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jetzt.de: Wie haben eure Studenten auf die Hinrichtung Saddam Husseins vor zehn Tagen reagiert? Susanne: Die meisten waren überrascht von der Eile, mit der das Urteil vollstreckt wurde und fanden es heikel, dass die Hinrichtung kurz vor dem Opferfest Eid al-Adha stattfand, einem sehr hohen muslimischen Feiertag. Einer meiner Mitarbeiter schrieb mir eine SMS, seine Frau habe geweint, als sie sah, wie Saddam der Strick um den Hals gelegt wurde, einfach, weil sie die ständigen Bilder von Tod und Gewalt nicht mehr erträgt – selbst wenn es diesmal den verhassten Diktator traf. Wir standen aber auch alle noch unter Schock, weil vier Tage zuvor ein Student durch eine Bombe in Bagdad ums Leben kam. Das hat uns stärker beschäftigt als der Tod des Diktators. Welche Hoffnungen oder Ängste verbinden junge Iraker mit der Vollstreckung? Im Alltag der meisten Iraker spielte Saddam schon lange keine Rolle mehr. Daher sagen viele, für uns wird sich durch seinen Tod wenig ändern: Das Morden wird nicht aufhören und wir werden weiter mit ein bis drei Stunden Strom am Tag auskommen müssen. Die Hinrichtung taugt nicht zum Symbol für einen Neuanfang. Im Gegenteil – nachdem das heimlich gedrehte Video von der Hinrichtung aufgetaucht ist, in dem zu hören ist, wie Schiiten Saddam beschimpfen und der Henker mitten im letzten Gebet von Saddam die Klappe öffnet, wächst die Angst, der Graben zwischen Sunniten und Schiiten könnte noch tiefer werden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Susanne Fischer am Stausee von Dokan (Foto: Malik-Verlag) Wer kommt denn zu euch, um sich als Journalist ausbilden zu lassen? Irakerinnen und Iraker, die meisten zwischen 20 und 30 Jahren und ohne Vorkenntnisse im Journalismus. Einige hatten vorher studiert, andere gearbeitet. Warum wollen sie Journalisten werden? Viele möchten dazu beitragen, dass die Presse nun – nachdem es unter Saddam Hussein keine freie Presse gab – ihre Aufgabe erfüllen und die Menschen informieren kann. Einige hoffen, dass sie Korruption aufdecken und Politiker kontrollieren können. Andere haben literarische Ambition oder sind einfach neugierig. Welche Erfahrungen machen eure Absolventen, wenn sie anfangen zu arbeiten? Wir bekommen immer wieder eine Mails, in denen ehemalige Studenten uns schreiben, sie können jetzt erst mal nicht schreiben, weil sie bedroht werden. Einer hat sich für zwei Wochen nach Teheran abgesetzt. Aber sie kommen alle wieder, um weiter zu berichten. Seit dem Einmarsch der Amerikaner sind mehr Journalisten ums Leben gekommen als in Vietnam in 20 Jahren Krieg. In der Regel Iraker. Die ausländischen Journalisten sind in gepanzerten Wagen unterwegs. Was gut funktioniert ist, dass wir die Journalisten in ihrem Umfeld einsetzten. Wenn jemand aus dem sunnitisch geprägten Falludscha kommt, berichtet er auch von dort. Ich würde niemanden von woanders dorthin schicken. Die sunnitisch-schiitischen Spannungen scheinen immer schlimmer zu werden. Eine Zäsur war der Anschlag auf die Moschee in Samarra, wo ein schiitisches Heiligtum gesprengt wurde. (22.2.2006, Anm. d. Red.) Danach war Ausnahmezustand, Schiiten haben sunnitische Moscheen gestürmt, innerhalb von zwei Tagen wurden 130 Menschen ermordet. Damals sollte ein neuer Kurs beginnen, den wir dann verschieben wollten, weil das Reisen sehr gefährlich war. Einige Schüler sind trotzdem gekommen. Auf ihren Gesichtern war unglaubliche Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit zu sehen. Einer sagte uns, das sei der schlimmste Tag in seinem Leben. Die Studenten haben beschrieben, wie in Bagdad maskierte Männer mit Raketenwerfern durch die Straßen marschiert sind und die Polizei sich nicht getraut hat einzugreifen. Was können Journalisten denn in so einem Klima der Gewalt noch leisten? Weil es doch viele ganz gut ausgebildete Journalisten gibt, konnte bisher vermieden werden, dass Medien dazu aufrufen, Schiiten oder Sunniten abzuschlachten. Journalisten sind im Moment noch ein stabilisierender Faktor. Vielleicht können sie so dazu beitragen, dass es nicht noch schlimmer wird. Haben die Studenten auch voneinander gelernt, weil sie aus verschiedenen Teilen des Irak kommen? Es gibt nicht mehr viele Orte im Irak, wo sich Schiiten, Sunniten, Kurden, Gemäßigte und Religiöse treffen und über Fragen wie Verfassung, politische Parteien oder Scharia diskutieren können. Bagdad ist zunehmend eine ethnisch separierte Stadt. Aus Vierteln, in denen viele Schiiten wohnen, sind die Sunniten weggezogen und umgekehrt. Es gibt sogar Makler, die darauf spezialisiert sind, Häuser von Familien zu tauschen. Im Alltag begegnen sich die Menschen kaum noch. Bei uns leben sie dann mehrere Wochen miteinander, lernen zusammen, diskutieren über wichtige Fragen und merken: Das sind ganz normale Menschen mit Ideen, Familie, Kindern. Der Kurs ist eine Erholung für sie. Hier im Norden können sie essen gehen, auf dem Basar einkaufen und abends auf die Straße, ohne Angst haben zu müssen, an der nächsten Kreuzung in einen Kofferraum geschmissen zu werden. Gab es zwischen dir und den Studenten große kulturelle Unterschiede? Ich habe das vor allem bei den Frauen gemerkt, obwohl einige studiert hatten oder berufstätig waren. Trotzdem haben sie für sich als Frauen eine andere Rolle verinnerlicht. In einer Diskussion sagte ein Schüler plötzlich: „Manchmal muss man Frauen einfach schlagen.“ Ich zuckte natürlich zusammen, habe mich aber zurückgehalten, weil mich interessierte, was die Frauen im Kurs sagen würden. Die widersprachen auch und meinten: „Schlagen ist doch nicht so richtig. Es gibt ja auch andere Möglichkeiten sie zu bestrafen, zum Beispiel einsperren.“ Aber das Konzept „Mann darf Frau bestrafen“ wurde nicht hinterfragt. Hast du versucht, sie zu beeinflussen? Ich habe schon gesagt, dass man bei uns argumentieren würde, warum überhaupt einer das Recht hat, den anderen zu bestrafen. Aber man muss immer abwägen, wie weit man geht. Das ist eine Frage des Respekts vor der anderen Kultur. Gleichzeitig darf man seine eigene Identität nicht verleugnen. Haben sich deine Werte verändert? Ich bin zwar nicht zum gläubigen Menschen geworden, aber ich denke mehr darüber nach, welche Rolle Religion im Leben anderer Menschen spielt und wie wir in einer säkularen Gesellschaft damit umgehen können. Ich finde es nach wie vor sehr wichtig und richtig, dass wir eine Trennung von Staat und Religion haben und dass man auch das Recht auf religionsfreie Räume hat. Aber mir ist klar geworden, dass wir das nicht als Lebensmodell für andere voraussetzen können. Und ich habe gelernt, die deutsche Gesellschaft aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Warum? Ein Mal haben wir über die Ehe diskutiert. Eine der Frauen fragte mich: Bei euch dürft ihr die Männer selbst aussuchen, warum sind trotzdem die Scheidungsraten so hoch? Das heißt doch, dass das auch nicht glücklich macht? Da habe ich einerseits wieder gemerkt, dass die Erziehung der Frauen dort sehr anders ist als meine eigene. Andererseits wurde mir klar, dass das ein Argument ist, dem ich nicht rundweg widersprechen konnte: Man kann sich natürlich genauso irren wie die Eltern. Susanne Fischer, 38, ist Leiterin des britischen Institute for War and Peace Reporting (IWPR) im Nordirak. Das IWPR möchte mit der Ausbildung unabhängiger Journalisten die Demokratie in ehemaligen oder bestehenden Diktaturen fördern. IWPR-Studenten schreiben unter www.iwpr.net. Von ihren Irak-Erfahrungen erzählt Susanne Fischer in „Meine Frauen-WG im Irak“ (Malik).

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