Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Kirgisien

Text: michax
15 mehr oder weniger interessante Fakten über Kirigisien

In einem Monat sind Präsidentschaftswahlen. Von anfangs 18 Kandidaten sind nur noch 11 übrig. Die anderen haben den kirgisischen Sprachtest nicht bestanden. Die Sprachtests werden live im Fernsehen übertragen mit Sprachwissenschaftlern als flüsternden Kommentatoren.



Die kirgisische Währung heißt seit dem Ende der Sowjetunion Som – das bedeutet übersetzt „Geld“. 100 Geld sind knapp 2 Euro. Eine Fahrt mit einem Marschroutka (Kleinbus) kostet 5 Geld. Eine Taxifahrt 60 Geld. Ein 15 Jahre alter VW Passat 200.000 Geld. Ein reichhaltiges Abendessen mit Getränken selten mehr als 300 Geld. Sich einmal auf dem Markt wiegen lassen 1 Geld (bei elektronischen Waagen 2 Geld). Ein Päckchen Zigaretten 25 Geld. Eine Werbeminute im staatlichen Fernsehen 700 Geld. Eine einstündige Massage 410 Geld. Ein Paar Filzpantoffel 350 Geld. Ein einfacher kirgisischer Arbeiter verdient im Monat um die 2.500 Geld, arbeitet er für eine internationale Organisation um die 25.000 Geld. Es gibt keine Münzen nur Scheine, sogar welche die 1/100 Geld wert sind – da ist das Papier teurer als der Geldwert ...



In der Innenstadt der Hauptstadt Bishkek gibt es 23 monumentale Denkmäler – neben Marx und Engels und lokale Kommunistenstars gedankt man „Kämpfern der Revolution“, „Kriegern der Sowjetunion“ usw.



Mögliche kirgisische Exportschlager sind Filzpantoffeln oder Walnüsse. Ein Auftrag der deutschen Buchhandelskette Hugendubel (?) massenweise Filzpantoffeln für das Weihnachtsgeschäft herzustellen, ist daran gescheitert, dass es der hiesigen Firma „zu anstrengend“ war, die Produktion um ein vielfaches zu steigern. Das mit den Walnüssen scheitert daran, dass die verantwortlichen Kolchosebesitzer nur in die eigene Tasche wirtschaften bzw. die 800 Jahre alten Walnussbäume lieber illegal fällen und verkaufen lassen.



Die durchschnittliche Anzahl nächtlicher Räuber bei einem Überfall sind drei. Es werden ausschließlich einzelne Ausländer überfallen, ausschließlich nachts, gerne in Wohngebieten. Messer, Schläge und Würgen gehören dazu. Dafür werden dann Portemonnaies übersehen, die das Opfer in der hinteren Hosentasche hat, weil es darauf lag, während es getreten wurde.



Um in die Berge zu fahren, braucht man spätestens seit eine massiven Gerölllawine die etwas bessere Straße (und eine halbe Siedlung) ins Tal gerissen hat einen Jeep mit Allradantrieb. Lada ist die bevorzugte Marke. Innerhalb von einer Stunde ist man vom 700 Meter hoch gelegenen Bishkek auf 2500 Meter. Außer wenn zwischendurch der Lada schlapp macht. Die Benzinpumpe beim Lada befindet sich vorne in der Mitte unter dem zweiten Ersatzreifen. Mit einem feuchten Tuch ist sie nach ca. 15 Minuten wieder soweit gekühlt, dass man weiterfahren kann.



Das Wetter kann sehr schnell wechseln. Besonders in den Bergen. Der höchste Berg ist über 7000 Meter und heißt Peak Lenin.



Im Dunkeln sollte man auf den Gehwegen sehr genau schauen, wo man hingeht. Unebenheiten und Schlaglöcher sind an der Regel. Besondere Vorsicht ist bei Kanaldeckel geboten. Entweder geben sie nach, wenn man drauf tritt. Oder sie sind nicht vorhanden, da findige Kirgisen sie nach China verkauft haben, wo man ein dringendes Bedürfnis nach Alteisen hat.



Karaoke hat einen seinen hohen Stellenwert in der kirgisischen Gesellschaft. Es kann passieren, dass man mitten in der Nacht auf einem der vielen großen Plätze (mit Denkmal) eine Karaokestand findet, an dem man für 10 Geld ein Lied singen kann – und wo man ganze kirgisische Familien findet, die mehrfach hintereinander den derzeitigen lokalen Hit vortragen. (Der lokale Hit ist im übrigen ein schrecklicher Ohrwurm, der einen Tage lang verfolgen kann.) Nicht verwundern sollte einen das alternative Angebot am selben Platz mitten in der Nacht für eine unbestimmte Summe Geld ein weißes Pferd reiten zu dürfen, was wiederum andere Familienmitglieder parallel zum Karaoke in Anspruch nehmen.



Pferde werde in Kirgisien in großer Anzahl gezüchtet, auf die Weiden geführt, gehegt und gepflegt. Weniger um sie zu reiten, mehr um ihre Milch zu trinken und sie zu essen.



Durch die weit verbreitete Leidenschaft für Karaoke haben sich zahlreiche Bands etabliert, die in Clubs perfekt bekannte Songs nachsingen – in jeder Sprache, teilweise offensichtlich ohne die Sprache zu beherrschen. Das kirgisische Tanzverhalten unterscheidet sich dabei elementar vom deutschen: Beim ersten Lied tanzen ALLE und im Laufe des Abends werden es immer weniger Leute.



Um ein kirgisisches Taxi zu benutzen, muss man folgendes Prozedere einhalten: Erst einmal wird außerhalb des Taxis intensiv diskutiert, wo man hin möchte und ob der Fahrer den Zielort wirklich kennt. Ein einfaches „Ja“ ist nicht ausreichend. Drei Nachfragen und ggf. einige Testfragen sind erforderlich. Insbesondere wenn es um einstündige Fahrten in die Berge geht, wo es besonders unangenehm ist, wenn er „am Ende“ zugeben muss, dass er das Ziel doch nicht kennt. Nach der Klärung des Zielorts wird gnadenlos der Preis verhandelt, um ihn von den stets geforderten 100 Geld auf 60 Geld runterzuhandeln. Mehrfaches „Scheindavongehen“ ist hilfreich. Erst bei Erzielung des angemessenen Preises steigt man ein.



Der staatliche kirgisische Fernsehsender KTR hat über 2000 Mitarbeiter. Er macht mit diesen ein Programm, wogegen das MDR-Nachtprogramm unterhaltsam, vielfältig und modern ist. Gut, dass es mit Kabelempfang in Bishkek über 60 Sender gibt. Pech für die Menschen im Süden des Landes, da sie nur KTR empfangen können.



Der ehemalige Präsident hatte seine ganze Familie extrem bereichert. Sogar Supermarktketten und Tankstellen hatte er sich unter den Nagel gerissen. Als sein Sohn im Süden des Landes in einem Casino 1 Millionen Dollar verspielt hat und von der örtlichen Mafia festgehalten wurde, musste die Frau des Präsidenten mitten in der Nacht die Staatsbank um diesen Betrag erleichtern. Danach sind die Benzinpreise gestiegen.



Vor einigen Monaten gab es hier eine kleine Revolution. Eine Horde Menschen hatte sich in der Innenstadt versammelt, um zum weißen Haus des Präsidenten zu ziehen und seinen Rücktritt zu verlangen. Zunächst war man etwas zögerlich unterwegs, weil der Kirgise eigentlich sehr ruhig und friedfertig ist. Aber ein berittener Polizist hatte sich bereits auf die Seite der Aufständischen geschlagen. Als er an der Menge vorbei ritt, eine Fahne der Revolution schwenkend, brach haltloser Jubel aus und alle stürmten los. In der nächsten Kurve legte sich der Reiter samt Pferd auf die Fresse. Die Revolution ist trotzdem gelungen. So einigermaßen.

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: