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Frau Minister ging in Flammen auf

Text: virgina
Der Onkel heiratet. Welch gute Partie.

Mit allem Pomp, wie es sich gebührt für des Ministers Töchterlein, und zehn Meter Seiden-Schleppe für die Braut mit den blonden Haaren. Märchenhochzeit.

Ein Tenor der Staatsoper singt und ich darf die Ringe auf einem Silbertablett tragen. Mein Bruder streut Blumen und legt jedes Rosenköpfchen sorgfältig auf den Kirchenfußboden, was den durchgeplanten Vorgang etwas verzögert. Keiner verzieht die Miene.

Der Glamour der großen, weiten Welt streift auch uns ein bisschen seitdem. Jeden zweiten Monat kommt eine Wundertüte mit abgelegten Couture-Gewändern der Ministergattin.

Eine echte Dame, klein und zierlich. Nie ohne Hut und Handschuhe.

Gierig berühren wir die feinen Stoffe der nicht mehr benötigten Kleider und Kostüme, in extravaganten Farben, bevorzugt in Eiscremetönen, und die eingenähten Etiketten von Valentino, Givenchy, Dior und Yves Saint Laurent künden von einer anderen, unerreichbaren Welt. Meine Mutter ändert, verkleinert, schöpft Neues daraus.

Noch heute hängt auf dem Speicher ein Etuikleid in Cyclam mit Jäckchen. Feinste Qualität, Blümchen an Blümchen. Das blieb so. Museal. Unverändert. Eine Skulptur.

Einmal durfte ich dorthin, in die Minister-Villa. Angestellte mit weißen Spitzenschürzchen servierten auf Silbertabletts dünnen Tee und zartes Gebäck. Am meisten gefiel mir jedoch der parkartige Garten und der Hund. Ich wurde gelobt wegen meiner Artigkeit und wollte so sehr gerne wiederkommen. Soweit ich mich erinnere, geschah das aber nicht.

Man sah sich dann nur noch zu Familienfeiern.

Eine Schau von Glanz und Gloria. Wie im Theater. Ein Ereignis.

Meine angeheiratete Tante bekam zwei Söhne, einen nicht geratenen und einen geratenen.

Das Problem wurde aufwändig mit Schweizer Seelen-Spezialisten gelöst und die Tüten blieben irgendwann aus. Sie fehlten nicht.

Einmal sah ich dann Frau Minister, als sie schon Witwe war und sich im Erbschaftsstreit mit ihren beiden Kindern befand, in der Maximilianstraße. Eine elegante Erscheinung in Cremeweiß und Krokopumps mit dazupassender Tasche, gebeugt von der Osteoporose, die ihr das Leben etwas schwer machte.

Die Dame erreichte ein hohes Alter und lebte allein in ihrer herrschaftlichen Umgebung mit rosafarbenen Samtvorhängen und Schabracken und weißgoldenen Stilmöbeln im Rokokostil.

Am Silvestertag des vergangenen Jahres war sie an einem gewissen Ort gewesen und um unangenehme Gerüche zu beseitigen, wurde, wie es sich gehört, ein Streichholz entzündet, das ihr unglücklicherweise entfiel und den flauschigen, himbeerfarbenen Morgenrock mit Marabuflaum-Besatz sofort in Flammen aufgehen ließ. Aufgrund ihrer Bewegungsunfähigkeit durch die schleichende Krankheit, gelang es ihr nicht, sich von diesem sogleich zu befreien. Sie konnte jedoch noch den Notruf alarmieren und öffnete mit einer ungeheuren Haltung dem Aufgebot an Feuerwehr, Polizei und Notarzt. Aufrecht, mit Verbrennungen zweiten Grades an Armen, Oberkörper und Kopf bestieg sie den Rettungshubschrauber. Das Feuer im Haus konnte rechtzeitig gelöscht werden.

Man versetzte sie in ein künstliches Koma und auf der Intensivstation der Klinik wurden diverse Operationen an ihr vorgenommen. Unter anderem an der Bindehaut.

Inständig betete ich, dass sie nicht mehr aufwachen solle.

Gott hatte ein Einsehen und bewahrte sie vor der höchsten Pflegestufe und dem Blick in den Spiegel.



Die Leiche ist noch nicht freigegeben.

Ich habe sie in guter Erinnerung.

Eine Lady, von deren Gefühlen ich nichts weiß. Ob sie je jemand danach gefragt hat?



Das Kleid auf dem Speicher habe ich heruntergeholt. Es duftet noch nach einem schweren Parfum. Immer noch. Nach all den Jahren.

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