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Beispiel Weißrussland: Ist das Web die Hoffnung des Widerstandes?

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Gute Nachrichten kommen meistens nicht aus Weißrussland. Gegner des Lukaschenko-Regimes werden dort unerbittlich verfolgt, ein Recht auf freie Meinungsäußerungen gibt es nicht. Davon kann Gleb aus Minsk viel berichten und tut es auch. Der 24-Jährige schreibt auf seinem englischsprachigen Blog regelmäßig über die politische Situation in seiner Heimat und vor allem über die Arbeit der Opposition gegen Lukaschenko. Gleb arbeitet für die internationale Nichtregierungsorganisation Transitions Online (TOL). Von Minsk aus versucht er, die weißrussische Bloggerszene zu organisieren. Unterstützt wird er dabei vor allem aus Berlin vom TOL-Mitarbeiter Evgenij Morozov. jetzt.de sprach mit beiden am Telefon.

Die junge Opposition in Weißrussland Foto: dpa Hallo Gleb, du bist gerade am Handy, oder? Ja genau, ich bin gerade aus der U-Bahn gestiegen. Machst du dir keine Sorgen, ob das jemand mitbekommen könnte? Ach, ich mache mir keine Sorgen. Das geht schon in Ordnung. Die bekommen auch nicht alles mit hier. Aber deine Arbeit ist doch illegal. Ja, in Weißrussland ist es verboten, so genannte Desinformation an Ausländer weiter zu geben. Aber das Regime kann mit dem Internet noch nicht besonders gut umgehen. Die bekommen gar nicht mit, was wir machen. Und wenn man sich auskennt, gibt es auch Möglichkeiten, die Informationswege zu verbergen. Auf der Straße ist es gefährlicher als im Internet. Du meinst, wenn man demonstriert? Es reicht schon, wenn man auf der Straße flucht. Letzte Woche wurden etwa Hundert Leute verhaftet, weil sie angeblich geflucht hatten. Andere wandern für 15 Tage ins Gefängnis, weil sie angeblich auf die Straße uriniert haben. Dabei geht es darum, dass sie politische Aufnäher oder Buttons an der Jacke trugen und von den Demonstrationen fern gehalten haben. ++ Am 11. April schrieb Gleb in seinem Blog: „Heute können wir endlich eine gute Nachricht aus Belarus schicken. Dzianis Dzianisau ist vor einigen Stunden aus der Haft frei gekommen.“ Der 28-jährige Oppositionsaktivist war verhaftet worden, weil er bei einer Demonstration eine weiß-rot-weiße Flagge gehisst hatte, das Symbol der Lukaschenko-Gegner. Politische Aktivisten können ohne Anklage bis zu sechs Monaten in Haft bleiben. Eine Kaution von 7300 Euro sollte Dzianis hinterlegen, um das Gefängnis zu verlassen. Die Summe entspricht dem Jahresgehalt eines durchschnittlichen Weißrussen und war für Dzianis Familie unbezahlbar. Seine Freunde bedienten sich also der internationalen Blogosphäre, um für Dzianis zu sammeln. In ihren Blogs berichteten sie über Dzianis Schicksal und baten Leser um Spenden. Nach zwei Monaten war aus der ganzen Welt Geld eingeflossen – und Dzianis kann sich bis auf weiteres wieder frei bewegen. ++ Wie kam Dzianis ins Gefängnis? Hier in Belarus ist es unmöglich, politische Arbeit innerhalb der staatlich zugelassenen Organisationen zu betreiben. Aber alle anderen Gruppen sind illegal. Dzianis war einer der Anführer einer oppositionellen Studentengruppe. Er könnte für bis zu drei Jahre ins Gefängnis kommen. Aber die Chancen stehen auch nicht schlecht, dass er frei kommt. Denn der Gerichtstermin wird ständig verschoben – weil sie nichts gegen ihn in der Hand haben. Aber kann dir das denn nicht auch passieren, wenn jemand mitbekommt, dass du ein politisches Blog betreibst? Naja, bisher ist Bloggen nicht illegal. Und es gibt auch keinen Fall, dass ein Blogger bisher fest genommen wurde. Allerdings will die Regierung bald ein Gesetz erlassen, das alle Weißrussen dazu zwingt, ihre Blogs staatlich zu registrieren. Wer dann einen unregistrierten Blog betreibt, würde praktisch illegal handeln. Ist das Internet also die große neue Chance für die weißrussische Opposition? Na klar! Es ist das einzige, was wir noch übrig haben. Auf der Straße kannst du keine Poster aufhängen, ohne dass sie von den Agenten beseitigt werden. Es ist schon schwierig genug, überhaupt Flugblätter zu drucken. Und sämtliche Magazine und Zeitungen der Opposition sind ja auch bereits zugemacht worden. ++ Ein bisschen anders sieht das ausgerechnet Evgenij, der im Auftrag von TOL Gleb und seine Freunde unterstützt. Er kommt auch ursprünglich aus Weißrussland, lebt aber seit vielen Jahren nicht mehr dort. Seit zwei Jahren wohnt er in Berlin. Seine Aufgabe ist es, sagt er, „den belarussischen Bloggern das Leben leichter zu machen.“ Wir haben mit ihm telefoniert - wie du auf der nächsten Seite lesen kannst.


