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„Die Riesen zittern“

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Ulrich Beck; Foto: Regina Schmeken Herr Beck, bei Ihren Büchern entsteht gelegentlich der Eindruck, als ob Sie erst den Weltuntergang beschwören, um dann umso effektiver die Lösung zu präsentieren: Wir sollen global denken und aktive Bürger werden. Ulrich Beck: Ich hecke ja nicht selber ökologische Untergangsszenarien aus. Als Soziologe beschreibe ich, wie verschiedene gesellschaftliche Akteure ein Bild von ökologischen Gefahren zeichnen und ich beschreibe die Wirkungen, die dieses Bild hat. Um es salopp zu sagen: Ich interessiere mich dafür, wie eine Risiko-Religion gestiftet wird und wie die Gläubigen es schaffen, dass immer mehr Menschen zu dieser Religion konvertieren. Wie erfolgreich ist das Missionieren? Die Umweltbewegung verzeichnet Erfolge, die vor einigen Jahren unvorstellbar gewesen wären. Vor einigen Monaten war ich auf einer Konferenz in Paris zum Thema Umweltschutz. Jacques Chirac hielt dort eine Rede, damals noch als Präsident eines Landes, in dem man sich gerne über die Deutschen mit ihrem „le Waldsterben“ lustig machte. Irgendwann beugte sich der Chef von Greenpeace zu mir rüber und sagte: „Der redet ja, als ob er bei uns Mitglied wäre. Der redet genauso wie ich.“ Die Rolle des ökologischen Mahners wird schon bald nicht mehr von Greenpeace gespielt werden, sondern von verrenteten Staatsmännern. Al Gore ist ja schon so ein globaler Bühnenheld. Politik der Nichtpolitiker An der Umweltbewegung haben Sie auch die von Ihnen so genannte Subpolitik illustriert. Erklären Sie doch bitte noch einmal dieses Konzept. Die Idee der Subpolitik ist, dass genau die Entscheidungsbereiche, die im Windschatten des Politischen liegen, also der Konsum, die Wissenschaft oder das Privatleben, jetzt in die Stürme der politischen Auseinandersetzungen geraten. Das verstehen wir immer noch nicht wirklich: Wir suchen das Politische bei den falschen Personen. Diejenigen, die wir gewählt haben, sitzen machtlos auf der Zuschauertribüne, während die, die wir nicht gewählt haben, Schlüsselentscheidungen treffen, die unser Leben bestimmen. Die Politikverdrossenheit hat hier ihre Wurzeln. Dabei wird aber übersehen, dass die Politik nicht erstarrt ist. Es gibt eine Vielzahl an neuen Akteuren. Der Kern heutiger Politik ist die Fähigkeit zur Selbstorganisation, das bedeutet nicht Ellbogenkonkurrenz, sondern Gesellschaftsgestaltung von unten. Die Menschen organisieren sich also selbst und schaffen eine herrschaftsfreie Gesellschaft? Das ist eine etwas einseitige Interpretation, an der ich nicht ganz unschuldig bin. Subpolitik findet nicht nur im Weltladen statt. Auch das globalisierte Kapital betreibt Subpolitik, und Bin Laden ist der Ehrenpräsident einer Gewalt-NGO. Was sie gemeinsam haben, ist, dass ihre Aktionen nicht demokratisch legitimiert sind und außerhalb der klassischen politischen Arenen ablaufen. Man sollte sich auch weniger die einzelnen Gruppen anschauen – also hier Greenpeace und dort BP – sondern die Bündnisse, die sie miteinander eingehen. Eine Koalition aus NGOs und Großindustrie bringt zum Beispiel George W. Bush in den USA immer mehr unter Druck, endlich dem Kyoto-Protokoll beizutreten. Die Subpolitik kann Entscheidungen aber nicht alleine durchdrücken. Sie müssen an den Staat appellieren, der zum ausführenden Organ ihrer Wünsche wird. Auf der nächsten Seite liest du, was die Antiglobalisierungsbewegung bisher erreicht hat


