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Liebesmal

Text: sokratine
In deinen Armen anzukommen ist wie in den alten Filmen. Man wünscht sich jedes Design rot-weiß hinweg für eine Dampflok. Jede Strecke Frankfurt-Paris ist plötzlich sechsmal umsteigen. Und du bist ein Hauch von Sepia.

Ich kann nicht mehr schreiben als diese Bahnhofromantik. Ich kann nicht mehr denken als die knackende Ansage. Ich suche dein Gesicht unter vielen, und weiß, du wirst ewig brauchen, meines zu sehen. Habe ich mich verändert? Wohl schon. Mindestens einen Leberfleck habe ich mehr. Früher war das mein Alibi-Hautkrebs. Heute ist es dein Schönheitsfleck. Du sagst, wenn mich ein Junge sieht und sich wünscht, ich wäre seine, dann wird meine Haut von seinem unerfüllten Wunsch zart getupft. Jedes Mal, das weiß ich, wenn wir liegen und uns ganz sehen, zählst du alle Tupfer. Wahrscheinlich führst du eine Strichliste. Ich muss sie nur noch finden.

Dann hast du mich gesehen. Mein inneres Auge setzt dir eine Millionen Mantelkmobinationen auf, während du so lässig durch die Murmelmenge trabst. Ich bekomme Casanovaanwandlungen. Ich will mich in deine Arme legen und dich küssen, und dabei keine Lockenwickler in den Haaren haben. Die habe ich jetzt auch nicht, doch ich bräuchte sie dringend, so, wie ich schlurfe mit meiner Blümchentasche. Ich bin ein bisschen Milch und ein bisschen sauer, dass du mir nichts abnimmst. Und dann werde ich Sahne, weil du es jetzt tust.

"Stell doch ab", flüsterst du, und meine Haare rinnen dir, jedes einzeln, durch die Rillen zwischen deinen Fingern. Du schließt die Augen und legst deine Wange auf meine. Ich fühle es plingen in mir, als du mir mit deinen Fingerspitzen sachte über die bewusste Stelle hinter meinen Ohren streichst. Gibt es auch Schönheitsfleckchen und erfüllte Wünsche?

"Hallo", sagst du.

"Hallo", sage ich.

Nein, es gibt sie nicht.

Du zwängst dir die Tasche zwischen die Beine und hälst mich fest, und ich weiß, dass du ein bisschen weinen willst - aus Freude, weil du mich hast, aus Trauer, weil es sie nicht gibt. Aber das ist gut so. So viele Pigmente könnte mein Körper wohl nie aufbringen.

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