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Mixtape - die fünf Tücken

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Erstmal: Mixtape oder gebrannte CD?

Das ist natürlich eine Spießerdiskussion, in deren Verlauf sich der Retrospießer und der Alltagsspießer nichts schenken. Riesenvorteil der Kassette, zumindest wenn es sich um amourös konnotierte Geschenke dreht (und darum soll es hier hauptsächlich gehen): Ihr wohnt ein gewisser Charme inne, der einem Geschenk ja grundsätzlich nicht schlecht steht. Gerade in einer Zeit, in der es ein Leichtes wäre, in fünf Minuten eine Mix-CD zu komponieren, signalisiert die zweistündige, analoge Drück- und Stopp- Beschäftigung mit einer Kassette große Opferbereitschaft. (Deshalb auch Vorsicht: Jüngere CD-sozialisierte-Menschen überschätzen vielleicht die Manufaktur einer Mixkassette, so in Richtung: Hilfe, er hat mir ein Auto gebaut, muss ich ihn gleich heiraten?) Freilich sind all diese Vorteile Mist, wenn es dem Beschenkten zwar nicht an Charme, aber schlicht an einer Abspielmöglichkeit für die geschenkte Kassette mangelt. Richtiges Verhalten wäre in diesem Fall zusätzlich zur Mixkassette gleich ein hübsches 70er-Jahre-Kassettendeck mit Metallfront mitzuschenken, wie sie auf ebay verramscht werden. Aber zurück zur Spießerdiskussion, hier ein paar Top-Argumente für die Kassette 1. Rein musikalisch wirkt ein volles Mixtape mehr wie ein Gesamtkunstwerk, in dem fühlbar viel Handarbeit steckt 2. Auch bei dem langatmigen Postrock-Stück auf der Mitte der zweiten Seite kann der Beschenkte nicht schnöde weiterskippen. (Er könnte zwar vorspulen, aber wer spult schon vor?) 3. Eine Kassette in der Hülle ist rein haptisch netter als eine CD – man kann sie sich sogar in die Hosentasche stecken und problemlos, etwa im günstigen Verlauf einer Nacht, hervorzaubern wie ein Falschspieler das fünfte Ass. CDs sind für solche Einsätze einerseits zu dünn und unwertig, andererseits sperrig und zerkratzbar. Nächste Seite: Wie anfangen?


Wie anfangen, wie weitermachen?

Über das erste Stück, die ersten Minuten einer wirklich wichtigen Mixkassette darf mindestens so lange überlegt werden, wie über eine zünftige Eröffnung bei der Schachweltmeisterschaft. Das erste Stück muss einerseits so gut sein, dass es den Hörer sofort fesselt, überrascht und Lust aufs Weiterhören macht – es darf aber natürlich auch nicht das Beste der Kassette sein. Es muss, wie eine Vorspeise, signalisieren: Ich schmecke schon gut, aber warte mal, was da noch kommt. Keinesfalls darf es dem Hörer bereits bekannt sein, das hätte unweigerlich zur Folge, dass dieser die Beziehung zum Kassettenschenker auf Abgeschmacktheit und Zukunftspotential überprüft. Ausnahme natürlich: wenn es sich etwa um ein beziehungsinternes Lieblings-/Kennenlernlied handelt. Falls es so was gibt, empfiehlt es sich aber trotzdem mit einer raren, aber nicht unharmonischen Remix- oder Coverversion davon zu eröffnen, die sich den Überraschungsfaktor abgreift. Das eigentliche It-Stück kann dann gut als letzter Song oder, wenn’s schlecht läuft, auch mal mittendrin als Stimmungsbringer verheizt werden. Über Intros gehen die Meinungen auseinander. Ein gutes Intro funktioniert wie ein warmes Tuch auf der Haut vor dem Rasieren: Es beruhigt und bereitet optimal für das Nachfolgende vor. Aber Obacht – schlechte Intros können auch Instant-Langeweile transportieren, gegen die die Kassette dann mindestens 30 Minuten ankämpfen muss. Verboten sind also allzu sphärische oder gar theatralische Intros, überhaupt Intros die andere, also Bands, auch schon als Intro benutzen. Das erste Stück darf auch nicht zu lang sein, gute Popsongs haben drei Minuten, alles was über vier Minuten geht ist für die Eins tabu. Es sei denn, man hat sich in eine Bratschistin von den Wiener Symphonikern verliebt. Nächste Seite: Von Inhalten und Botschaften


Von Inhalten und Botschaften

Ein Kapitel, das gelegentlich für Missverständnisse zwischen Mixtape-Schenker und Beschenktem sorgt, ist die Frage, ob über die eigentliche Botschaft (Ich stelle dir ein paar schöne Lieder zusammen, damit du eine gute Zeit damit hast) noch etwas anderes in dem Tape steckt. Da wird, je nach Gefühlsbedarf, gerne falsch interpretiert. Grundsätzlich halte ich es für albern, mit einem 90 Minuten Mixtape via Songtexte verschiedene Nachrichten an die Herzensdame/bube bringen zu wollen – dann wäre ja der Fokus nicht mehr auf dem Schönklang sondern auf der Passform der Lyrics und man muss den kaputten Sepultura-Song nehmen, nur weil da die Stelle mit dem gemeinsamen Kneipenbesuch vorkommt. Dann lieber noch einen Brief mit Privatworten schreiben, den die Adressaten während schöner Mixtape-Lauscherei lesen und insgesamt durchdrehen vor Botschaft und Klang. Trotzdem drängt es den Verknallten natürlich in den Ohren, in dem wunderbaren Liebessong die Stimme der Schenkerin zu vermuten - soll er soll er, nur bitte nicht darauf ansprechen bevor sie es eindeutig als Botschaft enttarnt. Sonst kommt es zu üblen „Du liebst mich doch hat die Dido gesungen“-Telefonaten, die einen schnell als verschrobenen Kleingeist aussehen lassen. Und außerdem haben so viele wunderbar schöne, traurig-schaurige Lieder Texte, die einer zart aufkeimenden Liebe nicht gerade zuträglich sind. Auf die zu verzichten, nur weil ein falscher Eindruck entstehen könnte, wäre jammerschade. Dessen ungeachtet: Mit äußerst Explizitem, etwa „Verpiss dich“ von TicTAcToe oder „I wanna fuck you“ von Snoop Dogg zu eröffnen, scheint in keinem Fall ratsam. Nächste Seite: Die Durststrecke


