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Fleischpflanzerl gegen Buletten: Der Briefwechsel München-Berlin

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Ich kann nicht sagen, dass man mich nicht gewarnt hatte. „München?“, fragten mich meine Berliner Freunde, „bist du irre?“ Sie fragten es mich so oft, bis ich selber kaum noch hinwollte. Zur Ablenkung und weil in München nur lahme Anzugträger in langweilige Clubs gehen, sind wir vor meinem Umzug noch eine Woche lang von einem Berliner Club zum nächsten gefahren. Zum Abschluss aßen wir Schawarma für je 2,50 Euro beim fantastischen Babel-Imbiss neben meiner Wohnung, und dann stieg ich – zugegebenermaßen etwas übermüdet – in einen schwarzen Audi des Autoverleihers Sixt. Der Wagen sah in Berlin aufs Dekadenteste edel aus. Aber die Freude währte nur rund 500 Kilometer. Willkommen in Bayern Kurz vor München wurde ich geblitzt – der Schein ist vermutlich einen Monat weg. „Willkommen in Bayern“, sagte ich leise zu mir selbst und dachte: ein kleiner Vorgeschmack, auf das, was mich „dort“ erwarten wird. Dort, wo die Leute Fleischpflanzerl sagen, wenn sie Buletten meinen. Dort, wo man nur willkommen ist, wenn man Geld hat. Dort, wo die Leute Edmund Stoiber gewählt haben. (Und Christian Ude, ja, aber den nur, weil sie eigentlich gerne coole Berliner wären und daher von Zeit zu Zeit ihre sozialdemokratischen Neigungen unter Beweis stellen möchten.) Der geneigte Leser erkennt hier vielleicht, dass ich nicht vollständig vorurteilsfrei in die Landeshauptstadt fuhr.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Andererseits: den Werteverfall im Nord-Süd-Gefälle bemerkte ich sofort. Mein geliehener Wagen wirkte zwischen all den Porsches und BMWs ziemlich armselig. Noch erstaunter war ich allerdings über die eigene Münchner Währung. Geld, liebe Leser außerhalb Bayerns, heißt hier ebenfalls Euro und Cent, ist aber verwirrenderweise ungefähr zwei Drittel weniger wert. Besonders paradox wird diese Umrechnung durch den Fakt, dass trotzdem alle Menschen offensichtlich reicher sind als im Nordosten. Naja, ich ja leider nicht. Trotzdem bin ich dem Ratschlag einer ebenfalls zugezogenen Studentin noch nicht gefolgt: Nach günstigen Restaurants gefragt, empfahl sie mir den Hauptbahnhof. Aber um ehrlich zu sein: Der Reichtum hat vor allem positive Auswirkungen. Die Menschen hier sind gepflegter, besser angezogen und höflicher. Man kann U-Bahn fahren, ohne um Geld oder Essen gefragt zu werden. Und die Stadt ist – anders als Berlin – keine Baustelle. Wenn hier etwas kaputt ist, wird es nicht zur Kunst erklärt, sondern repariert. Auf der anderen Seite fehlt manch’ technische Errungenschaft vollständig: in der Münchner U-Bahn gibt es kein Handynetz! Das ist nicht distinguiert, das ist rückständig. Und dass eine so kleine Stadt in zwölf Tarifzonen aufgeteilt ist, beweist, dass der zuständige MVV-Planer einen eigenen BMW besitzt. Schlicht lächerlich ist das Format meiner zwei Zentimeter breiten Monatskarte, die immerhin 50 Euro gekostet hat: aus Versehen habe ich einen alten Kaugummi darin eingewickelt. Sonst aber waren die Warnungen meiner Freunde bislang wenig gerechtfertigt. Übrigens auch die Frauen betreffend: Berlin mag arm und sexy sein, München aber ist reich und sexy – vor allem in Schwabing und in Uni-Nähe. Frauen: super! Aber muss man deswegen gleich einen Radiosender „Arabella“ nennen? Von Zeit zu Zeit, scheint es mir, beweist der Münchner doch gerne, dass er Provinzler ist – durch und durch. In die Kategorie gehören auch die zahlreichen Hinweisschilder. Wer hier lebt, mag sie nicht bemerken. Aber wer neu ist, wundert sich durchaus darüber, dass ein Schild in jeder U-Bahn-Station über die „Benutzungsordnung dieses Gebäudes“ aufklärt. Man nimmt's hier mit Recht und Ordnung doch sehr genau. Die „Ja, mei“-Kultur Gleichzeitig gibt es hier eine Lässigkeit, um die die Münchner zu beneiden sind. Besonders liebenswert ist die Formel „Ja, mei". Die ist bestens geeignet, typische weiß-blau Aufreger angemessen zu kommentieren. Der Max Straß ist unschuldig? Ja, mei. Die Parkhaus-Millionärin soll von ihrem eigenen Neffen ermordet worden sein? Ja, mei. Ein vermutlich betrunkener Pädagoge ist im Eisbach ersoffen? Ja, mei. Ob der Reichtum neben der Lässigkeit auch für die Freundlichkeit der Münchner verantwortlich ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall aber sind sie nett. Und wie! Als ich – unfähig, das Parkhaus für Mietwagen zu finden – den Wagen im absoluten Halteverbot vor einer Polizeiwache abstellte und den nächstbesten Passanten um Hilfe fragte, entpuppte der sich als zivil gekleideter Polizist. Noch nie hat mir jemand so höflich den Weg erklärt. Und am nächsten Morgen, auf dem Weg zum ersten Arbeitstag, gab mir ein älterer Herr im Anzug mit Einstecktuch eine halbe Stadtführung. Ganz zum Schluss fragte er mich, wo ich denn bislang gewohnt habe. „In Berlin“, sagte ich. „Ja, mei“, erwiderte er – voll Münchner Freundlichkeit bemüht, sein Mitleid nicht herausklingen zu lassen. Es war offensichtlich: Berlin ist für ihn Wilderniss, Unzivilisiertheit, Sodom und Gomorrha. Nach einer Woche in München, beginne ich, ihn zu verstehen. Obwohl ein Schawarmateller beim Libanesen hier 14 Euro kostet. Johannes Boie Auf der nächsten Seite liest du die Geschichte von Klaus, der aus München nach Berlin zog.


Neulich bin ich in einem Wirtshaus namens „Obermaier“ gewesen. Es liegt in in Berlin-Kreuzberg, man bekommt dort Schweinsbraten und Mühldorfer Weißbier, sitzt an Biergarnituren und trifft Kellnerinnen und Kellner, die „Ein Weißbier, bitte“ bei der Bestellung nicht in „Also ein Hefeweizen“ übersetzen. Das „Obermaier“ sei Berlins münchnerischster Biergarten, hat man mir gesagt – und eingeladen wurde ich von zwei Süddeutschen, die schon eine halbe Ewigkeit in Berlin leben. Wir tranken Weißbier, unterhielten uns, und plötzlich fiel die Frage: „Wie gefällt dir Berlin?“ Ich antwortete, eher aus dem Bauch heraus: „Ich denke, man kann sich an Berlin gewöhnen.“ Und die Reaktion war: „Genau. Das trifft den Punkt.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich bin jetzt seit ein paar Wochen hier. Und in manchen Momenten fürchte ich, dass das wirklich schon das Beste ist, was ich über Berlin sagen kann: dass man sich schon daran gewöhnt. Das sind die Momente, in denen Klaus Wowereit sich zu Wort meldet und, wie kürzlich, allen Ernstes behauptet, Berlin sei „manchmal nicht selbstbewusst genug“. Interessante These von Berlins Regierendem Bürgermeister. Leider vollkommener Schwachsinn. Wenn es eine eingebildete Stadt in diesem Land gibt, dann ja bitte immer noch Berlin. Die Mitte der Welt „Arm, aber sexy“ so lautete der letzte Berlin-Slogan. Was damit eigentlich gesagt werden sollte, war: „Wir sind geil. Gebt uns Zuschüsse.“ Und nun wird es schlimmer. Nun gibt es ein neues Berlin-Board, das Werbung für die Hauptstadt machen soll. Darin sitzen irgendwelche Kultur- und Medienkrampen, die Sachen sagen wie: „Wenn aus Berlin nichts wird, wird aus Deutschland nichts.