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Jungs, müssen wir uns hübscher ausziehen?

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Die Mädchenfrage

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wenn sich Frauen in erotischen Filmszenen ausziehen, kann sich das schon mal mehrere Minuten hinziehen – pro Blusenknopf. Dies wird von den Männern starren und ehrfürchtigen Blickes begleitet und aus dem Off tönt sexy Soulmusik. Unter ihren Blusen tragen diese Film-Frauen gerne Seidenhemdchen, die sie an den Hüften aufs Ausgiebigste bauschen, halterlose Strümpfe, die sie sich selbst mit den Zähnen vom Bein ziehen und Stöckelschuhe so hoch wie das Matterhorn. Ganz abgesehen davon, dass ich keines dieser Kleidungsstücke im Schrank habe – selbst wenn: So etwas habe ich noch nie gemacht und mir liegt auch nicht besonders viel daran, es irgendwann einmal auszuprobieren und vorher auch noch vor dem Spiegel zu üben. Andererseits kann ich mir auch vorstellen, dass die von mir bevorzugte Methode (Pulli, T-Shirt, Unterhemd gleichzeitig über den Kopf wurschteln, Jeans mit Unterhose runterratschen und dann aufs Bett setzen und Socken aus) nicht gerade ein Feuerwerk der erotischen Art ist. Ich finde, im besten Fall geht Ausziehen so: Man stürmt knutschend nach einer langen Nacht in die Wohnung, rollt gemeinsam ins Schlafzimmer, zieht sich gegenseitig Hemd, Schuh und Strumpf aus und wenn man dann als menschlicher Schneeball im Bett angekommen ist und auseinander fällt, sind beide nackt und können sich ausgiebig und überall anfassen. Manchmal ist es aber anders. Man hüpft noch kurz ins Bad, der Andere hat sich schon entkleidet und ist unter die Bettdecke gehüpft und dann muss man sich vor dessen Augen auskleiden. An sich keine große Sache, wir können das ja, uns die Kleider vom Leib reißen. Aber gerade wenn man sich noch nicht so gut kennt, möchte man auch in dieser Situation lieber eine gute Figur, als sich verrenkungstechnisch zum Deppen zu machen. Allerdings käme ich mir wirklich sehr bescheuert vor, würde ich mich betont erotisch aus meinen Anziehsachen puhlen. Dazu kommt, dass das bei der von mir bevorzugten Kleidung nicht so einfach möglich ist: Man kann sich nicht erotisch aus einer Jeans winden. Und aus Socken gleich dreimal nicht. Was also tun? Soll ich doch mal einen Strip-Kurs in der Volkshochschule besuchen, weil ihr euch heimlich so ein bisschen Herumgetanze und –getease wünscht? Oder ist es euch lieber, wir erledigen das in einem ökonomisch sinnvollen Aufwand und schlüpfen dann schnell zu euch unter die Decke um da weiter zu machen, wo wir küssenderweise vorher aufgehört haben? Oder ist wieder mal alles ganz egal, Hauptsache große Brüste? Auf der nächsten Seite kannst du die Jungsantwort lesen


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Jungsantwort: In der Pubertätsgeschichte „Crazy“ gibt es eine Schlüsselstelle, in der die pubertierende Internatsclique in einen Stripclub ausbüxt und dort andächtig der Entblätterung einer Dame beiwohnt. Das Ereignis markiert den Höhepunkt der Jungsfreundschaft und ist gleichzeitig der Kick-Off zum Erwachsenwerden. Diese Szene stimmt uns ganz gut auf die Antwort ein, denn das erotische Ausziehen von Kleidung oder eben der Striptease gehört mit zu den ersten Dingen, die wir Jungs am erotischen Horizont erahnen, wenn wir auf das Ufer der Erwachsenen zufahren. Und es verhält sich damit ein bisschen wie mit großen Brüsten oder langen Beinen – wir bekommen gesagt, dass das erotisch sei und glauben es. Wir sehen Filmszenen wie du sie beschreibst, wir hören auf dem Pausenhof, dass betrunkene Mädchen auf einer Party „voll den Striptease“ hingelegt hätten, wir lesen Schilder an Rotlicht-Kaschemmen, wir sehen in Talksshows Unterwäsche-Strips, bei denen die Zuschauer johlen und unser Jungshirn speichert: Striptease ist sexy, Striptease turnt irgendwie an. All das spielt sich, wie gesagt, beim Heranwachsen ab. Später, wenn die Sexglocke tatsächlich zum ersten Mal so richtig läutet, ist man mit den essentiellen Verrichtungen und dem Verliebtsein viel zu beschäftigt, um den Langmut für aufreizendes Ausziehen im sanften Abendlicht aufzubringen bzw. dieses einzufordern. In dieser Zeit gehört Striptease, ähnlich wie Dildos oder barocke Dessous zu einer merkwürdig weit entfernten Erwachsenenerotik, bei der Lust mit aufwändigen Zusatzpraktiken angetrieben werden muss, bei der die Partner sich etwas einfallen lassen müssen, um den anderen zu erregen. Sehr fremd. Völlig klar ist andererseits, dass wir euch beim Ausziehen gerne zuschauen. Das ist sehr natürlich: Man schaut ja auch jeder Silvesterrakete beim Aufsteigen zu und guckt nicht nur oben hin, wo sie zerplatzt. Es ist spannend und ihr bewegt euch (offenbar ohne es zu wissen) schön dabei. Wie ein Koch der seit zwanzig Jahren in derselben Küche kocht, sich ja auch schön bewegt: geschmeidig und cool und ohne nachzudenken. Ich meine hier: normales Ausziehen. Bei dem ihr euch die Haare zerwuschelt und den BH ganz flapsig zu Boden fallen lasst, halbnackt noch das Fenster kippt und mit dem großen Zeh die Unterhose wegschießt. Das ist super. Wir könnten ewig zusehen. Und tun es auch. Sobald aber ein wilder Ernst dazukommt, ihr euch tatsächlich lasziv die Bluse unter der Kniekehle durchwindet, die Lippen lüstern fletscht und euch sonst wie absichtlich sinnlich bewegt, wird es schwierig. Denn dann merken wir, dass wir, wie oben angedeutet, in der Erwachsenenerotik angekommen sind, dass da eine nicht fröhlich zu uns ins Bett springt sondern tatsächlich jetzt das ganze Fass mit Handschellen, Intimrasur, Netzstrumpfhosen, Aphrodisiaka, Sprühsahne und Stöckelschuhen aufmachen möchte. Und dann liegt es am jeweiligen Charakter, ob man das jetzt plötzlich auch alles für nötig und gut erachtet. Oder ob man nicht doch mit der gleichen Mischung aus Verwunderung und Amüsement darüber kichert, wie über einen Heiratsantrag beim gemeinsamen Bungeesprung. Deswegen: Nicht nachdenken, einfach ausziehen. fabian-fuchs

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