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Pinselstriche und Perlentaucher

Text: Buddha_vom_Brot
Ich habe mir ein Bild gemalt. Das Bild einer Frau. Es entstand ganz langsam, über Jahre hinweg, irgendwo in mir. Jeder Abschied, jede Begegnung, jede verpasste Liebe hinterließ ein paar Pinselstriche.



Jetzt trage ich es immer in mir. Und ohne es zu wollen, verfeinere ich es jeden Tag. Nur löschen kann ich es nicht. Ich will es los werden, einen großen Eimer Farbe darüber schütten, aber ich schaffe es nicht. Einfach weg damit, schon lange, denn seit ich dieses unfassbare Gemälde in mir trage, ist kein lebendiges Mädchen mehr in der Lage, die Träume, die das Bild in mir weckt, zu erfüllen.



Viele gab es, die meisten waren irgendwie gleich, manche habe ich geküsst, aber keine, nicht eine einzige hat gespürt, dass keine ihrer Berührungen, kein an mich gerichtetes Wort bis auf den Grund meines Bewusstseins vordringen konnte. Da war immer dieses gemalte Mädchen, das alles abfing. Ich werde sie nicht los.



Manchmal, wenn ich versuchen will mit einer glücklich zu sein, höre ich das Mädchen. Leise und traurig sagt es Dinge wie „Das bin nicht ich!“ oder „Sie könnte nicht einmal meine Schwester sein!“ Und immer gebe ich ihr Recht. Und wieder sieht sie etwas zu Ende gehen.

„Aber wenn es dich nirgendwo gibt. Ich kann dich nicht finden.“ entgegne ich oft. Dann lächelt sie und sagt: „Doch, ich bin da.“



Eine gab es, die wusste mehr. Sie hörte das, was ich ihr nicht sagte. Es war im Winter als sie mich zur Rede stellte.

„Mit Logik kommt man bei dir auch nicht weit. Ich verstehe, wenn du dich dick anziehst, deinen Körper einhüllst, weil dir kalt ist. Aber warum packst du deine Gefühle ein, wo du doch merkst,dass es dadurch kühler wird. Ich habe dich gesehen – unter deinem dicken Mantel. Ich weiß, dass du gehen willst. Aber ich weiß nicht, warum. Ich bin schön, ich bin klug, ich habe jedes Talent. Soll ich fliegen oder mich unsichtbar machen? Soll ich für dich singen und tanzen? Für dich nach Perlen tauchen? Willst du? Ich kann auch Gold machen.“



Also blieb ich. Und sie hielt mich fest.

Für Wochen und Monate war ich überzeugt, das Richtige getan zu haben, machte mir vor, ich hätte sie doch gefunden, die Frau auf dem Gemälde.

Bis zu diesem einen Augenblick, der alles wieder änderte, der Moment, in dem ich begriff, was wirklich los war. Es war der flüchtige Blick auf das Bild, der erste seit langer Zeit, und ich hörte, wie das gemalte Mädchen sagte: „Ich würde dich niemals einsperren. Ich nicht.“



Als ich ging, hätte ich meine Perlentaucherin gerne in den Arm genommen, sie lange gehalten, aber mit wütenden Augen hielt sie mir unsere gemeinsame Zeit entgegen wie eine Lanze, so dass ich mich nur aus der Ferne verabschieden konnte.

„Siehst du, das bin nicht ich. Lass uns schnell gehen. Mir ist kalt.“ flüsterte mir das gemalte Mädchen dabei zu. „Und bitte höre nicht auf nach mir zu suchen. Ich bin ganz nah.“

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