“ Auch das: vollkommener Schwachsinn. Klar, dumm geschwätzt wird überall. Aber tatsächlich scheint es mir manchmal, als hätte sich die PR-Attitüde, Berlin als die Mitte der Welt zu betrachten, durchaus ins Leben vieler Berliner hinein ausgedehnt. Berliner Plattenlabels glauben, sie könnten eine Berliner Band damit vermarkten, dass sie aus Berlin kommt. Berliner Bürgermeister halten sich für besonders wichtig, weil sie zufällig in der Stadt regieren, in der auch Politiker arbeiten. Und Berliner Friseure glauben, sie könnten ihren Kunden beknackte Frisuren schneiden und es damit rechtfertigen, dass die aus Berlin sind. Dieser Aspekt an Berlin macht mich kirre. Vor allem immer dann, wenn ich mich wehmütig daran erinnere, dass ich eigentlich verliebt in München bin. In die Sprache, die Biergärten, die Isar oder in die Tatsache, dass Münchner Winter charmant kalt sind. Berliner Winter sind ausschließlich kalt. Es spricht noch mehr gegen Berlin: die großen Entfernungen, die unübersichtlichen Veranstaltungsmagazine, die Tatsache, dass Umsteigen von einer U-Bahn in die andere am Alexanderplatz eine Viertelstunde Fußmarsch mit sich bringt, oder dass sich viele so wahnsinnig viel darauf einbilden, dass Berlin so billig ist. Das stimmt ja durchaus – Berlin ist billiger. Aber diese daraus resultierende „Geiz-ist-geil“-Attitüde geht mir echt auf den Zeiger. Dann aber gibt es auch die guten Tagen in Berlin, und an denen kann ich sagen: Alles ist in Ordnung. Berlin ist so heterogen, wie ich mir München manchmal gewünscht habe. Das kann natürlich auch anstrengend sein, weil man in Berlin eben auch mit mehr Leben konfrontiert wird. Schwerst Drogenabhängige, zum Beispiel, die einen in manchen Gegenden alle zehn Meter auf der Straße anmachen – in München sind die aus der Stadt verbannt. Das ist nicht besser, ich finde es sogar schlechter, denn München lügt sich da eins in die Tasche. München gibt einem manchmal das Gefühl, es gebe gar keine Probleme auf der Welt. Berlin ist ehrlicher. Ausgehen mit Würde Nachts um drei in einem türkischen Süßspeisenladen, der für Muslime geöffnet hat, die bald zum Beten gehen wollen, drei Frucht-Schoko-Teilchen zu kaufen – ich wüsste nicht, wo es das in München geben soll. Es gibt in Berlin genauso spitzenmäßig barsche Busfahrer wie in München und genauso hervorragend knorrige Bäcker, die auf ihren lokalen Bezeichnungen bestehen. Es gibt keine Alpen, aber die Ostsee. Man kann auf der Straße grillen. Berlin hat zudem, was das Nachtleben angeht, etwas Originäres, das München abgeht. Wenn in München ein neuer Club aufmacht, der ein wenig abgetakelt aussieht und keine bissigen Gesichtskontrolleure beschäftigt, heißt es: Jetzt wird München wie Berlin. Und immer, wenn das jemand in München sagt oder schreibt, hat das etwas von einem Minderwertigkeitskomplex. Weil vieles von dem, was in München im Sektor „Ausgehen mit Würde“ an Neuem entsteht, in Berlin einfach tatsächlich schon längst vorhanden ist. Jedenfalls, um nun einmal zum Punkt zu kommen: Wenn ich die Momente, in denen ich Berlin bescheuert finde, und die, in denen ich extrem gerne hier bin, nebeneinander stelle, muss ich feststellen, dass sich letztere immer mehr häufen.Ich bin fast schockiert. München und ich – wir wollten doch heiraten. Aber es ist so. Klaus Raab Illustrationen: katharina-bitzl

Text: johannes-boie - klaus-raab

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