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„Du siehst zu, wie deine Freunde sterben“

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Mit der Reportage über einen jungen Drogenabhängigen in München hat der 17-jährige Johannes Drosdowski aus München den jetzt.de Award für die besten Nachwuchsjournalisten gewonnen. In Zusammenarbeit mit CNN International hat jetzt.de diesen Preis zum ersten Mal im Rahmen des CNN Journalist Award der Medientage 2006 verliehen. Teilnehmen konnten junge AutorInnen aus deutschen Schülerzeitungen der Klassen zehn bis 13. Er sieht alt aus. Unheimlich alt. Seine Haare hängen ihm fransig über die Augen. Kaum zu glauben, dass er erst Anfang 20 ist. Die Sucht, obwohl seit Jahren schon bezwungen, hat tiefe Furchen in sein Gesicht gegraben. Als ich das belebte Café betrete, ist Peter (Name von der Redaktion geändert) bereits da. Er lächelt mich an und begrüßt mich per Handschlag. Er trägt lässige Klamotten, ein kariertes Hemd über dem roten T-Shirt. Keiner von uns beiden weiß, wie er das Thema ansprechen soll. Natürlich habe ich Fragen. Aber ich habe Angst, bei dem Ex-Junkie alte Wunden aufzureißen. Schließlich macht Peter den Anfang. Er beginnt zu reden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mit elf rauchte er zusammen mit Freunden seinen ersten Joint. Anfangs nur selten, dann immer öfter. Immer mit Freunden. Bis er zwölf war, denn dann war er auf einmal allein: Alle anderen hatten rechtzeitig aufgehört. Das war auch die Zeit, in der er begann, seine Eltern zu bestehlen, um genug Geld für den Stoff zu bekommen. Mittlerweile war er bei den Dealern an der Schule ein so guter Kunde, dass er gelegentlich auch auf Kredit chillen konnte. Das kam ihm gerade recht, als ihm etwas Neues angeboten wurde: Koks. Vorher hatte er es immer für eine Promi-Droge gehalten. Heute weiß er nicht mehr genau, was es war, das ihn an dieser Droge so begeisterte. Billig war das Zeug nicht unbedingt, das stimmt. Aber er hatte immer noch das Geld seiner Eltern, entweder gestohlen oder als Geschenk – sie glaubten, ihr mangelndes Interesse durch solche Geschenke wieder ausgleichen zu können. Endstation Hauptbahnhof Ohne das Geld der Eltern hätte er sich die Drogen überhaupt nicht leisten können – gibt er ihnen deswegen die Schuld an seiner Sucht? „Nein, natürlich nicht“, sagt er. Er klingt, als meint er es ernst. „Ich werfe ihnen nur vor, sich nicht für mich interessiert zu haben. Kein bisschen...“ Peters Blick gleitet immer wieder ab. Als er bemerkt, wie weit er gerade weg war, entschuldigt er sich. Er kann sich nur nicht konzentrieren. „Das kommt von den Drogen“, sagt er und erklärt, dass das „Höllenzeugs“, wie er es heute nennt, Gehirnzellen zerstört. Früher konnte er Stunden lang zuhören oder lesen, um mit Hilfe von Geschichten der Realität zu entkommen. Das geht jetzt nicht mehr. Länger als eine viertel Stunde am Stück einer Unterhaltung zu folgen, ist nicht mehr drin. Er hofft, dass sich das mit der Zeit ändert. Die anderen Leute aus der Therapiegruppe, die Peter immer noch besucht, sagen, dass das aber nur bei den wenigsten so abläuft. „Zurück zum Thema“, sagt Peter, merkt dabei nicht einmal, dass er doch eigentlich beim Thema ist und erzählt seine Geschichte weiter: Irgendwann nahm er zum ersten Mal LSD. Und haute zum ersten Mal von zu Hause ab. „War ’ne harte Zeit auf der Straße, auch wenn ich in ’ne Gruppe von anderen Straßenkids aufgenommen wurde“, erinnert sich Peter. „Du siehst, wie innerhalb von zwei Monaten drei deiner Freunde sterben.“ An einer Überdosis. Oder, weil sie unter Drogen die Rolltreppe runterfallen. „Da erkennst du dann entweder, dass du unbedingt 20 werden willst. Oder du erkennst es nicht und gerätst noch tiefer in diesen Drogensumpf“, erzählt Peter. „Und wenn du erst einmal Heroin kennen gelernt hast, dann lernst du auch ganz schnell den Münchner Hauptbahnhof kennen.“ Der Hauptbahnhof sei für die meisten Endstation, meint Peter und seine Unterlippe beginnt zu zittern. Gerade eben noch hat er aufrecht vor mir gesessen, jetzt hat er die Haltung eines geschlagenen Köters. 15 Jahre alt war er damals. „Aber ich war noch nicht im Stimmbruch und sah auch noch sehr jung aus, du glaubst gar nicht, wie viele Menschen es gibt, die auf so etwas stehen“, sagt er. „Und das Miese ist ja, dass sie dich nicht mal richtig bezahlen, sie wissen genau, wie sehr sich die Leute von der Straße nach einem Bett und etwas im Magen sehnen.“ Er war froh, als ihn die Polizei schnappte. Auch darüber, dass sie ihn nach Hause brachten. Aber als er dort ankam, war alles ganz verändert: die Eltern, besonders die kleine Schwester. „Sie war enttäuscht von mir. Sie wollte mir nicht einmal in die Augen sehen. Sie hat mich nur feindselig angestarrt“, sagt Peter. „Das musst du dir mal vorstellen, ein Mensch, der früher total in dich vernarrt war, und du in ihn genauso, behandelt dich auf einmal nicht nur wie einen Fremden, sondern wie einen Eindringling oder Verräter.“ In diesem Moment hat Peter gewusst, dass er etwas unternehmen muss. So schwierig das auch ist: der körperliche Entzug von allem, was es damals zu kaufen gab, der Kampf gegen die Abhängigkeit. Es gab ein paar Rückfälle, doch mit achtzehn hat er nichts mehr genommen. „Klar war es manchmal hart, aber ich habe mir einen Löffel und ein bisschen Heroin aufgehoben. Nicht, um es zu nehmen oder so, sondern um mich immer an diese Zeit erinnern zu können“, sagt Peter. Und wenn das nichts hilft, dann geht er an die Plätze, an denen er früher immer mit seinen Straßenfreunden war, und sieht nach, wer alles noch lebt. Und jedes Mal muss er feststellen, dass erneut ein paar gestorben sind. Kürzlich stand wieder etwas über jemanden in der Zeitung, der auf Opium vor ein Auto gelaufen ist. „Das war damals mein bester Freund“, sagt Peter. „Jetzt liegt er irgendwo begraben, ohne einen Grabstein oder Namenszug auf einem Holzkreuz in einem der vielen anonymen Gräber.“ Johannes Drosdowski besucht die elfte Klasse am Werner-Heisenberg-Gymnasium in Garching. Seine Reportage ist zuerst in der Schülerzeitung „Querdenker“ erschienen.

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