wort. Weil es eines der am meisten instrumentalisierten Wörter in der aktuellen Diskussion ist. Man will zum einen die deutsche Hinterherhink-Angst bekämpfen. Zum anderen benutzen es vor allem die privaten Bildungseinrichtungen, um sich selbst aufzuwerten. Es ist schicker zu sagen, dass hier Elite erzogen wird. Das klingt besser als "Wir sind für Kinder wohlhabender Eltern eine gute Schule oder Uni". Welche Erlebnisse hast du aus dem einen Jahr Recherche mitgebracht? Ich war zum Beispiel in einem privaten Kindergarten und habe dort eine Hausführung bekommen. Mir wurde dann auch der Keller gezeigt: Da war eine komplette Wellnesslandschaft mit Sauna und Physiotherapie – weil die auch schon oft Rückenschmerzen hätten. Das war wie ein Vorgriff auf das Managerleben. Hochgradig absurd. Kann es sein, dass wir das Elite-Wesen erst in den vergangenen 10, 15 Jahren gelernt haben? Gerhard Schröder hat 1998 gleich in seiner ersten Regierungserklärung gesagt: Jetzt brauchen wir wieder Eliten! So hat der natürliche Gegner der Eliten, die Sozialdemokratie das Okay gegeben. Das hat einen Umschwung gegeben, glaube ich. Und dass so viele Einrichtungen sich so offen als Elite bezeichnen, das hätte es vor ein paar Jahren nicht gegeben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Julia Friedrichs arbeitet als Journalistin in Köln und Berlin. Gibt es eine Verschärfung der Bildungsbedingungen? Dass der Mensch, naja, nutzbarer gemacht werden soll? Das hat sich durch meine Recherchen gezogen: Wissen soll immer direkt verwertbar sein. Das ist schon bei Zweijährigen zu beobachten, deren Eltern über Englisch und Chinesisch nachdenken, weil sie die Sprache für nutzbar halten. Und nicht, weil sie sie schön finden. Es geht um bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Und, noch ein Beispiel: Wir waren in einer Kleinkindschule für "ab 2-Jährige" - da lernen die Kinder Marketing! Wirklich? Mit zwei Jahren? Sie müssen ein Spielzeugmonster entwerfen unter dem Gesichtspunkt: Wie soll das Monster aussehen, damit es die meisten Kinder kaufen? Und die sind zwei, die Kinder! Das klingt nach einer Perversion des Frühförder-Gedankens. Aber auch diese Kleinkindschule erfreut sich einer großen Nachfrage. Die Eltern wollen das. Bei den Kleinkindern waren das vor allem obere Mittelschicht-Eltern, die einfach eine Höllenangst haben, dass ihr Kind scheitert oder arbeitslos wird. Die denken: Wenn er mit zwei Jahren schon soviel kann, dann kann er schon nicht scheitern. Da ist "Elite" wie eine Versicherung. Derzeit gibt es so viele Privatschulen wie noch nie. Der Anteil an den allgemeinbildenden Schulen ist auf 7,5 Prozent gewachsen. Haben diese Schulen wegen der Angst der Eltern soviel Zulauf? Das streben die Eltern an: Meinem Kind sollen die ganzen Sorgen erspart werden. Deshalb findet zwischen den Eltern der Kleinkinder schon ein Wettrüsten statt. Powerpointkurse für Vierjährige zum Beispiel – alles im Angebot. +++ *Gestatten, Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen von Julia Friedrichs ist bei Hoffmann und Campe erschienen und kostet 17,95 Euro.

Text: peter-wagner - Foto: Gerrit Hahn

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