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G8-Blog: Alles ist blockiert

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Mittwoch, 6. Juni 2007

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

8:00 Auf dem Sportplatz von Admannshagen, fünf Kilometer westlich von Rostock ist eine Kundgebung angemeldet. Etwa 2000 Leute sitzen oder liegen im Gras. Eine Gruppe Männer hat die T-Shirts ausgezogen und spielt Fußball. Die Sonne scheint. Katharina steht in der Schlange zu den beiden Dixiklos. Sie hat gerade Abitur gemacht und kommt aus Aachen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

10:45 Die letzten großen Gruppen aus dem Rostocker Camp ziehen unter Jubelrufen auf den Sportplatz. Polizisten sperren die Straßen in Richtung Heiligendamm. „Die Polizei hat angekündigt, dass sie uns jetzt verlassen wird. Sie scheinen uns zu trauen und das ist schön!“ sagt die Frau am Megaphon. Die Demonstranten jubeln, das Vertaruen war umsonst. Sie setzen sich in Bewegung. Ein Zug geht über die Straße, Katharina marschiert mitten in einem anderen in ein Weizenfeld. „Ich muss euch darauf hinweisen, dass ihr ab jetzt an einer nicht genehmigten Veranstaltung teilnehmt!“ schallt es über den Platz. Die Ähren reichen bis zum Bauchnabel, von der Polizei ist nichts zu sehen. „Keine Hektik, ihr braucht euch nicht zu beeilen, der Weg ist noch weit!“, ruft ein Mann mit Megaphon.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

11:00 Vom Weizen- geht es weiter in ein Roggenfeld. Der Boden ist rutschig und feucht, die Füße werden nass. Acht Polizeihubschrauber fliegen dichte Kreise über den Demonstranten. „Eigentlich habe ich keine Angst“, sagt Katharina, „außer vor den Polizeihunden. Ich mag Hunde nicht besonders.“ Eine Gruppe Polizisten läuft keuchend hinter dem Zug her, die Leute beginnen etwas schneller zu gehen, sie spalten sich. Katharina bleibt auf der anderen Seite, sie ist nicht mehr zu sehen.

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Illustration: Julia Schubert

11:35 Hinter dem Feld liegt eine Straße, darauf eine Reihe Polizeiwagen, die Gruppen marschieren einfach an ihnen vorbei. Noch ein Weizenfeld. Dann wieder eine Straße, Polizisten, ein Wasserwerfer. Nicht alle Demonstranten trauen sich über die Straße. Der Wasserwerfer sprüht nicht nur Wasser: Tränengas brennt in den Augen. Auf der Straße neben dem Wasserwerfer eine erste Sitzblockade. Etwa hundert Menschen sitzen gut gelaunt und untergehakt auf dem Beton.

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Illustration: Julia Schubert

12: 15 Die Straße liegt kurz vor Rethwisch, es ist nicht mehr weit nach Bad Doberan und zur Sicherheitszone. Gerüchte verbreiten sich, dass mehrere tausend Menschen aus dem Reddelicher Camp dort auf der Straße sitzen. Die erste von zwei Blockaden ist von einer Reihe Polizisten umstellt auf der Kreuzung. „Wir machen jetzt ein bisschen Kulturprogramm!“ ruft Anne, die die Gruppe am Megaphon betreut: „Ihr sitzt nicht irgendwo, ihr sitzt an der längsten Lindenallee Deutschlands!“ Alle jubeln. Die Sonne brennt, Leute basteln sich Hüte aus Zeitungspapier, Wasserflaschen werden rumgereicht, „Hat jemand Sonnencreme?“

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Illustration: Julia Schubert

14:00 Georg, 21, steht barfuss zwischen den Sitzenden um sich die Beine vertreten. Er ist begeistert, dass die 5-Fingertaktik so gut geklappt hat, dass sie hier gelandet sind, so dicht vor dem Zaun. Er vertreibt sich die Zeit mit Jonglieren, andere mit Kartenspielen. „Wenn sie kommen, uns zu räumen, lasse ich mich wegtragen“, sagt er, „so ist das Konzept.“ Dann gibt es eine Durchsage: „Die Mitarbeiter des G8 Gipfels müssen mit Booten und Hubschraubern eingeflogen werden! Wir haben es geschafft, alle Zufahrtswege zu blockieren!“ Jubel, Klatschen, jemand lacht und sagt: „Damit hätte ich nie gerechnet.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

