Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Ich fotografiere alles, was ich esse“

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Eine neue Küche für besseres Kochen! Sebastian Dickhaut macht Einmeterschritte an der Bürowand entlang, um zu zeigen, wo sie hinkommt. Endlich ein bisschen Platz zum Arbeiten, sagt er und: „Das wird keine Supereinbauküche, nur ein paar gute Teile, nicht so aufwändig, ein schöner Herd.“ Der soll vor das gekippte Fenster, durch das man die Linie 19 auf die Haltestelle Ostbahnhof zufahren hört, aber nicht sieht. Zu sehen ist nur ein kleiner Hinterhof – angemessene Kulisse für das Kochbüro von Deutschlands aktivstem Kochbuchautor.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kurz vor einem Kaiserschmarrn. Es steht in diesem Kochbüro in Haidhausen eigentlich bereits eine neue Küche für besseres Kochen. Sie ist gedruckt, stapelt sich auf tausenden Seiten, in mehreren Sprachen, farbig gebunden und vielfältig im Regal, schräg gegenüber von der Stelle, wo ihr Erfinder immer noch den neuen Herd markiert. Vor acht Jahren passierte nämlich etwas, das bei Kochbüchern selten passiert: eine gute Idee. Sie war von dem jungen Koch Sebastian Dickhaut und Sabine Sälzer vom Verlag Gräfe&Unzer ausgeheckt worden und kam als knalloranges Kochbuch in die Läden. Mit nichts drauf als einer Zitrone und mit nichts drin als hundert Rezepten für alle, die zwar Lust auf selber gemachtes Essen haben, aber nicht auf erhobenen Zeigefinger, komplizierte Anleitungen und peinlichen Geschmack. „Basic cooking“, so hieß das junge Kochbuch, wurde zum absoluten Bestseller. Es verbreitete sich wie überkochende Milch, war obligatorisch auf WG-Festen oder als Geschenk zum Auszug – nach einem Jahr stand der orange Buchrücken überall oder lag vielmehr aufgeschlagen und mehlbefleckt auf den Küchentischen. Dickhaut wurde hunderttausendmal nachgekocht, noch bevor Mälzer und Co. das Nachkochen zum Mantra des Vorabendprogramms machten. „Ich höre heute noch, dass damals mit dem „Basic cooking“ etwas verwirklicht wurde, das in der Luft lag, auf das die Menschen gewartet hatten“, sagt Sebastian Dickhaut und wirkt dabei ein wenig passiv. Denn er musste sich von anderen das Märchen seiner Revolution im Kochbuchmarkt erzählen lassen – kaum war damals der letzte Satz von „Basic cooking“ in der Druckerei, hatte er im Flugzeug nach Australien gesessen, wo er ein paar Jahre kochte, schrieb und lebte. „Italian Basics“, eines der vom Verlag geforderten Fortsetzungs-„Basics“ erarbeite er dort in Sydney. „Kein Problem, Sydney hat ein italienisches Viertel, in dem die Auswanderer ihre Küche so kochen, wie sie vor fünfzig Jahren war, als sie nach Australien gingen – sehr unverfälscht und einfach“, erzählt Dickhaut, während er versucht die Speisetafel an der Wand des Eckitalieners am Bordeauxplatz zu entziffern. Ein Mann, ein Viertel Man kennt den schmalen Kochbuchautor mit den Lachaugen hier, alle drei Kellner begrüßen ihn persönlich, Dickhaut grüßt zurück und ist eigentlich lieber unauffällig. Jeden Mittag macht er in seinem Kochbüro Pause und geht raus, durch Haidhausen, mit offenen Augen und vor allem offenem Mund, er probiert die Kneipen und Imbissbuden, die Gemüsehändler und Stehcafés – und schreibt in seinem Web-Blog darüber, der zu den besten Blogs der Stadt gehört. Seit beinahe zwei Jahren geht es darin um das Mittagessen in München, ganz gleich ob Sandwich oder im Tantris. Das Mittagessen ist für den Kochbuchautor eine aussterbende Tradition, die zu wahren oder wenigstens würdigen er sich jeden Tag aufmacht. Deswegen fotografiert er auch heute Mittag seine Orecciette, und zwar genau einmal, dann nimmt er die Gabel und sieht aus wie einer, der sich immer noch mit allen fröhlichen Sinnen auf das Essen konzentrieren kann. „Ich fotografiere alles, was ich esse“ sagt er später beim Warten auf Ampelgrün und zeigt dann mit dem Zeigefinger auf den Discount-Bäcker, aber nicht um zu schimpfen: „Da gehe ich auch manchmal rein, die haben ein, zwei Sachen, die richtig gut sind.