Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Der kleine Alltag

Text: msb
Ich möchte gerne integriert werden. Was aber ist denn die Integration, von der man immer wieder hört? Als gemäßigter oder als liberaler oder als normaler Muslim möchte ich diese auch gerne kennen lernen, wenn ich dies nicht ohne hin schon hinter mir habe.



Doch erst zu der Nation, die irgendwelche Integration unbedingt durchsetzen möchte. Integration in deutsche Kultur, in die deutsche Gesellschaft ist eigentlich gar nicht so schwierig. Leider gibt es aber paar Hindernisse, die aber auch nur für bestimmte Gruppen gibt, während ein Großteil der ganzen Welt mit diesen Hindernissen nicht zu tun haben. Integration sollte ein gegenseitiger Prozess sein. Nur einseitig von irgendwelchen Minderheiten zu verlangen, sie müssen sich in die "Leitkultur" der herrschenden Mehrheit integrieren, wäre fehl am Platze. Dennoch haben einige Politiker in Deutschland den Begriff "Leitkultur" im Zusammenhang mit der leidigen Diskussion über die Integration vieler ausländischen Mitbürgern in Deutschland benutzt. War ja klar, dass einige eh krankhaft die Neigung haben, immer wieder einen sonderbaren, deutschen Weg einzuschlagen. Die deutsche Kultur als "Leitkultur" ist an sich beleidigend genug für alle anderen Kulturen, obwohl man überspitzt meinen könnte, hier sei keine Kultur schlechthin zu finden. Vom Norden bis Süden, vom Osten bis Westen, kenne ich nur eine Kultur, auf die sich die Deutschen freilich kollektiv einig sind; Das, was allen Deutschen fast ausnahmslos Spaß macht, ist das spaßvolle Feiern. Das ist der einzige Wert, der mir als einziger Wert in der ganzen Bevölkerung gemeinsam erscheint. Gegen Demokratie gibt es hier Stimmen, gegen Meinungsfreiheit gibt es hier Strömungen, gegen religiöse Freiheit gibt es gar mittlerweile anfängliche Gesetze, gegen sonstigen Werte wird hier auch kontrovers diskutiert. Was aber allen deutschen, mit denen ich im Kontakt war, Freude bereitet, ist Feiern, sei das am Wochenende, am Geburtstag, sonstiger Anlass oder einfach ohne Anlass. Es ist das Feiern. Wer mit einem Deutschen feiern kann, ist freilich integriert, weil die Deutschen an sich ein freundliches Volk sind.



Und gerade das Feiern ist das einzige, welches das größte thumb_feiern.jpgHindernis zwischen der hiesigen muslimischen Bevölkerung und den Deutschen ist. Man kann als Muslim irgendwie schlecht mit den Deutschen feiern. Wie will man denn feiern, wenn man gar kein Alkohol trinkt? Wie feiert man denn überhaupt, wenn man doch nicht besoffen ist? Kann man denn überhaupt Freude empfinden, wenn man bei vollem Bewusstsein, Null-Promille, ist? Wie kann man mehrere Stunden feiern ohne Bier, ohne Alkohol? Nur Reden? Nur Essen? Nur Plaudern? Das geht doch irgendwie nicht auf die Dauer, oder? Es gibt so gut wie keine non-alkoholische Party. Der Begriff "Party" ist an sich für einen "echten" Deutschen mit eigenartigem Saufgehabe und freizügiger Blödheit verbunden.



Aber "Party" oder Feiern alleine wäre ja nicht so schlimm. Gerade in dem heutigen, sog. Informationszeitalter sind die Vorurteile so groß, dass es einem deutschen irgendwie schwer fällt, eigene Arroganz überhaupt zu bemerken, geschweige denn diese irgendwie zu unterdrücken. Beispiele sind die alltäglichen Aussagen oder Fragen, die einem ausländischen Bürger auf Dauer einfach kränken: "Woher sind Sie denn?" (Eine harmlose, jedoch eine kränkende Frage für einen in Deutschland geborenen, der akzent- und einwandfrei Deutsch redet.) "Werden Sie nach Ihrem Studium hier bleiben?" "In Deutschland ist es doch gut". "Nichts gegen Sie, aber manche Ausländer wollen sich gar nicht anpassen." Die Liste kann man unendlich vergrößern. Die Frage, die sich für mich und für viele erhebt, ist, wann endlich hört das auf?



Man muss doch auch über gemeinsame Themen reden können, darüber verschiedener Meinung sein dürfen, ohne die Angst zu haben, dass man wieder als ausländisch angenommen wird, weil man gerade eine andere Meinung hat. Oft finden Diskussionen nur defensiv statt. Man muss als ausländisch Aussehender erst mal die ganze Vergangenheit erzählen, dann die einzelnen Lebensabschnitte erläutern, verschiedenste Fragen beantworten. Nach diesen Filterkriterien wird überhaupt erst mal ein normales Gespräch angefangen. Wer diese Tests bestanden hat, wird zu einem Drink oder Essen eingeladen. Ab hier gibt es nur noch Probleme, die zu bewältigen sind. Irgendwelche Vorschläge, die realistisch sind?


Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: