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Die magischen Momente der Liebe: Line Hovens gekratzter Comic "Liebe schaut weg"

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Der Augenblick am Anfang, an dem alles begann, der muss ein magischer Moment gewesen sein: Die eigenen Eltern, noch weit davon entfernt, Eltern zu sein, begegnen sich das erste Mal. Und es passiert. Wie entsteht Liebe? Wächst sie, zaghaft, langsam? Kommt sie mit einem Donnerschlag, wie Blitze es tun, jählings und umwerfend? Oder entsteht Liebe wie ein Brand, allein aus einem Funken anfangs, der zum Glimmen wird und dann erst zu Feuer? Darüber reden Eltern nicht. Aber von dem Augenblick, an dem alles begann, von dem – ja.

Es ist interessant, dass Line Hoven in ihrem Comic „Liebe schaut weg“ gleich mehrmals auf den magischen Moment zurückkommt, an dem sich zwei Menschen treffen und danach zu zweit sind (und schließlich Eltern). „Liebe schaut weg“ ist ein Familienepos in Bildern, die Geschichte von Lines Familie, von ihren Großeltern bis zu ihr selbst – und ein Großteil ihres Comics widmet sich dem Augenblick, an dem ihr Großvater ihre Großmutter kennenlernte, beim Eislaufen. Oder dem Moment, an dem ihr Vater, der Medizinstudent aus Deutschland, auf einer Party ihrer Mutter näher kommt, der Austauschstudentin aus Amerika. Man muss wissen, dass Line Hoven ihre Comics nicht zeichnet – sie kratzt sie. Sie benutzt Papierbögen, beschichtet zuerst mit Kreide und dann mit Tusche, und in diese Negativbögen kratzt sie, Strich für Strich, ihre Bilder. Diese Technik dauert lange. Sehr lange. Für „Liebe schaut weg“, einen Comic von 96 Seiten, hat Line Hoven mehrere Jahre gebraucht. Sie hat sich also entschieden, mehrere Monate, vielleicht sogar ein Jahr auf die Momente zu verwenden, an dem ihr Vater ihre Mutter, ihr Großvater ihre Großmutter traf. Warum? Weil es magische Momente waren? Es sieht nicht so aus. Großvater und Großmutter, das war ein Zufall beim Eislaufen. Vater und Mutter, eine Party. Trotzdem kratzt Line Hoven diese Augenblicke in ihrem Comic aus der Erinnerung heraus, die von Raureif beschlagene Scheibe des Busses zur Eislaufbahn, das weite Eis, die zögerlichen Sätze. Das Brauereischild am Eingang der Bonner Tanzhalle, die Blätter, die die Bäume an diesem Tag trugen, ihren Vater und ihre Mutter, wie sich langsam näher tanzen. Da ist nichts magisch. Und doch ist es zauberhaft, diese Momente in den Bildern Line Hovens zu erleben, die so einfach und zugleich so detailliert daher kommen, dass man sich daran fest sehen kann. Autobiographische oder besser: aus dem Leben des Autors gegriffene Comics sind seit ein paar Jahren groß in Mode, manche sagen: zu sehr in Mode. Es ist schick, Familientralala zu zeichnen, und manche Zeichner stürzen sich jetzt auf ihr eigenes Leben wie in einen Steinbruch, dringend bemüht, ihm eine ordentliche autobiographische Geschichte abzuringen, weil: Das gehört sich gerade so, das läuft gerade super. Das ist schrecklich. Vor allem, weil diese Zeichner recht haben: Das läuft gerade wirklich super – Comics wie David Bs. Die heilige Krankheit, in der der Zeichner seine und die Geschichte seines epileptischen Bruders zeigt und von dem gerade der wunderbare zweite Band erschienen ist, sind herzzerreißend. Aber deswegen müssen nicht ab sofort alle Comics autobiographisch sein. Es braucht schon einen wahren, einen aufrichtigen Anlass, um diese Form zu wählen. Einen Anlass zum Beispiel, wie ihn Line Hoven hat: zu zeigen, wo sich die Geschichte ihrer Familie verschränkt, wo sich die Wege kreuzten, was das für Momente waren, an denen sich zwei Menschen trafen und danach alles anders war. Das müssen gar keine magischen Momente sein. Ein Zufall beim Eislaufen genügt. Ein paar Minuten in der Mensa. Eine Party im Bonner Tanzhaus. Und es passierte. Hier kannst du dir eine Seite aus "Liebe schaut weg" ansehen.

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