Bloggern in Weißrussland das Leben leichter machten - wie genau stellst du das denn an? Nun, das Problem in Belarus ist, dass die Blogger vor allem Live Journals verwenden, also Gruppenblogs. Jetzt gibt es für diese Art von Plattformen aber keine globale Suchfunktion. Du hast also als Nutzer keine Möglichkeit heraus zu finden, welche Posts heute interessant oder relevant für dich sind, ohne das ganze Ding durch zu klicken. Wir versuchen also, die Leute dazu zu bringen, mit Tools wie digg zu arbeiten oder irgendwelche Arten von Trackback. Habt ihr die Aktion für Dzianis dann eigentlich auch unterstützt? Das einzige, was ich gemacht habe, einen Link mit Glebs Aufruf an boingboing.com zu schicken. Wir haben allerdings keine politische Agenda, sondern eine Medienagenda. Wie viel politische Blogs schätzt du, gibt es in Weißrussland? Ich kann nur schätzen, wie viele Posts es gibt. Und das sind, denke ich etwa 35 bis 40 Prozent. Aber eine politische Meinung online zu stellen ist nicht dasselbe, wie auf die Straße zu gehen und dort tatsächlich zu protestieren. Du meinst also, es gibt keinen Zusammenhang zwischen einer wachsenden Netzkultur und einer möglichen neuen Bewegung? Soziale Netzwerke, File-Sharing und das ganze Web 2.0 bringen den Menschen eine große Menge Freude, keine Frage. Aber meine Frage ist: Wie übersetzt sich diese Frage bitteschön in zivilen Widerstand? Im Gegenteil, ich glaube, dass Regime freut sich sogar über die Interneteuphorie der Weißrussen. Die wissen ganz genau, für jeden Blogger am PC ist ein Aktivist weniger da draußen auf der Straße, der wirklich etwas tut. Vielleicht besteht sogar ein Widerspruch zwischen Internutzung und Aktivismus. Womöglich macht es die Leute einfach apathisch, so viel vor dem PC zu sitzen? Nein. Nimm zum Beispiel die USA. Dort sind die Leute sehr zufrieden, sie haben eine Demokratie und Geld. Und dort sind sie unglaublich kreativ, wenn es darum geht, das Internet als ein Mittel zur Partizipation zu nutzen. In Weißrussland muss man die Leute erst dazu bringen. Aber die Leute haben wahrscheinlich auch große Angst. Ach was, niemand hat Angst. Es gibt niemanden, der wegen eines Blogs Ärger bekommen hätte, so ziemlich niemand verwendet eine Technologie, um seine Identität zu verbergen oder ähnliches. Mit Zeitungen ist es etwas ganz anderes! Diese Medien werden verfolgt – und die wechseln jetzt auch alle ins Internet. Also ist das Netz der beste Ort für einen politischen Dissidenten? Nein. Er ist der sicherste. Der beste ist er nicht, denn alles, was im Netz passiert, schafft nichts weiter als Wörter und Debatten. Daraus entsteht kein Protest. Sondern einfach nur eine Gesellschaft, die viel redet.

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