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„Die Schule muss uns klar machen, warum wir lernen“: Ein Schülerkongress

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Flo trägt eine rote Schirmkappe und hat zu Schulnoten eine recht klare Meinung: „Wenn es keine Noten mehr gäbe, ich würde sofort aufhören, mitzumachen“. Ihm Gegenüber im Stuhlkreis sitzt Theresa mit einem Batiktuch um den Hals und hebt ihre Stimme, um zu widersprechen. Aber sie wird gerüffelt. Gut 150 Schülersprecher aus München und Umland haben sich vergangenes Wochenende im Schulzentrum am Perlacher Forst zum ersten Münchner Schülerkongress „besser’06“ getroffen. Den haben die Schüler vom Verein Münchner Schülerbüro (MSB) organi-siert, um die Schülersprecher der Stadt zusammenzubringen, um sie in mehr als 20 Workshops und Diskussionsrunden zu bilden und zu inspirieren.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Raphaela und Lukas. Raphaela Schweiger, 18, sitzt erschöpft an einem Tisch in der Aula. Sie und Lukas Hellbrügge, 19, beide vom Schülerbüro, haben den Kongress initiiert. Auf den Tischen stehen noch Pfannen mit Spätzleresten vom Mittagessen. Raphaela nimmt den Knopf ihres Handy-Kopfhörers aus dem Ohr und legt einen Moment ihren Kopf auf die verschränkten Arme auf dem Tisch. Sie hat in der Nacht nicht geschlafen. „Wir mussten um Mitternacht mit Bussen in unser Nachtlager im Jugendzentrum Trudering. Dort sind alle noch zusammen gesessen und ab drei Uhr habe ich angefangen, die Sachen für den nächsten Tag vorzubereiten“. Das SMV-Handwerk lernen Raphaela ist im SMV-Raum ihrer Schule erwachsen geworden. In der achten Klasse wurde sie dritte Schulsprecherin am Pestalozzi-Gymnasium, arbeitet später als Bezirksschülersprecherin, schließlich in der Landesschülervertretung Bayern. „Es geht darum, etwas für die Schulgemeinschaft zu tun“ sagt Raphaela. „Nach jedem Schulfest zum Beispiel ist das Klima an der Schule ein bisschen anders, besser.“ In der SMV zählen oft die kleinen Erfolge, denn, so Raphaela: „Die Entscheidungsgewalt liegt immer noch beim Direktor“. Die Schüler im MSB begreifen sich deshalb als Motivatoren. Sie organisieren Seminare zu Projektmanagement oder Tutorenausbildung, sie sorgen sich um das Handwerk des Schülersprecher-Seins. „Viele denken ja: Ich bin jetzt Schülersprecher und muss alles alleine machen. Aber nein,“ sagt Raphaela, „als Schülersprecher musst Du koordinieren und sagen, was es zu tun gibt.“ So ist der Schülerkongress „besser’06“ nichts anderes als ein großes Seminar, eine Kontaktbörse für alle SMVler. Die Workshops befassen sich mit „Veranstaltungs-Know-How“ oder „Basics in Schülermitverantwortung“, die Diskussionsrunden mit „Unterrichtsformen“ oder „Leistungsbewertung“. Jetzt kommt gleich Theresa zu Wort. Sarah, die Moderatorin, wurde vor dem Kongress eigens in Moderation geschult. Sie führt eine Rednerliste, es geht diszipliniert zu, nun Theresa: „Die Schule, finde ich, muss uns klar machen, warum wir eigentlich lernen.“ Theresa glaubt nicht, dass dieses „warum“ durch Noten klar wird, im Gegenteil: „Das wird durch Noten total ignoriert!“ Sarah fasst die Argumente auf Karten zusammen und pinnt sie unter die Begriffe „Pro“ und „Contra“ an eine Stellwand. Die „besser’06“-Teilnehmer erwarten Impulse. Die 22 Schüler in der Runde zum Thema „Unterrichtsformen“ etwa diskutieren ihr Thema noch sehr allgemein. „Mehr aktuelle Bezüge“ oder die Feststellung „Schüler kennen andere Unterrichtsformen nicht“ hat der Moderator auf Karten geschrieben. Da wird es Michael, einem Teilnehmer, zu bunt: „Ich will ja etwas aus diesem Wochenende an meine Schule mitnehmen. Was sind denn neue Unterrichtsformen, die ich am Montag vorschlagen kann?“ Mit einem Mal wird die Diskussion plastisch, wird zum Beispiel das Für und Wider von Lernzirkeln abgewogen, in denen sich Schüler den Stoff selbst erarbeiten. Michael holt Papier und Stift hervor.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Blick in einen der Workshops. „Man merkt, dass hier alles für Schüler gestaltet ist“, sagt Johanna, 15, die mit ihrer Schülersprecherkollegin Caroline, 17, und Tutorin Juliane, 16, vom Franz-Marc-Gymnasium Markt Schwaben in den Perlacher Forst kam. Caroline: „Hier lernen wir, wie wir die SMV besser strukturieren, wie wir Aufgaben delegieren“. Juliane: „Wir sehen, woher wir Unterstützung bekommen.“ Caroline: „Von der Youth Bank zum Beispiel gibt es Fördergelder.“ Johanna: „Und wir lernen Leute kennen, für die Schülersprecher auch ein neues Amt ist.“ „Wir sind besser!“ Das war die Absicht der vier Jungs, die 1996, nach ihrer Schulzeit, das MSB ins Leben riefen. Sie waren enttäuscht, weil sie Zeit ihres SMV-Lebens nie mit den Kollegen der benachbarten Schulen Bekanntschaft machten. Das wollten sie ändern. Der erste Schülerkongress am vergangenen Freitag und Samstag ist auch eine Art Festakt zum Zehnjährigen dieser Vernetzungsidee. Während die Debatten in den Diskussionsrunden auf Forderungen eingedampft werden - eine der wichtigsten ist die Einführung einer anerkannten Schülervertretung auf Stadtebene – ringen Lukas und Raphaela am Drucker mit der Abschlusszeitung. Schlagzeile: „Wir sind besser!“ Eine Botschaft, die die Abordnung aus Markt Schwaben bereits verinnerlicht hat. „Das Wochenende hat Mut gemacht“, sagt Johanna und lächelt. Gemeinsam wollen sie jetzt an ihrer Schule ein Benefizkonzert organisieren. Fotos: Julian Schulz

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