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Gönnerhaft und hundemüde: Joschka Fischer ist wieder da. An der Uni

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Als Joschka Fischer die Bühne im Hörsaal neben der großen Aula betritt, denkt man automatisch zurück. An den September 2005, seinen letzten Auftritt in München als aktiver Bundesaußenminister, auf dem Marienplatz in der finalen Phase des Wahlkampfs. Damals war Fischer *hemdsärmelig *heiser *verschwitzt. Leidenschaftlich und einpeitschend. Seine zentralen Themen damals: Türkei und Europa, das gescheiterte Referendum zur europäischen Verfassung. Fischer heute: beruflich Gastprofessor in Princeton, USA, und nun als intellektueller Gastredner im gut sitzenden Anzug zum Europaforum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) eingeladen. Zentrale Themen seiner Rede: Türkei und Europa, der nächste Anlauf zur europäischen Verfassung. Damals, auf dem Marienplatz, waren mehrere Tausend Zuhörer da, diesmal füllen platzbedingt schon mehrere Hundert den Saal. Fischers Zeigefinger fährt aber noch genauso oft fallbeilartig auf das Rednerpult nieder, ganz als hinge von dem Nachdruck, mit dem er seine Worte vermittelt seine Wiederwahl ab. Sein Gesicht trägt den gleichen verkniffenen Ausdruck. Er bekommt den gleichen Beifall wie früher. Er ist, heute wie damals: ein Star.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Da ist er wieder, der alte Knarz: Joschka Fischer bei einem Referat am Donnerstagmorgen in München. Am Abend trat er vor Münchner Studenten. (Foto: dpa) Fischer bestätigt diese Rolle teilweise durch sein eigenes Auftreten, teilweise wird er in diese Rolle gedrängt. Der schwedische Buchautor und Unternehmensberater Kjell A. Nordström, der vor Joschka Fischer die Bühne des Europaforums an der LMU betritt, bezeichnet sich selbst als „Warm-Up“ für den ehemaligen Außenminister. Nordström mimt den unkonventionellen Motivationscoach, während Fischer im Sitzen den bedächtigen Staatsmann verkörpert: den Kopf leicht seitlich nach unten geneigt, lässt er sich vereinzelt zu einem gönnerhaften Schmunzeln über seinen Vorredner hinreißen. Das Erfolgsgeheimnis der USA? "They don´t care!" Nordström arbeitet mit Grafiken, er macht seine Thesen plastisch. Einmal ist ein riesiges Bild von Karl Marx mit Victory-Zeichen und einem Nokia-Logo auf dem T-Shirt zu sehen. Nordström spricht von der „Monty Python“-Version des Kapitalismus. Davon, dass Europas Wirtschaft mehr „Real Madrid“ wagen müsse, um auf Augenhöhe mit Amerika zu sein. „Wie schaffen die USA es, wirtschaftlich so erfolgreich zu sein?“, fragt Nordström auf Englisch ins Publikum. „They don´t care!“, kommt es postwendend zurück. Sie kümmern sich nicht, es ist ihnen egal, was andere denken, soll das heißen. Nordström grinst, die Zuhörer lachen, sofort liegen Gedanken an die vertrackte Situation im Irak, an das weltpolitische Gebaren der USA in der Luft. Joschka Fischer, das Kinn auf die Brust gesenkt, lächelt dabei still in sich hinein. Natürlich kommt er später noch darauf zu sprechen. Ein Auftritt von Joschka Fischer funktioniert nicht ohne den Hinweis, wie er sich dem Eintritt in den Irak-Krieg widersetzt hat. Fischer selbst definiert sich vor allem darüber und legt diese Episode seinem Handeln als Politiker zugrunde. Fischer wird lauter, eindringlicher Er habe bei keiner politischen Entscheidung vorher bei den USA um Erlaubnis gefragt, sagt er: „So war ich noch nie“. Als jemand aus dem Publikum höhnisch fragt: „Wie bitte?“, sagt Fischer es eben noch mal. Lauter. Eindringlicher. „So war ich noch nie!“ Sonst ist er erkennbar um Versöhnung bemüht. Er bittet inständig darum, der Türkei in den Beitrittsverhandlungen noch mehr Zeit zu geben. Dann, wenn es ernst werde und nicht anders ginge, könne man ihren Beitritt immer noch ablehnen. Kaum ein Unterschied zu früher Wenn es um Europa geht, nimmt Fischer immer wieder das Wort „Erfolgsgeschichte“ in den Mund. Die bisherige Entwicklung Europas stellt für ihn eine einzige „Erfolgsgeschichte“ dar. Dass die europäische Verfassung ein zweites Mal abgelehnt werden könnte, fürchtet er nicht: „Ich bin der festen Überzeugung, wir kriegen das hin.“ Alle Bedenken, die Zuhörer in ihren Fragen anmelden, etwa zu bestehenden Integrationsproblemen der Türken in Deutschland oder zu einer möglichen Überlastung der EU, übertüncht Fischer mit seinem Zutrauen in die große Idee. Joschka Fischer war so selbstsicher, wie man ihn kennt. Am Ende ist er so schroff, wie man ihn kennt. Er mag nach der Veranstaltung keine Fragen mehr hören und raunzt vor seinem volksnahen Abgang durch die Stuhlreihen nur: „ Ich bin hundemüde“. Das sagt er energisch und blickt dabei starr auf den Boden. Dann sagt er noch: „Ich bitte sie wirklich, mir keine weiteren Fragen zu stellen. Ich bin Privatmann, und kein Politiker mehr.“ Das ist der einzige Unterschied zu früher. Sonst war eigentlich alles - der Auftritt, die Themen, der Beifall - wie immer.

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