16:00 Im Laufe des Nachmittags wird klar, dass die Polizei das Gebiet so schnell nicht räumen kann oder will. Die Straßensperre wird aufgehoben, immer mehr Leute kommen und setzen sich dazu. Die Blockade wandert 50 Meter weiter nach hinten, die Polizei gibt die Umstellung auf. Aus den Camps kommen Wagen mit Wasser und "Vokü":Bohnensuppe und Couscous wird ausgeteilt. Die vordere Blockade reicht bis kurz vor den Zaun und es gibt es immer wieder Meldungen, dass sich angeblich Leute bewaffnen oder vermummen. Aber alles bleibt ruhig. Ab und zu zwängen sich Gruppen von Polizisten an den Sitzenden vorbei, dann bilden sich Sprechchöre: “Keine Gewalt, keine Gewalt!“

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Illustration: Julia Schubert

17:30 Aki, 27 findet die Blockade großartig, „ein viel sichtbareres Zeichen als einfach nur eine Demonstration.“ In Berlin macht sie politisches Straßentheater und hat auch darüber nachgedacht, auf dem Gipfelprotest zu spielen. Weil da nichts draus geworden ist, sitzt sie nun hier auf der Straße. „ich bin froh, dass jetzt ein paar Wolken da sind“ sagt sie und guckt zum Himmel. Eine Sambagruppe spielt und tanzt und die Blockierer rufen zu den Sambarythmen triumphierend im Chor: „This is what democracy looks like!“

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19:00 Die Blockadegruppe hat ein paar Entscheidungen zu treffen bevor die Nacht beginnt. Wollen sie dabeibleiben oder die Blockade auflösen? Wollen sie hier sitzen bleiben oder sich mit der Blockade direkt am Zaun vereinigen? Um das zu entscheiden gibt es Delegiertenplena, in die jede der Bezugsgruppen einen Delegierten entsendet. Die Gruppe beschließt zu bleiben. Die Sendewagen von ARD, ZDF und reuters werden durchgelassen, die Blockade dafür immer wieder unterbrochen. 23:00 Eine Gruppe von Einheimischen steht an der Kreuzung und unterhält sich mit den Demonstranten. Wärmefolien werden ausgeteilt, eine Familie aus Bad Doberan kommt mit Decken und Schlafsäcken. Donnerstag, 7, Juni 2007

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1:00 Die Polizei behält konsequent die Helme ab und beschränkt sich auf das Sichern der Umgebung. Die Straße ist schwer zu räumen: Rechts ist Wald, links der Bahndamm. Zwischen ein und zwei Uhr nachts versuchen die Blockierer zu schlafen. Musikvideos von Pink Floyd werden mit einem Beamer an eine Leinwand projiziert. Ab und zu hört man Hubschrauber und Einsatzfahrzeuge in der Nacht.

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4:00 Es dämmert, im Frühnebel taucht ein Baum nach dem anderen aus der Dunkelheit auf. Die Polizei hat die ganze Nacht über keine Anstalten gemacht, die Blockade zur räumen.

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Illustration: Julia Schubert

16:00 Aki sitzt immer noch auf der Straße. „Die Stimmung ist gut“, sagt sie, „es gab schon Eiscreme und die Leute aus dem Ort kommen und bringen uns was zu essen. Wir haben uns dazu entschlossen zu bleiben." Kleines Blockade-Lexikon Bezugsgruppe 15-20 Aktivisten bilden eine Bezugsgruppe. Sie einigen sich vorher, ob sie stehen oder sitzen wollen, ob sie eine „In-Gewahrsamnahme“ in Kauf nehmen oder gehen, wenn die Polizei die Räumung ankündigt. Sie geben sich einen möglichst harmlosen Namen, den sie laut rufen können, um einander in der Menge wieder zu finden. Die Bezugsgruppe soll zusammenbleiben und sich nicht aus den Augen verlieren. Deligierte Jede Bezugsgruppe wählt einen Delegierten, der sie in einem Delegiertenplenum vertritt und Informationen an die Gruppe weiter gibt. Fünf-Finger-Taktik Taktik, bei der sich der Demonstrationszug trennt, sobald er auf eine Gruppe von Polizisten trifft. Dadurch soll eine Auflösung weitgehend vermieden werden.

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Illustration: Julia Schubert

Plenum Alle Deligierten treffen sich vor und während der Aktion, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Sitzblockade Eine Sitzblockade ist eine so genannte „direkte Aktion“, bei der nicht, wie bei einer Demonstration, eine Meinung durch einen Protestzug und Kundgebungen Ausdruck verliehen wird, sondern durch aktives Handeln wichtige Zufahrtsstraßen oder öffentliche Plätze gewaltfrei in Beschlag genommen werden. Tandem Eine Bezugsgruppe besteht aus Zweiergruppen, Tandems, die sich gut kennen und für den Fall einer „In-Gewahrsamname“ durch die Polizei Name, Adresse und Geburtsdaten auswendig wissen.

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