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Die Moritat auf die Handyfreisprechanlage.

Text: kapitel_3_1718
Technik bereichert das Leben, macht es einfacher und sicherer.



Was muss der Mesopotamier vor über 3000 Jahren gejubelt haben, als das Wasserschöpfrad erfunden wurde und er nicht mehr seine Frau vor den Mahlstein spannen musste.

Oder der Airbag. Nach der Beifahrertür das zweite Wunderwerk der Verkehrssicherheit. Beim Aufprall des Autos entfaltet er sich prall und explosionsartig um zärtlich die Brille in die Augäpfel und die brennende Zigarette in die Nase zu pressen.

Und fast in Vergessenheit geraten: Der Handleistenschlupfkontakt, der dafür sorgt, das wankelmütige Menschen auf Rolltreppen nicht den Handlauf abreißen, sich mangels Halt lotrecht in die Tiefe stürzen und dabei noch dominomisch einen Kindergartenausflug mit abräumen.



Die Krone des technischen Fortschritts der Neuzeit ist allerdings die Handyfreisprechanlage. Gerade im Straßenverkehr sind die Auswirkungen dieser Erfindung revolutionär. Kann man doch während des Fahrens ohne weiteren Extremitäteneinsatz telefonieren und die Hände endlich ausschließlich für das Halten des Flachmanns, des Joints und des Nasenhaartrimmers verwenden. Asphalt-Freiheit und Mittelstreifen-Rock´n Roll wie einst bei Tommy Gottschalk und Mike Krüger in "Zwei Nasen tanken Super."



Etwas komplizierter aber nicht weniger sinnfällig verhält es sich beim gemeinen Fußgänger. Hier unterscheidet man (in)zwischen 2 Spezies.



Spezies 1: Der Bluetooth-Borg.



Der Bluetooth-Borg hat sich für die immer beliebter werdende unphysische Bluetooth-Lösung entschieden, bei der er sich ein Stück Plastik ins Ohr rammt, welches per Funk mit seinem Handy verbunden ist. Doof nur, das dieses mobile Implantat eine reichlich einseitige Angelegenheit ist. Passiert man einen gerade telefonierenden Bluetooth-Borg von der falschen Seite und schnappt auf, wie er scheinbar ins Nichts plaudert "Ich bin doch nicht verrückt! Das rosa Eichhörnchen hat mir wirklich ans Bein gemacht.", könnte man in große Sorge geraten - und er zur Beobachtung in die Geschlossene. Ausserdem läuft man Gefahr, von den eigenen Kindern immer häufiger Roboter-Papi genannt zu werden und Motoröl anstatt Milch in den Kaffee geschüttet zu bekommen. Derartig innenisoliert wären aber zumindest Schwiegermuttis Kohlrouladen erstmals zu ertragen. Die schwimmen nämlich auch in irgendwas wie Öl.





Spezies 2: Dem Harvey ihm sein bester Freund.



Dem Harvey ihm sein bester Freund hat sich für die kabelgebundene Lösung entschieden. Das eine Ende steckt im Handy und zwei halbe andere Enden in den Ohren. Und in der kabelgeführten Mitte baumelt ein Membran-Knödel, der das Mikrofon beinhaltet. Und hier sind wir auch schon beim Problem: Der Membran-Knödel oszilliert während des Laufens hin und her, wird von Winde beweht und Straßengeräuschen geflutet, reibt sich an der Kleidung und ertrinkt im Regen. Zuviel Streß für den kleinen Sprachhelfer.

Ergo muß der Membran-Knödel während des Freifernsprechens wind-, wetter- und lärmgeschützt in die Hand gebettet dicht vor den Mund gehalten werden. Was ja immer noch eine klare Erleichterung gegenüber dem Halten eines Handys darstellt, da der Mund ganz eindeutig unter dem Ohr liegt und deswegen weitaus weniger Gravitation auf den Arm wirkt.

Nur sieht dies allerdings nun so aus, als ob der mobiltelefonierende Freisprecher mit seiner Hand reden würde. Gut, das kommt in den besten Familien vor. Boris Becker hat das damals auf dem Tennisplatz ständig gemacht.

Bei manchen Menschen aber, die zumeist ihren Frühschoppen noch nicht hatten, interagiert die Hand zudem begleitend wie ein schnatternder Vogelschnabel zum Gespräch, so das man mutmaßen möchte, das Kamerad Schnatterschnäbelchen den Eltern beim letzten Weihnachtsfest bereits als der neue, geheime und schüchterne Freund Harvey von ganz weit her vorgestellt wurde. Seitdem ist der Kontakt zwischen Erzeugern und Sproß übrigens abgebrochen.



Da kann aber nun wirklich die Technik nichts für, das der Mensch so unlogisch gebaut wurde. Wo kämen wir denn hin, wenn die Technik auf einmal dem Menschen folgen würde und nicht mehr der Mensch der Technik? Dann hätte es Scherenverpackungen, die man nur mit Hilfe einer Schere öffnen kann oder Microsoft nie gegeben.






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