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Marokko am See - ein Leben zwischen zwei Kulturen

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Angestrichen: „Wenn Issa zu Hause war, hatte alles eine Bedeutung. Und wenn er draußen oder in der Schule war, bedeutete alles nichts. Issa stand auf und schaute hinunter auf die Völker von Amsterdam. Er hatte ihnen nichts zu sagen.“ Wo steht das denn: Ziemlich in der Mitte des Buches „Marokko am See“ der holländischen Jugendbuchautorin Karlijn Stoffels, die sich in ihren Büchern sehr oft mit dem brisanten Thema der Ausländerintegration in den Niederlanden auseinandersetzt. So auch in diesem Buch, in dem sie die Geschichte von Issa erzählt, der ursprünglich aus dem nordafrikanischen Marokko kommt, aber mit seiner Familie in das Problemviertel Osdorp in Amsterdam zieht und sich von nun an in einer fremden Welt zurecht finden muss. Der 13-jährige Issa aus Marokko hat es in seinem Leben nicht leicht. Er wohnt zusammen mit seinen muslimischen Eltern und seinem kleinen Bruder in einem Betonbauviertel in Amsterdam und bewegt sich zwischen zwei Kulturen. Was zu Hause gilt, hat in der Schule nichts mehr zu bedeuten und umgekehrt ebenso. Dadurch fällt es ihm sehr schwer sich zu integrieren und Freunde zu finden. Issa spricht drei Sprachen: Marokkanisch, das Arabisch des Korans und Holländisch, jedoch keine von ihnen perfekt. Schließlich wird er auf eine Schule für lernschwache Kinder geschickt, an der er zum Gärtner oder Tierpfleger ausgebildet werden soll. Zunächst will er unter keinen Umständen dort hin, doch mit der Zeit findet er viele neue Freunde und gewinnt mehr und mehr Einblick in die fremde Welt, die doch sein Zuhause ist, denn endlich lernt er echte Niederländer kennen. Der einzigen Niederländer, den er bereits zuvor kannte, ist sein Nachbar, dem er gerne Geschichten aus dem Koran erzählt, um ihn zu bekehren.

Außerdem gibt es da noch seinen Bruder Mohammed, der vom Vater verstoßen wurde, da er eine niederländische Freundin hat. Er und der Nachbar sind für Issa Ankerpunkte, die ihm helfen, sich in Amsterdam einzuleben und die fremde Welt besser zu verstehen. Die Eltern machen es Issa hingegen nicht leicht sich zu integrieren: Er bekommt weder Taschengeld, wie die anderen Kinder, noch darf er fernsehen. Gleichzeitig werden Bastelarbeiten, die er in der Schule anfertigt, zu Hause nicht eines Blickes gewürdigt. Sein Vater hält generell nicht viel von Issa, da er zum einen schlecht in der Schule ist, und zum anderen versucht, sich mit der westlichen Welt zu vereinbaren. So entsteht eine Kluft zwischen Vater und Sohn die immer größer zu werden scheint. Seine Mutter hat in der Familie nicht viel zu sagen, denn in Issas Kultur haben Frauen geringeren Wert als Männer. Doch als Issa in seiner neuen Schule Farah, das Mädchen mit den großen schwarzen Augen, kennen lernt, erkennt er, dass man nicht alles glauben muss, was ihm in der Koranschule beigebracht wurde. Bei einer Schlägerei kommt er Farah zu Hilfe und gerät dadurch selbst in Schwierigkeiten… Die Autorin Karlijn Stoffels lässt Issa den Beobachter einer Welt sein, die er erst verstehen lernen muss. Der Leser hat das Gefühl selbst am Rande der Geschehnisse zu stehen und sieht, wie es ist, Mitglied einer Randgruppe zu sein und zwischen zwei Leben hin und her schalten zu müssen. Das Buch enthält zahlreiche treffende Beobachtungen und ist mit viel Witz erzählt. Das fesselt den Leser und weckt sein Mitgefühl für den jungen Issa. Insgesamt eine bewegende Geschichte, anhand derer man auch als Erwachsener noch viel dazulernt. Ein multikulturelles Buch, das durch Sozialkritik gekennzeichnet ist und glaubwürdig rüberkommt. Steht im Bücherregal: Zwischen Herbert Somplatzkis „Als aus Janusz Jan wurde“ und Hans-Georg Noacks „Hautfarbe Nebensache“. Karlijn Stoffels „Marokko am See“ ist im Beltz&Gelberg–Verlag erschienen, hat 155 Seiten und kostet 12,90 Euro. Cover: Diana Lukas-Nülle unter Verwendung einer Fotografie von Getty Images

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