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Mädchenfrage: Jungs, wer von euch bezahlt eigentlich für die Liebe?

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Jungs, wer von euch bezahlt eigentlich für Liebe? Ich habe schon tausend Statistiken gelesen, die immer das gleiche Ergebnis haben: Jeder dritte deutsche Mann war schon einmal bei einer Prostituierten. Das Prinzip Prostitution ist für uns Mädchen noch immer rätselhaft, denn beileibe hat nicht jede Dritte von uns –ganz im Gegensatz zu euch!- damit zu tun. Scheinbar gibt es in Sachen horizontales Gewerbe kaum Nachfrage von weiblicher Seite, denn die männliche Prostituierte gilt als Randerscheinung. Ich als Mädchen verbinde mit Prostitution vor allem Elend, Schmutz und Ekel – deshalb kann ich mir nicht vorstellen, warum ganz normale Männer freiwillig mit so einer Angelegenheit zu tun haben. Ich kann gar nicht anders, als in Warteschlangen, Hörsälen und öffentlichen Verkehrsmitteln jeden Dritten auszuzählen und mich über ihn zu wundern. Nicht jeder dritte Mann sieht so aus, wie die Freier im Boulevardfernsehen mit dem schwarzen Balken über der Augenpartie: Alt, dicklich und mit Bart. Und von den Menschen, die ich kenne, sieht auch keiner so aus. Die Auszähl-Methode ist nicht sehr wissenschaftlich, deshalb bin ich in Forschungsstufe Zwei zu repräsentativen Umfragen im Freundes- und Familienkreis übergegangen. Ich fragte meinen Freund, die Freunde meiner Freundinnen, in einem bizarren Moment sogar meinen Vater. Jeder behauptete, noch nie bei einer Hure gewesen zu sein. Und das Dumme war: Ich glaubte ihnen allen. Vielleicht ist meine Umfrage verkehrt gelaufen, weil ich keine Prostituierten-Zielgruppen im Freundes- und Bekanntenkreis habe. Meine Freundin Ilona hat mir erzählt, dass sie jemanden kennt, der bei einem großen deutschen Unternehmen im Vertrieb angestellt ist. Er berichtete, dass ein erfolgreicher Geschäftsabschluss meist mit einem Bordellbesuch gekrönt wird. Amerikaner seien manchmal ein bisschen zu verklemmt, aber Kontinentaleuropäer legen großen Wert auf die Postprofit-Prostitution. Getränke und Stripshows laufen über die Firmenkreditkarte, für Geschlechtsverkehr muss jeder selbst aufkommen. Als Ergebnis meiner Prostitutionsforschung habe ich nun also zwei Freiergruppen: die Ekeltypen und die Geschäftsmänner. Aber ganz offensichtlich machen diese zwei Gruppen nicht ein Drittel der männlichen Bevölkerung aus. Aber wer sind dann die Bordellbesucher? Etwa ganz normale Jungs wie ihr?


