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"Lies so viel über Sex, wie du kannst!" Ein "Pornology"-Interview

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Angestrichen: Mein Gehirn ist völlig pornofiziert. Es ist beinahe so, als hätte ich einen sechsten Sinn, nur dass ich keine Toten sehe, wie der Junge in dem Film, sondern nur noch Leute, die ficken. Als ich wieder zu Hause bin, versuche ich, die Bilder aus meinem Kopf zu vertreiben. So ähnlich muss es Spurlock gegangen sein, als er bei den Dreharbeiten zu Supersize Me feststellte, dass McDonald’s Zutaten verwenden und eine Geschäftspolitik betreiben, die darauf abzielt, ihre Kundschaft süchtig nach ihren Produkten zu machen.O mein Gott! Porno verhält sich zu Sex wie McDonald’s zu einer nahrhaften Mahlzeit. Kann es passieren, dass ich pornosüchtig werde? Wo steht das? In Pornology von Ayn Carillo-Gailey. Was steht da drin? Das Buch trägt den Untertitel: Ein braves Mädchen erkundet die abenteuerliche Welt der Strip-Clubs, Pornokinos, Freudenhäuser und Männermagazine. Und Pornology ist genau das: Ein Bericht über die Erfahrung mit der Welt der sexuellen Unterhaltung. Die Harvard-Absolventin Ayn hatte vor ein paar Jahren bei einem Exfreund einen Stapel Männermagazine entdeckt und einen Schock erhalten: Offenbar ist der Konsum von pornographischem Bildmaterial nicht abgestumpften Chauvisocken vorbehalten, sondern bei akademisch gebildeten Männern auch populär. Verwundert über ihre eigene Irritation beschloss Ayn, ein für alle Mal ihre Vorurteile zu beseitigen und darüber ein Buch zu schreiben. Im Laufe ihrer Recherchen besucht sie einen Stripclub mit ihrem Noch-Freund (und trennt sich gleich danach von ihm). Sie liest erotische Geschichten und masturbiert genüsslich. Sie besucht einen Blow Job-Kurs und lernt dort, dass Hand- und Mundbewegungen idealerweise aufeinander abgestimmt sein müssen, während die Zunge immer in Bewegung bleibt. Sie absolviert einen siebentägigen Pornomarathon und lernt nebenbei, wie sollte es anders sein, den Mann ihres Lebens kennen, mit dem sie auch noch den besten Sex der Welt hat. Und sie stellt fest, dass es einer Frau nur gut tun kann, sich einmal ausführlich mit den Möglichkeiten der Sexualität zu beschäftigen. Das alles ist in einem selbstironischen, leichten Tonfall erzählt. Hin und wieder kippt Pornology leider ein bisschen ins Geschwätzige. Aber schön ist, dass sich die Autorin wirklich in die Vollen stürzt. Schön ist auch, dass sie selbstironisch und unverblümt mit ihrer prinzipiellen Verklemmtheit umgeht. Eine gute Grundlage für ein Gespräch mit der Autorin ist das Ganze also allemal. Du beschäftigst dich in deinem Buch mit allen möglichen Aspekten des sexuellen Marktes, hast dein Buch aber Pornology genannt. Wie definierst du denn für dich Pornographie? Das erste, was ich für mein Buch gemacht habe, war den Begriff nachzuschlagen. Letztendlich bezeichnet das Wort alle Taten, Bücher und Produkte, die sexuelle Erregung hervorrufen sollen. Ich glaube aber, dass sich in den letzten Jahrzehnten die Wahrnehmung des Begriffes sehr gewandelt hat und wir heute eher negative Assoziationen damit haben. Ich habe mich aber nur für die lustigen, schönen Seiten interessiert, alles was mit Gewalt oder Missbrauch zu tun hat, habe ich weg gelassen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie war denn deine Einstellung zu dem Thema bevor du angefangen hast? Ich fand Pornos anti-feministisch, herabwürdigend und ganz generell dumm. Ich fand, dass die Gesellschaft besser dran wäre, wenn sie abgeschafft würden. Ich hatte Vorurteile, das weiß ich jetzt. Es gibt einfach gute und schlechte Pornographie und es ist wichtig, den Leuten diese Unterschied klar zu machen und ihnen zu helfen, Pornos auch zu genießen. Und im Moment tut sich viel, um den ganzen Bereich auch frauenfreundlicher zu machen. Das ist aber vor allem in den USA und England so. In Deutschland gibt es die populäre Sexkultur nicht wirklich. Ja? Aber ich kann mir vorstellen, dass sich das ändert. Ich habe ziemlich viel für die britische Ausgabe des Buches recherchiert. Der Kondomhersteller Durex führt ja jedes Jahr eine Umfrage durch und man muss sagen, dass Deutsche sich sehr für Pornographie interessieren. Die Deutschen konsumieren mehr