“ Der gelernte Koch Dickhaut ist nicht dogmatisch was das Essen angeht, nur neugierig. Er kostet alles und merkt sich das Beste und sein kleines Viertel bietet zwischen Pariser Platz und Ostbahnhof eine Menge zum Kosten. Beim „Gmiaskastl“ in der Weißenburgerstraße hebt er entzückt Mini-Auberginen hoch, direkt daneben backt hinterm Schaufenster der Bäcker Schmidt, den Dickhaut seinen Bloglesern längst als seltenes Rückzugsgebiet echter Brote und feiner Kuchen vorgestellt hat. „Das ist wirklich toll, dass einer gleichzeitig gute Semmeln und gutes Süßzeug macht“, Dickhaut nickt in die Backstube. Um die Ecke, vor dem unscheinbaren Kaufhaus am Orleansplatz, hält Sebastian Dickhaut eine kleine Lobrede auf die Vorzüge eines verwilderten Kaufhauses, in dem es die seltsamsten Sachen gibt und schlendert dann gut gelaunt zwanzig Meter weiter, vor die neue Filiale der „San Francisco Coffee Company“: „Gut, wenn’s schnell gehen muss. Und der Kaffee ist besser als beim Tchibo.“ Die Frühlingssonne, der viertelverliebte Sebastian Dickhaut und die französischen Straßennamen machen Haidhausen an diesem Nachmittag zu einem unwirklichen Gelände. Vorbei am Pralinen-Miksch und am „hochinteressanten“ russischen Krämer schlendernd, erzählt Dickhaut von seiner Arbeit, dem Kochbuchschreiben. Wie er dazu morgens auf den Hinterhof schaut und im Kopf Zutaten mischt und verwirft, Rezeptlisten schreibt und darüber nachdenkt, ob sie funktionieren. „Das fängt ganz einfach an, ich denke: Karotte! Was kann ich damit machen? Kochen, blanchieren, anbraten, frittieren, roh essen, Mus draus machen, stampfen. Dann, was passt zu Karotte? Und so weiter.“ Inspiration ist wichtig, auch deswegen hat er sich die mittäglichen Streifzüge verordnet, auf denen er Speisekarten liest, und am liebsten mit den Händlern, Wirten und Verkäufern spricht, darüber was sie gerne essen, was sie kochen, wie sie es nennen und wo sie es kaufen. Versatzstücke und Anregungen aus seinem Haidhausen finden sich in den Rezepten wieder. Einmal fertig probiert Dickhaut sie zu Hause aus oder schickt sie gleich an einen Testkoch und Foodstylisten, der die Gerichte so vorbereitet, dass Fotografin Coco mit dem Makroobjektiv anrücken kann. Es wird schnell gearbeitet, in Kochbuchverlagen. Rezepte to go Vor ein paar Wochen erschien der Nachfolger zu „Basic cooking“, für den das alte Team wieder gemeinsam überlegt hatte. „Das war schwierig, wir wollten nicht noch ein Grundkochbuch machen“, sagt Dickhaut. Er steht vor dem Stadtteilladen, sieht hinein, und meint dann nebenbei, dass man den Laden mieten könnte, für ein paar Euro. Zum Beispiel um einen Abend darin zu kochen.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das junge Layout, die Bildsprache sind auch bei „Basic Cooking 2“ geblieben, das Kochen selbst ist anspruchsvoller geraten, die Rezepte sind jetzt Lamm, Kaninchen und Heilbutt, nicht mehr Schweinebraten und Gulasch wie beim Vorgänger. Dessen Stil wurde inzwischen von allen Kochbuchverlagen kopiert, das Original selbst in 15 Länder exportiert und mitsamt den Spezial-Basics über zwei Millionen Mal verkauft. „Das ist mein Butter und Brot“, sagt der Autor und meint die Tantiemen, die die „Basic“-Reihe Monat für Monat auf sein Konto streicht und mit denen er seine Familie ernährt. „Trotzdem muss man als Kochbuchautor immer weitermachen, sofort ein neues Buch andenken, das ist nicht wie bei einem guten Roman, auf dem man sich ein paar Jahre ausruhen kann. Die Margen sind niedriger, es arbeiten viel mehr Leute mit, Fotografen, Food-Stylisten, Testköche.“ Momentan stellt Sebastian Dickhaut ein Buch fertig, das „Ich koche...“ heißen soll und weniger von Rezepten als von Kochüberlegungen, Vorlieben und Tricks des Mannes erzählt, der gerade die Türklinke des „Süß.Sauer.Salzig.“ drückt und in dem kleinen Laden von Michaela Baumüller herzlich empfangen wird. Hier, in der Elsässer Straße 23 ist Dickhaut Stammgast, isst das eine Mittagsgericht, das Frau Baumüller kocht. Sie reicht ihm ein Rezept, das er unbedingt für sein nächstes Buch haben wollte, sagt „Hier, Herr Dickhaut“, es ist handgeschrieben auf Blockpapier. Sebastian Dickhaut nimmt es vorsichtig und bedankt sich sehr. Frau Baumüller hat dann zu schimpfen: Gerade waren Herren vor der Stadt da, die ihr verboten haben, eine Bank und Hocker vor den Laden zu stellen. Das dürfe jetzt niemand mehr, der nicht zwei getrennte Toiletten anbiete. „Typisch“, sagt sie und macht Espresso, sehr guten Espresso, trotz des Zorns. Sebastian Dickhaut trinkt und hört zu. Vielleicht wird er morgen in seinem Blog etwas dazu schreiben. Vielleicht muss er übermorgen aber auch etwas ganz anderes schreiben, ein Kochbuch, wie es noch nie da war. Oder irgendwas mit Kochen im Web machen? Auf Tournee gehen und vorkochen? Der Espresso ist leer, es ist halb vier. „Mittagessen vorbei“, sagt Sebastian Dickhaut. Dickhauts Blog: rettet-das-mittagessen.de Fotos: Coco Lang, GU-Verlag

  • teilen
  • schließen