„Wir können die Wirtschaft nicht steuern“, diese Haltung ist doch auch bei den meisten Intellektuellen common sense: Nach der ersten Begeisterung über Attac kehrt Resignation ein. Aber es gibt doch große Erfolge, und zwar nicht nur in der Umweltpolitik. Auch die Menschenrechtspolitik eröffnet ein Arsenal von neuen Strategien. Indem sie Menschenrechte einfordern, können NGOs und weltbürgerlich engagierte Staaten über die Grenzen hinweg auf andere Staaten Einfluss ausüben. In gewisser Weise ist die Bundeswehr im Kongo oder in Afghanistan nur der verlängerte Arm von Amnesty International.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Außer ein paar Blockaden bei G8-Gipfeln hat die Antiglobalisierungsbewegung doch keine Erfolge gehabt. Das sehe ich nicht so. Attac und die Welthungerhilfe haben einen Schuldenerlass für die Ärmsten auf die Tagesordnung gebracht. Natürlich kann ich ein Gefühl der Resignation bei einzelnen Gruppen nachvollziehen. Viele Forderungen werden nicht so schnell erfüllt oder vielleicht auch gar nicht. Außerdem ist die Marke der Bewegung natürlich auch ihr Makel: Das sind bunte, untereinander sehr zerstrittene Gruppierungen. Sogar innerhalb von Attac gibt es unterschiedlichste politische Ansätze. Aber als Soziologe kann ich doch sehen: Das Antiglobalisierungs-Thema hat eine großartige Karriere gemacht. Opfer des Klimawandels sind wir alle. Aber vom Abbau des Sozialstaats oder von Arbeitsplätzen sind Menschen unterschiedlich betroffen, manche sind Opfer, manche profitieren. Vom Turbo-Kapitalismus sind trotzdem so gut wie alle betroffen. Auch die deutsche Mittelschicht fürchtet sich vor der neuen Unsicherheit und der Billiglohnkonkurrenz aus Asien. Die Probleme einer sozialen Subpolitik haben also andere Gründe: Ihr Raum ist sehr gering, da das Thema von den Parteien besetzt ist. Je mehr sich die Parteien ähneln und zur „Kapitalistischen Einheitspartei des Westens“ werden, desto mehr Mühe verwenden sie darauf, das Logo „soziale Gerechtigkeit“ auf jede Pressemitteilung zu drucken. Warum sind eigentlich die Gewerkschaften so schwach? Gerade bei Gewerkschaften haben wir es mit entkernten Institutionen zu tun, die Fassade ist geputzt, dahinter steht gar nichts mehr. Die haben keine Ahnung, wie sie die Herausforderungen meistern sollen. Man kann das an den Protesten gegen Werkschließungen bei Opel oder Infineon sehen. Die Gewerkschaften haben Streiks organisiert, was mir unendlich absurd vorkommt: Die Arbeiter, deren Arbeit nicht mehr gebraucht wird, weigern sich, zu arbeiten. Was bleibt also den Gewerkschaften? Sie müssen einsehen, dass ihre Waffen stumpf geworden sind und sie neue brauchen. Wie sie mit denen umgehen, das können sie in Amerika sehen. In Amerika haben die Gewerkschaften aktuell den Vorteil, dass sie nie besonders stark waren. Deswegen sind sie jetzt innovativer, was neue Protestformen angeht. Beim Kampf der Reinigungstruppen in Los Angeles wurde nicht auf Streik gesetzt, sondern auf die Mobilisierung der Öffentlichkeit. So haben es auch Landarbeiter der kleinen Gewerkschaft in Florida gemacht: Die haben einen Käufer-Boykott gegen die Fastfood-Kette Taco Bell initiiert. Hat so ein Boykott wirklich die gleiche Effektivität, die früher ein Streik hatte? Warum nicht? Die Unternehmer begründen ihre Herrschaft darauf, dass sie nicht mehr investieren, das ist die MachtRessource der Nicht-Investition. Und gegen die entsteht eine neue Gegenmacht-Ressource: Die des Nicht-Kaufens. Ich setze große Hoffnungen in den politischen Konsumenten, der als Wahlurne den Einkaufswagen verwendet. So kann er einzelne Unternehmen gezielt belohnen oder bestrafen. Wir haben dann nicht mehr alle vier Jahre die Wahl, sondern jeden Tag. Auch der mächtigste Weltkonzern kann nicht seine Kunden entlassen. Die Drohung: „Dann wandern wir in Länder aus, wo die Konsumenten braver sind“ – die wird meines Erachtens nicht wirklich funktionieren. Kann man mit ethischem Konsum die Welt verändern? Darum geht es auf der nächsten Seite


