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Im Warenkorb: Hitler reloaded - zwei Bücher über den Mann mit dem komischen Bart

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Ein Buch mit Adolf Hitlers Gesicht auf dem Cover – das könnte ein Grund sein, es nicht zu lesen. Diejenigen, die die „Holocaust education“ in Deutschland erreicht hat, haben meist nach überstandener Schulzeit das Gefühl, es könne ihnen über das Dritte Reich nicht mehr viel beigebracht werden, oder sie sprechen sogar von einer „Überdosis“. Fernsehdokus zu gewissen Jahrestagen, deren Reiz entweder in der Schilderung blutiger Szenen oder im Hervorkramen privater Details der Beteiligten besteht, bestätigen diesen Eindruck. Mit der Feststellung, Hitler sei "eben ein Monster“ gewesen, haben sich viele zufrieden gegeben - und können auf krampfhaft detaillierte Beschreibungen dieser Monster-Natur verzichten. Interessant und verdächtig In zwei gerade ins Deutsche übersetzten Romanen (und nur auf einem der beiden Buchtitel ist Hitlers Visage zu sehen) wird aber etwas Neues versucht. Allein dadurch, dass sie keine Sachbücher sind, machen sich „Das Schloss im Wald“ von Norman Mailer und „Adolf H. – Zwei Leben“ von Eric-Emmanuel Schmitt gleichzeitig verdächtig und interessant. Verdächtig: Fiel denen nichts mehr ein, oder warum mussten sie ausgerechnet Hitler als Romanfigur verwursten? Aber interessant: Mailer und Schmitt rekonstruieren die Biografie Adolf Hitlers jenseits vom Anspruch auf historische Ernsthaftigkeit und ohne den Adrenalinpegel ihrer Leser durch einschlägige Beschreibungen in die Höhe treiben zu wollen. Sie schreiben streng genommen sogar beide am Thema vorbei. Mailer beschäftigt sich hauptsächlich mit Adolfs Vater, dem schnauzbärtigen Grenzbeamten und Hobby-Imker Alois, während Schmitt dem Diktator eine Alternativ-Karriere als surrealistischer Maler auf den Leib schneidert. Und gerade durch dieses Weniger an Fixiertheit auf die bekannten Diskussionspunkte können diese beiden Bücher wirklich etwas Neues sagen über die Frage, wie Hitler zum Diktator wurde – und in welchem Fall er es vielleicht nicht geworden wäre.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bild: Langen/Müller Verlag Die beiden knapp 500 Seiten starken Romane ergänzen sich gut: „Das Schloss im Wald“ beschreibt furchtbar detailgetreu die Hitlersche Familiengeschichte voll Armut, Patriarchat und inzestuöser Verbindungen. Am Ende des Buches ist Adolf siebzehn Jahre alt, voller Wut auf die Welt und hält sich seit längerer Zeit für ein verkanntes Genie; mit seiner gescheiterten Aufnahmeprüfung an der Wiener Kunsthochschule beginnt dann „Adolf H. – Zwei Leben“. Eric-Emmanuel Schmitt wagt das Gedankenexperiment, einen gewissen „Adolf H.“ in einem zweiten Erzählstrang die Prüfung bestehen zu lassen, während „Hitler“ durchfällt. Der Werdegang des Letzteren ist eigentlich bekannt, liest sich aber durch die Schilderung aus der privaten Perspektive auf eine neue Art beklemmend. Während diese Existenz zwischen Angst und zerstörerischer Wut, in der die Freundschaft zu einem Hund zu den positivsten emotionalen Erlebnissen zählt, ihren Lauf nimmt, landet der junge „Adolf H.“ sehr bald auf der Couch eines gewissen Dr. Freud, zieht als Soldat in den Krieg gegen Frankreich, belebt später als Maler die surrealistische Szene in Paris und lebt unter anderem mit einer Frau mit dem wohlklingenden Namen Elf-Uhr-Dreißig zusammen, bevor er Familienvater wird. Muss das sein? Das klingt sehr einfach und irgendwie auch ketzerisch. Schließlich deuten beide Autoren an, erklären zu können, was Hitler zum Diktator machte – wobei Schmitts Version, die das Scheitern an der Kunstschule zum zentralen Erlebnis macht, wenig spektakulär erscheint gegen Mailers Entwurf, in dem göttliche und teuflische Mächte im Kampf um die Seelen der Menschen liegen und der Ich-Erzähler ein Angestellter des Satans höchstpersönlich ist. Freunde der Psychologie werden hier abserviert; den Namen Freud hat in den österreichischen Provinzorten, in denen Hitler aufwächst, noch niemand je gehört. Muss das sein – mit solchen unterkomplexen Mitteln versuchen, etwas zu erklären, das nach allgemeiner Ansicht nicht verstanden werden kann und für das auch kein Verständnis geweckt werden sollte? Gerade dieses Tabu sollte wohl langsam relativiert werden. Denn wenn irgendeine Beschäftigung mit Hitler Sinn macht, dann ist es eine, die Fragen aufwirft, wo in unserem Bewusstsein sonst nur Fakten und historische Gewissheiten stehen. Hätte es ohne ihn keinen Antisemitismus, keinen Nationalismus und keinen Krieg im Europa der dreißiger Jahre gegeben? Was kann soziale Abweisung aus einem Menschen machen? Und hatten Gott und der Satan vielleicht auch als bloße Einbildungen der Landbevölkerung ihre Finger mit im Spiel? Auch aus der Geschichte des Dritten Reiches wird jedenfalls nach und nach ein quasi-religiöses System mit seinen eigenen Tabus. Um die aufzubrechen, muss man nicht am Stammtisch die Meinung vertreten, Hitler habe wenigstens Arbeitsplätze geschaffen. Man kann stattdessen ein Buch lesen, in dem er ausnahmsweise nicht von vorneherein ein Monster ist und klar wird, dass Geschichte nicht von einzelnen Menschen geschrieben wird, sondern von den Gesellschaften, die sie prägen. ++++++ Das Schloss im Wald von Norman Mailer ist gerade im Langen/Müller Verlag erschienen und kostet 29,90 Euro. Eric-Emmanuel Schmitts Buch "Adolf H. – Zwei Leben“ erscheint Anfang 2008 auf Deutsch,

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