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Entschieden: Jan legt das Snowboard weg. Und wird Physiotherapeut in HH

Toll: Wir können heute alles und dürfen alles mit unserem Leben machen, wir sind die Generation Option. Wenn nur das Entscheiden nicht so schwierig wäre. Auf jetzt.de gibt es die Rubrik: Entschieden. Dort erzählen Menschen vom Entscheiden, wie sie sich entschieden haben, wie das Entscheiden ihr Leben verändert hat. Nach einem Klick auf das Label „Entschieden“ tauchen alle bisherigen Folgen auf. Jan, 30, ist Redakteur beim Pleasure Snowboard Magazin, davor arbeitete er beim Online-Magazin powderhausen.com. Das meiste in seinem Leben hatte mit Bergen, Schnee und der vermeintlichen Spaßwelt des Snowboardens zu tun. Jetzt kehrt er all dem den Rücken - um in seiner alten Heimat Hamburg eine Ausbildung zum Physiotherapeuten zu beginnen. Mehr als 800 Kilometer entfernt von jedem ernst zu nehmenden Berg. Warum dieser Sinneswandel? Hier erklärt er seine Entscheidung
Text: christian-helten




Jan in Erwartung eines Snowboardtages im Kaunertal.



Eigentlich kommt die Entscheidung ein Jahr zu spät. Dieser Idealismus, dass Snowboard-Fahren und immer in der Nähe der Berge zu sein das Wichtigste in meinem Leben ist, der verblasst schon seit längerem. Es brauchte wohl ein Hallo-Wach-Erlebnis, einen Schlag auf den Hinterkopf, der jetzt dazu führt, dass ich in meinem Leben etwas ändere:



Meine Mutter wurde schwer krank. Ich war viel bei ihr in Hamburg, war dort auch viel mit Leuten zusammen, die mit Snowboarden überhaupt nichts zu tun hatten. Und jedes Mal, wenn ich nach München zurückkehrte, fand ich mich in einer hohlen Scheinwelt wieder. Ich bekam das Gefühl, dass viele Leute komplett gefangen sind in der Vorstellung, zur coolen Snowboardszene zu gehören. Dass sie letzten Endes aber nur Mitläufer sind, die sich kaputt machen lassen und für zu wenig Geld zu viel arbeiten, nur damit sie irgendwann bei einem großen Contest eine Karte umsonst bekommen.



Es war immer – und der Meinung bin ich heute noch – eine Herausforderung, für das meiner Meinung nach beste Snowboardmagazin Europas zu schreiben. Vor allem anfangs war es ein Push für’s Ego, meinen Namen über den Texten zu sehen. Und es war sicherlich auch ein geiles Gefühl, so viel rumzureisen und all die coolen Leute kennen zu lernen. Mit der Zeit wurde aber genau das immer ernüchternder. Auch in vielen Interviews habe ich die zum Teil sehr desillusionierende Feststellung gemacht, dass die Jungs gut Snowboard fahren können – und mehr leider nicht. So gibt es ganz wenige Interviews, die ich mir heute noch gerne durchlese.



Ich kam in eine Art Sinnkrise, was die Nachhaltigkeit meiner Arbeit angeht. Irgendwann war einfach alles geschrieben.



Ich habe auch festgestellt, dass die immense Ego-Ansammlung, aus der die Snowboardszene besteht, nichts für mich ist. Ich glaube, um damit gelassen umgehen zu können, musst du dafür gemacht sein. Ich stand und stehe immer wieder neidisch daneben, wenn andere ihre Smalltalk-Fähigkeiten spielen lassen, die ich einfach nicht besitze. Deswegen kann ich auch die Snowboard-Leute, mit denen ich nach meiner Rückkehr in Hamburg noch Kontakt haben werde, an zwei Händen abzählen.







"E" wie "Entscheiden. (Foto und Montage: Marcus Holzmayr)



Jetzt freue ich mich darauf, nach Hamburg und zu meinen Freunden zu ziehen, das Haus meiner Mutter herzurichten und meine Ausbildung zum Physiotherapeuten zu beginnen. Die dauert drei Jahre, und ich habe noch die Option, parallel einen Bachelor zu machen. Den werde ich auf jeden Fall noch mit einpflegen, um auch die Möglichkeit zu haben, im Ausland zu arbeiten. Überhaupt ist Physiotherapie einer der wenigen Berufe, der so abwechslungsreich und von mir selber gestaltbar ist, dass ich glaube, er wird mir auch noch mit 50 oder 60 Jahren Spaß machen. Das war sehr wichtig für die Entscheidung. Denn ich habe im Snowboardbusiness nur wenige Menschen gesehen, die in Würde gealtert sind. Ich wollte nicht an den Punkt gelangen, an dem du die fünfte Generation von neuen Fahrern erlebst und feststellst, dass alles um dich herum sich verändert - nur du bleibst stehen. Natürlich bin ich nach wie vor sportbegeistert und habe definitiv Lust, auch in diesem Bereich als Physio zu arbeiten, sei es im Snowboarden oder im Fußball oder sonst wo.



Es wird sich sicherlich erst zeigen, ob ich mich in Hamburg tatsächlich wieder so heimisch fühle, wie ich es mir erwarte, und ob ich tatsächlich einen Winter ohne Berge überleben kann. Wahrscheinlich war all meine Zeit im Schnee, all die Reisen ein Luxus, den ich erst zu schätzen weiß, wenn ich dann in meiner neuen Arbeit sitze, nur eine Woche Urlaub habe und ein Trip nach Norwegen oder Kanada plötzlich total absurd erscheint. Aber wenigstens weiß ich in Zukunft: Wenn ich Snowboarden gehe, gehe ich mit Leuten, die ich gerne habe und die mich gerne haben. Und ich weiß, dass das Lächeln am Ende des Runs ernst gemeint ist.

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