Den politischen Konsum propagieren Sie schon lange , jetzt kommt er richtig in Mode. Hollywoodstars leben den „Lifestyle of Health and Sustainability“ (Lohas). Die Motivation scheint oft nicht politisch zu sein, es ist einfach nur in. Aber das macht doch nichts. Ich würde es für ein merkwürdiges Verständnis von Politik halten, wenn nur solche politischen Handlungen richtig sind, bei denen man sich etwas versagt. Warum der einzelne Konsument ein bestimmtes Produkt nicht kauft, ist doch nicht so wichtig, es kommt darauf an, dass er nicht kauft. Was zählt sind gerade massenhafte Mitläufer. Solche Aktionen sind nur wirksam, wenn sie kollektiv erfolgen. Die Individualisierung macht kollektives, politisches Engagement aber schwieriger. Eines ist klar: Solidarität lässt sich nicht mehr einfach so voraussetzen à la: „Reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront, weil Du auch ein Arbeiter bist.“ Solidarität muss fallweise organisiert werden. Im Fall der ökologischen Bewegung also zwischen Kapitalismuskritikern, konservativen Naturschützern und Großkonzernen, die neue Märkte wittern. Die globale Mediapolis Beschreiben Sie doch bitte etwas konkreter, wie solche neuen Formen der Solidarität entstehen könnten. Wenn die politischen Orte früher die Straße oder das Parlament waren, dann ist es jetzt das Fernsehen. Es kommt darauf an, ein Schurken-Heroen-Drama zu inszenieren, und zwar auf der Bühne der Tagesschau. Greenpeace ist erfolgreich, weil ihnen das immer wieder gelingt. Ich glaube, dass sich die globale „Mediapolis“ dadurch auszeichnet, dass es eine weltweite Öffentlichkeit gibt, vor der man sich bewähren und rechtfertigen muss, ob man nun will oder nicht. Absprachen hinter verschlossenen Türen mit Parteien und Gewerkschaften sind keine Garantie dafür, dass nicht doch plötzlich ein Konsumentenboykott beginnt, der ihre wirtschaftliche Existenz vernichtet. Haben Sie dafür Beispiele? Deutsche Banken haben in Bulgarien den Bau des Atomkraftwerks in Belene finanziell unterstützt. Das Netzwerk von NGOs und Kampagnen-Webseiten, das sich gegen den Bau formierte, installierte nicht den bulgarischen Staat als Gegner: Der Protest zielte auf die deutschen Banken und Versicherungen. Die hatten so große Angst vor einem Verlust an Ansehen in der deutschen Öffentlichkeit, dass sie ihre Kredite zurücknahmen. Das zeigt nicht nur, wie gewitzt NGOs mittlerweile vorgehen, sondern auch, wie angreifbar Großkonzerne sind. Die Riesen zittern. Bedingung ist aber, dass das Anliegen einer Bewegung beachtet wird: Die Themen der Antiglobalisierungs-Bewegten werden trotz unzähliger Alternativgipfel nie in der Tagesschau verhandelt. Natürlich ist das ein Problem. Aber vielleicht können sich die neuen sozialen Bewegungen auch selbst Öffentlichkeiten schaffen. Ich glaube, dass das Internet da wunderbare Möglichkeiten bereithält, deren Potential sich jetzt erst erahnen lässt. Aber das gilt ja für die gesamte Subpolitik. Wie die zukünftigen Kämpfe ausgefochten werden, ist noch keinesfalls sicher. Wagen Sie eine Prognose. Eine Möglichkeit wäre, dass sich Staaten und Großkonzerne tatsächlich von NGOs beeindrucken lassen, dass sie lernen, die Anliegen der Subpolitik ernst nehmen und in ihr Handeln Übersetzen. Doch dann graben sie der Subpolitik das Wasser ab und diese wird Opfer ihres eigenen Erfolgs. Das zweite, entgegengesetzte Szenario wäre, dass sich Staat und Konzerne uneinsichtig zeigen und sie sich über zentrale Probleme hinweg lügen, dann könnten die neuen sozialen Bewegungen immer stärker werden. Dann könnten sie die Legitimität von industriellen und staatlichen Akteuren erschüttern. Wenn Nichtregierungsorganisationen schon das bessere Gewissen der Regierung sind, warum sollten sie dann nicht auch die bessere Regierung sein? Am 7. Juni diskutieren in der Berliner Volksbühne Chantal Mouffe, Ulrich Beck, Katja Kipping (Die Linke), Sven Giegold (attac) und Jan Huwald (Piratenpartei), wie man die Globalisierung von unten gestalten kann. Mehr Informationen zum Buch und zur Veranstaltung unter politikundprotest.de

Text: jakob-schrenk - Illustration: katharina-bitzl

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