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und ich weiss nicht einmal ihren Namen...

Text: ComKeen
Gerade aus ungesundem, ungutem Tagschlaf erwacht, getraeumt von ihr, voellig neben der Spur gewesen nach der Begegnung und der daraufflogenden 12h Busfahrt. Warum musste ich unbedingt gestern fahren, warum habe ich sie erst gestern kennengelernt?



Wie kann das ueberhaupt sein? Wie ist das moeglich? Vielleicht fuenf Minuten geredet und schon so beeindruckt, so enttaeuscht, dass nicht mehr Zeit gegeben ist, so verzweifelt, als mir langsam ins Bewusstsein dringt, sie wohl nie wieder sehen zu werden.



Dabei weiss ich nicht einmal ihren Namen... Was ich weiss: huebsches Gesicht, mittelgrosse, sportliche Figur, kastanienbraunes, gelocktes, schulterlanges Haar, schwarze "Samba", Philosophiestudentin, momentan mit Auslandssemester in Mexiko, hier bis April, Weihnachtsurlaub mit Vater am Strand verbracht, samtweiche Stimme...



Nicht gerade viel, um einen Menschen zu suchen und hoffnungslos jemanden mit dieser Beschreibung zu finden...

Wieviele Philosophiestudentinnen gibt es, auf die dieses Aussehen zutrifft?



Weisser Strand, Palmen, tuerkisfarbenes Meer; gibt es eine bessere Kulisse, um sich zu verlieben? Verliebt man sich ueberhaupt in die Person, oder vielleicht doch eher in die Umgebung? Idealisiert man nicht zwangslaeufig den Anderen, wenn man ihn so kennengelernt hat? Anders ausgedrueckt, verliert dieser seinen Reiz, wenn man ihn wieder trifft? Soll man sich ueberhaupt auf die Suche nach ihm machen, oder ist die Erinnerung an diesen kurzen Augenblick nicht viel schoener, erhaltenswerter, als alles, was vielleicht noch kommen koennte?



Vielleicht ja, aber ich verspuere den Zwang in mir, von meinen Gefuehlen, direkt vom Herzen ausgehend, kaum verdraengbar, obwohl ich mir einen starken Geist, einen ans Siegen gewoehnten Verstand zurechnen wuerde, einen Zwang diese Person, dieses Maedchen, trotz aller Hoffnungslosigkeit des Unterfangens und trotz der Moeglichkeit enttaeuscht zu werden, zu suchen, es wenigstens zu versuchen, alles in meiner Macht stehende zu unternehmen, um sie noch einmal zu sehen...



Ich spreche von Enttaeuschung, von einer moeglichen Enttaeuschung, denn hier stellt sich die naechste Frage: was ist, sollte ich sie wirklich finden? Entspricht sie dem Bild, das ich mir in der Zwischenzeit, aus den kargen Fakten heraus, ausgemalt habe? Vor allem, hat sie das Treffen ueberhaupt wahrgenommen? Erinnert sie sich daran? Hat es irgendeine Bedeutung fuer sie?



Ich fragte sie nach der Uhrzeit, sie und ihren Vater, am Strand. Es war mein letzter Tag, mein Bus fuhr 20 Minuten vor Fuenf. Ich sprach sie auf englisch an, sie zeigten mir die Uhr. Ein paar Schritte weiter fragte sie mich auf spanisch, ob die Uhrzeit irgendeine Relevanz fuer mich haette. Ich antwortete, ebenfalls auf spanisch, ja, das haette sie, mein Bus fuehre dann und wann und ich haette keine Uhr. Ein paar Schritte weiter, sie dreht sich noch einmal um, kommt zurueck, ihr Vater geht weiter in Richtung Meer. Sie gibt mir einen Uebernachtungstipp, wir kommen ins Gespraech, es stellt sich heraus, dass sie Deutsche ist und auch weiss, dass ich es bin. Was hat mich verraten, Pascal Merciers "Der Klavierstimmer", der neben mir auf dem Strandtuch liegt, oder mein Akzent?

Es entwickelt sich ein kurzer Dialog, was man so mache und andere ungemein wichtige, belanglose Informationen. Ihr Vater wartet, das ist das Problem... Am Ende sagt sie noch ihren Namen, man werde sich vielleicht wiedersehen, gibt mir ihre Hand, ein einfacher Haendedruck ist alles an Beruehrung zwischen uns, und geht zu ihrem Vater. Ich voellig perplex, habe nicht einmal ihren Namen bewusst aufgenommen. Perplex und langsam fasziniert, immer mehr...



Was war das? Dass sie mich zweimal ansprach? Ihre Stimme? Ihre Art sich zu bewegen? Ihr zurueckhaltendes Laecheln? All das und noch mehr, noch viel mehr; das alles innerhalb von fuenf Minuten.

Und jetzt sitze ich hier und schreibe diesen Text, um meine Gefuehle auszudruecken, um sie zu lindern und aus der leisen Hoffnung heraus, dass irgendjemand das hier liest und vielleicht, ich wage es gar nicht auszusprechen, dieses Maedchen wiedererkennt, ihr diesen Text zeigt und mir somit eine Chance auf ein Wiedersehen gibt, mir hilft...



Wer kennt sie nicht, diese Situation? Ein kurzes Gespraech, ein buchstaeblicher Augenblick, die die Macht besitzen dein Leben fuer immer zu veraendern. Wie kann man diesen Augenblick festhalten? Nach Telefonnummer oder e-Mailadresse fragen? Nach 5 Minuten? Ist das nicht etwas zu banal? Ich haette nur die Wahrheit sagen muessen, dann wuerde es mir jetzt nicht so schlecht gehen. Die Wahrheit, man wolle im Kontakt bleiben, weil man sich in 5 Minuten verliebt habe? Dazu war ich in diesem Moment zu feige, schuechtern, perplex, was auch immer, man kann es sich aussuchen, an den Tatsachen aendert es nichts: ich werde sie wohl nie wiedersehen und ich weiss nicht einmal ihren Namen...

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