pornographisches Material als andere Nationen. Was hältst du von der feministischen These der pornofizierten Kultur? Da ist auf jeden Fall etwas dran. Hier in den USA laufen in der Prime Time Werbeclips für Girls Gone Wild (eine US-amerikanische Sendung, die vor allem daraus besteht, dass feiernde College Mädchen ihre T-Shirts vor der Kamera ausziehen und mit ihren Freundinnen knutschen, Anm. d. Red.), junge Mädchen tragen T-Shirts mit der Aufschrift "Pornstar" und in Umfragen geben enorm viele als Berufsvorbild Jenna Jameson an. Das sind natürlich Entwicklungen, die ich persönlich auch erschreckend finde. Und ich glaube, dass Leute wie Paris Hilton das verstärken, weil sie sich so oft pornographisch verhalten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bild: Sam Gailey Hast du das Buch geschrieben, weil du Leute dazu bringen willst, über Pornographie nachzudenken? Nein. Wenn du dich niemals damit beschäftigen willst, ist das auch in Ordnung. Für mich war es eher die persönliche Herausforderung: Da gab es etwas, vor dem kluge, gebildete Männer keine Angst hatten, ich aber schon. Also musste ich mich damit konfrontieren. In dem Buch beschreibst du, wie du dir mit der Hilfe erotischer Lektüre einen Orgasmus herbei masturbierst und feststellst, dass du so guten Sex mit deinem Freund niemals haben wirst. Du trennst dich dann von ihm. Meinst du, dass es Leuten hilft, besseren Sex zu haben, wenn sie in ihrer Freizeit über Sexualität nachdenken? Ja, vor allem jetzt, wo ich über dreißig bin. Gerade hier in Los Angeles sind alle Menschen so wahnsinnig beschäftigt und haben vor lauter Arbeit, Kindern, Yogastunden gar keinen Nerv mehr für Sex. Deswegen hilft es total, wenn man sich bewusst mit dem Thema auseinandersetzt, es erdet einen irgendwie. Schließlich ist Sex der natürlichste, grundlegendste Instinkt, den wir haben. Wir könnten ja nicht existieren ohne Sex. Gerade Frauen, die zu gestresst sind um mit ihren Männern zu schlafen, sollten solche Geschichten lesen, um mal wieder auf den Gedanken zu kommen, dass ein bisschen Befriedigung angebracht wäre. Wie sehr hängt guter Sex von Kommunikation ab? Ich denke: Wenn es zwischen zwei Leuten eigentlich nicht stimmt, dann kann man noch so viel reden, das Gespräch wird immer frustrierend sein. Andererseits gibt es sicher auch Leute, bei denen die Chemie so ideal ist, dass sie super Sex haben, ohne darüber reden zu müssen. Aber ich glaube, dass mit der Zeit… warte mal, darf ich fragen wie alt du bist? Ich bin 24. Okay, also, wenn man 27 und älter ist, wird es immer schwieriger diesen heißen, großartigen Sex zu haben. Ich weiß nicht genau, woran es liegt, aber gerade in langen Beziehungen verblasst das Thema mit der Zeit. Und da braucht man auf jeden Fall Gespräche oder eben ein bisschen Porno, um sich darauf wieder konzentrieren zu können. Am Anfang des Buchs steht sehr viel über deine körperlichen Komplexe, aber je mehr du mit deiner sexuellen Entdeckung vorankommst, desto mehr verliert das Thema an Bedeutung. Wie sehr hängt sexuelle Zufriedenheit von der eigenen Körperwahrnehmung ab? Ich glaube, je selbstbewusster und sexualisierter man wird, desto weniger Gedanken macht man sich. Man ist als Frau so vielen Bildern und Vorgaben ausgesetzt, nach denen man sich richten soll, dass es praktisch unmöglich ist, sich selbst so zu mögen wie man ist. Aber natürlich hat die Eigenwahrnehmung wiederum eine starke Auswirkung aufs Sexleben. Ich zum Beispiel habe früher – selbst als ich mit 20 noch einen perfekten Körper hatte – sehr unter meinem Aussehen gelitten. Und wie steht es mit der Erfahrung? Kommt guter Sex erst mit der Zeit? Ich glaube ja, dass es viel wichtiger ist zu lesen, als viele Partner zu haben. Ein Mädchen, das den Kinsey-Report zum Beispiel liest, wird da mehr über ihren Körper erfahren, als wenn sie mit ganz vielen Jungs herum macht. Es gibt auch genügend Ratgeber, wie man mit sich selbst guten Sex haben kann. Oder mach einen Blow Job-Seminar, lerne das Wichtigste, ohne Geschlechtskrankheiten oder üble Beziehungen zu riskieren. Ich würde jedem jungen Menschen raten: Lies so viel du kannst. Nicht nur die Erotikliteratur, sondern das richtige Zeug. Pornology ist bei rogner&bernard erschienen

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