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Eine Sache wäre damit ja schon mal geklärt: Die Mädchen, die mich in Warteschlangen, Hörsälen und der U-Bahn manchmal so eindringlich ansehen, die finden mich also gar nicht interessant oder attraktiv oder sonst wie ansprechend – die wollen nur wissen, ob ich der Schuft bin, der in den Puff geht. Das ist gut zu wissen. Dann lächle ich das nächste Mal nicht zurück. Dann rufe ich das nächste Mal: Der dritte Mann, das bin nicht ich! Mir macht das ein wenig Angst, wenn ich mir vorstelle, dass ihr uns – und sei es auch nur manchmal – mustert und dabei murmelt „Ene-mene-muu, ins Puff gehst du“. Ich würde sogar sagen: Das haben wir nicht verdient. Klar, Bordelle und Huren und alles, was dort passiert, das ist schon ein Thema unter Jungs. Nach vier Bier zum Beispiel, wenn das Ich krawallig wird. Oder, viel öfter noch, wenn man ein Buch liest oder einen Film sieht oder ein Lied hört, in dem Prostitution eine Rolle spielt, davon gibt es nämlich ganz schön viele, und dann ins Denken kommt – wobei: Träumen wäre der bessere Begriff. Denn Prostitution existiert für uns gewissermaßen in zwei Ausprägungen: Zuerst einmal in der edlen, von fremden Erinnerungen bestimmten Variante, die sich aus Büchern, Liedern, Filmen speist – und nein, es geht dabei nicht um Julia Roberts und „Pretty Woman“. Es geht um Gabriel Garcia Marquez oder Charles Bukowski oder Ernest Hemingway, die einen mit ihren Werken glauben machen, gute Literatur sei ohne Hurerei gar nicht möglich. Es geht um die Lieder, ob sie nun vom Skandal im Sperrbezirk singen, von bitches oder von Hurenliebe. Es geht um Filme, die „Taxi Driver“ heißen oder „Leaving Las Vegas“ oder „Apocalypse Now“. Alle diese Dinge sorgen dafür, dass Jungs Prostitution ein bisschen so sehen wie Gewalt in den Action-Filmen: Sieht ja super aus, geile Sache, irgendwie schon. So wenig, wie Jungs allerdings zu gewalttätigen Verbrechern werden, nur weil das in „The Departed“ so toll aussah, so wenig laufen Jungs in den Puff, nur weil sie wissen wollen, ob alle Huren so nett mit Jungfrauen umspringen wie im Lied „Lola“. Denn es gibt noch die andere Ausprägung der Prostitution – die eklige Variante, die jeder Junge kennt, wenn er einmal nach viel mehr als nur vier Bier mit großen Sprüchen auf den Lippen und kleinen Zweifeln im Herz zum Straßenstrich gefahren ist und kurze Zeit später zurück, ohne Sex, weil Huren in der wahren Welt nur wenig mit dem Bild zu tun haben, das man sich als Junge zusammenträumen kann. Ich kenne sehr viele Jungen, die diese ernüchternde Erfahrung schon mal gemacht haben. Vielleicht gehört sie sogar dazu, vielleicht muss man das mal gemacht haben als Junge: zu Huren gehen und merken, dass dort nichts romantisch ist, nichts geil, sondern alles Geschäft. Vielleicht gehört es auch dazu, mal zu sehen, wer denn zu Huren geht. Das sind nämlich Männer aller Arten, große, kleine, hässliche, schöne, dicke, aber auch dünne, mit Schnurrbart oder auch ohne, und ich bin mir sicher, würde man nach politischen Vorlieben fragen, es gäbe Erzkonservative ebenso wie Linksliberale oder Grüne. Es sind aber fast ausschließlich – Männer. Nicht, dass wir keine Männer wären, aber im Gegensatz zu diesen Männern sind wir Jungen: Die Typen, die den Straßenstrich auf und ab fahren, das sind Männer, so ab 30, aber eher um die 50. Kann ich nicht beweisen, schon gar nicht mit Statistiken, war nur meine Beobachtung. Und das war für mich der größere Schock als die irgendwie schon erwartete Erfahrung, dass Huren in der wahren Welt anders sind als in der Phantasie: Diejenigen, die zu Huren gehen, sind stinknormale Männer, alle mindestens zehn Jahre älter als ich – aber sonst hätten das auch Menschen sein können, die ich kenne und Freunde nenne. Dann stelle ich mir dieselben Fragen wie ihr: Was wollen die da? Ist es Beziehungsunfähigkeit, ist es Vergnügen, ist es Verzweiflung? Oder, noch schlimmere Vorstellung, ist das Endzeit-Erotik: Mit 50 müssen es dann Nutten sein? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eines: Ich hoffe ganz fest, dass ich mit 50 immer noch zu den zwei Dritteln gehöre, die nicht zu Prostituierten gehen. durs-wacker

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