Über Durststrecken

45 Minuten können ja unheimlich lang sein, vor allem auf der zweiten Seite. All das, was sich an unwiderstehlichen Songs im Hirn staute, ist da bereits verbraten, der Blick schweift zur Beatles-Best-Of und die unerbittliche Tonbandrolle ist immer noch so dick gewickelt. Da heißt es Vorsorgen und, ähnlich wie beim Auflegen, immer zwei Vollbringer in der hohlen Hinterhand halten. Oder aber gleich nur 60er-Kassetten kaufen, die ohnehin schlanker zu hören sind und insgesamt durch Konzentration Freude machen. Wer so schlau nicht war, der wartet gefälligst mit dem Vollenden, denn zwei Dinge dürfen auf keinen Fall passieren: Es darf kein schlechtes Lied auf eine Kassette, die nur das Beste will. Es darf kein Lied zweimal drauf. Ich halte es auch mit den Puristen, die ein Mehrfachvorkommen der gleichen Band strikt ablehnen, aber mehr aus Eitelkeit als aus Sinn. Natürlich hat jemand wie Ben Folds locker fünf Songs im Klavier, die ein Mixtape schmücken würden, aber bevor man dieser Faulheit nachgibt, empfiehlt sich folgendes: Ein Mixtape zu machen (ohne Ben Folds) und dann noch (etwas später) ein Ben-Folds Best-Of auf einer eigenen Kassette. So kommt der Künstler nicht zu kurz und die Wertschätzung, die man ihm gegenüber bringt wird auch dem Beschenkten deutlich – und er hört vielleicht aufmerksamer rein. Allgemein gesprochen lebt ein gutes Mixtape natürlich von der Abwechslung und Erfrischung, die es dem Hörer auch auf der Mitte der zweiten Seite noch bieten sollte. Man wechsle also zwischen kurzen und elegischen Stücken, zwischen deutschen und englischen, zwischen dem flotten Pop- und den düster-eleganten Progrockkakophonien ab. Natürlich, um Himmels Willen, kein wildes Durcheinander, aber jetzt befinden wir uns schon mittendrin im eigentlichen Komponieren. Da muss jeder nach eigenem Vermögen und nach der Gemütslage des Mixtape-Empfängers schalten und walten. Es soll am Ende mehr sein als die Summe der einzelnen Teile, also eben keine Hitparade. Die Wege zu einem Meisterstück sind lang und verschlungen, aber man findet sie, wenn man statt einem Herz eine Plattensammlung trägt. Ich hielt es übrigens lange Zeit für richtig, eine freundliche und eine gedämpftere Seite zu fabrizieren, also etwas für gute Laune und Heimradeln und was für Traurigsein und Kater-Haben. Ich weiß nicht, ob sich das bewährt hat, aber immerhin ist noch nie ein Tape zurückgekommen. Nächste Seite: Feinheiten


Die Feinheiten

Es geht jetzt ums Handwerk, das ja einen großen Teil der Mixtape-Manufaktur ausmacht. Das Tape-Cover ist ein eigenes Kapitel, für das man, wegen Kreativitäts-Freiheit, schlechte Anleitungen geben kann, also nichts darüber. Vielmehr soll es um die Details des Aufnehmens gehen. Ein großer Vorteil der Kassette gegenüber der CD liegt meines Erachtens nach darin, dass die Songs wie ein DJ-Mix fast ineinander übergehen können – jedenfalls sind die Pausen frei bestimmbar. So ein ineinanderverschlungener Mix erfordert aber konzentriertes Arbeiten mit der Pause- und Rec-Taste – zeitigt aber gelegentlich auch im besten Fall ein triumphales Gesamtkunstwerk. Im Gegenzug dazu hat jeder ambitionierte Kassettenaufnehmer einen Hass auf Bands, die ihrerseits auf dem Album Lieder ineinander übergehen lassen und so ein Aufnehmen zum chirurgischen Einschnitt werden lassen. Knackpunkte sind auch unsinnige lange Outros, die man einerseits verteufelt, weil sie öde sind und die ganze Planung in Schieflage bringen, andererseits gelegentlich herbeisehnt. Dann nämlich, wenn es um das letzte Stück auf einer Seite geht. Das, da bin ich Perfektionist, soll schon bitte möglichst nah am Ende der Kassette auch sein eigenes Ende finden. Ein paar Sekunden Leerlauf sind gut, mehr als 20 Sekunden Leerlauf lassen mich aber schon krampfhaft die Plattensammlung nach einem sympathischen Punksong oder lustigen Kurzgeräusch umgraben. Gar nicht geht es, ein Stück das noch erkennbar im besten Alter vor sich hin dängelt, einfach vom Kassettenende kappen zu lassen. Das ist herzlos und schlampig. Stattdessen sind für das Ende solche Stücke zu wählen, die in einem sanften, weiten Getöse ausschwingen, so dass sich im besten Fall der Leerlauf der Kassette wie die letzte Spur des Liedes anhört.

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