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Der Humorist im Poser-Stall

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Der Mann, dem der Ruf als „next big thing“ oder gar „Retter des Hiphop?“ vorauseilt, fällt erst einmal durch eines auf: dass er nicht cool ist. Oder zumindest nicht das, was im Hiphop als cool gilt. Er trinkt nicht, er raucht nicht, er geht nicht in Clubs. Groupies hält er für Zeitverschwendung. Überhaupt scheint Lupe Fiasco keinerlei Ambitionen zu hegen, die gängigen Klischees des erfolgreichen Jungrappers zu erfüllen. Statt mit tief ins Gesicht gezogener Mütze und Joint im Mundwinkel posiert der 23-Jährige am liebsten mit schlichtem Sweater und Lesebrille. Angenehm daneben. Nur ein rappender Nerd also?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein Image, das den Hobby-Skater offensichtlich nicht sonderlich stört. Kaum jemand hatte seiner schräg-romantischen Skateboard-Hymne „Push Kick“ zugetraut, in die Rotation der Mainstream-Sender zu gelangen. Und wenn Hunderttausende bereits vorab illegal sein neues Album aus dem Internet luden, dann schob das so mancher auf Fiascos berühmte Gönner: Kanye West, der ihm einen Gastauftritt auf „Touch The Sky“ überlassen hatte, oder Jay-Z, der als ausführender Produzent von Fiascos Album „Food And Liquor“ sogar über die Labelgrenzen wechselte. Zu viel Hype, um nicht zu enttäuschen. Denkt man. Bis sich die überdeutlich prononcierten Reime des Chicagoer Rappers im Ohr festsetzen, sein Flow dort ein poetisches Eigenleben entwickelt, wie es zuletzt Klassiker a la NAS „Illmatic“ vermochten. Schließlich gelten originelle Sprachspiele und Reimkünste im Hiphop nicht mehr als zwingender Erfolgsausweis, reicht es heute für ein erfolgreiches Album oft aus, eine Reihe bekannter Produzenten – von den Neptunes bis Timbaland – zu engagieren, ein paar mittelmäßige Räuberpistolen aufzutischen und sich ansonsten an den Videoposen erfolgreicher Gangsterrapper zu orientieren. 50 Cent-Fans aber werden an Fiascos Reimen kaum Freude finden: nicht nur wegen der vielen Geigen, entspannten Beats und wunderlichen Gedanken, die der Rapper in typisch beiläufigem Konversationsstil zum Besten gibt – sondern vor allem seiner antiheroischen Haltung wegen. Vom Verachter zum Retter des Hiphop Man kann es auch Mut zum Selbstbekenntnis nennen: Er habe Hiphop früher gehasst, rapt der Muslim Fiasco etwa in „Hurt Me Soul“, „weil er die Frauen erniedrigt“ – um im nächsten Vers anzufügen, dass ihn der Humor eines Too Short dann doch gepackt habe. Ähnlich zweischneidig kommt „Daydreamin“, die jazzige Single mit Jill Scott, daher: „Now come on everybody, let’s make cocaine cool/ We need a few more half-naked women up in the pool.“ Ätzende Ironie. Aber kein erhobener Zeigefinger: „I’d like to thank the streets that drove me crazy/ and all the televisions out there that raised me.“ Mit Sicherheit gehört Lupe Fiasco zu den komplexesten Persönlichkeiten des Hiphop. Seine Themenpalette reicht von japanischen Spielrobotern über das Sneaker-Sammeln bis zur Kritik am Handel mit Blutdiamanten. Der 23-Jährige lässt sich dabei von seinem politischem Zorn nicht in die düstere Protestecke a la Public Enemy ziehen. Viel mehr zielt „Food And Liquor“ – Food für die guten Lebensmittel, Liquor für die schlechten Suchtmittel – auf eine Balance. Zwischen den Wünschen des Menschen und seinem moralischen Auftrag. „Ich habe fünf Jahre lang an dem Album gearbeitet. Und es hat sich mit mir verändert. Am Anfang lief ich noch mit drei Goldketten und zwei Rolex-Uhren herum, inzwischen bin ich erwachsener geworden. Sanfter.“ Man könnte auch sagen: menschlicher. Doch wie kommt Fiasco dazu, den schwarzen Intellektuellen Cornel West und Che Guevara im selben Vers zu nennen? Und woher nimmt ein gerade der High School entwachsener Rapper den Mut, die Schwarz-Weiß-Welt des konventionellen Rap-Games zu verlassen?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Aufgewachsen in der rauen West Side von Chicago, war der als Wasalu Muhammad Jaco geborene Fiasco von klein auf mit Prostituierten, Drive-By-Shootings und Drogenhandel konfrontiert. Gleichzeitig fühlte er sich nie an die „Hood“ gebunden. Seine Mutter vermittelte ihm kulturelle Standards, die weit über Goldketten und Grills hinausreichten: „Sie arbeitete als Gourmetköchin, führte einen wirklich gesunden Haushalt und förderte mich: So habe ich mich für japanische Comics, klassische Musik, Jazz, Literatur begeistert und alles mögliche andere uncoole Zeug.“ Tatsächlich, sagt Lupe Fiasco, habe er Hiphop anfangs als vulgär verachtet. Erst sein geschiedener Vater, ein Berufssoldat und ehemaliger Black Power-Aktivist habe ihn mehr oder minder dazu gezwungen, Hiphop-CDs anzuhören: „Im Autoradio spielte er laut N.W.A. und ich wäre vor Scham am liebsten in den Sitzen versunken.“ In der High School packte Lupe dann schließlich doch das Hiphop-Fieber, und der Nachwuchs-MC trat einer Gruppe namens Da Pack bei. Drei Plattenverträge platzten. Dann bekam Kanye West – kurz nachdem er selbst sein Stück „Diamonds From Sierra Leone“ eingespielt hatte – ein Mixtape von Lupe Fiasco mit dem Song „Conflict Diamond“ in die Hand. Und lud den No-Name zu sich ins Studio. Ein Zusammentreffen, das hörbare Spuren hinterlassen hat. Einige der Fiasco-Tracks klingen in ihrer eklektizistischen Soul-Dramatik fast wie Outtakes aus Wests Album „Late Registration“. Auch beschäftigt sich Fiasco wie West mit religiöser Moral. Aber er stellt sein Muslim-Sein nicht in den Vordergrund, stilisiert sich nicht zum Glaubenskämpfer. Viel eher lässt er seine Überzeugungen ganz beiläufig einfließen. Zum Beispiel wenn er seinen Gönner Jay-Z kritisiert – für dessen Reim, „zum (Hiphop-Mogul Irv) Gotti statt zu Gott zu beten“. Oder er sich im Call-And-Response-Chorus seiner neuen Single „I Gotcha“ beim Fluchen ertappt: „You want the real shhh? I gotcha.“ Selten kam Kritik kunstfertiger daher. Womöglich ist Lupe Fiasco – ob es ihm gefällt oder nicht – doch ein „Hiphop-Savior“: der Retter des conscious Hiphop vor der eigenen Moralinsäure. Der Humorist im Poser-Stall. Der menschlichste Rapper unserer Zeit. Einer, der macht, was ihm gefällt. Schließlich hat der Hiphop-Renaissance-Mann schon sein eigenes Ende angekündigt: Höchstens drei Alben wolle er machen. Und sich dann voll und ganz seiner eigenen Firma „Righteous Kung Fu“ widmen: Als Bekleidungsdesigner, Spielzeugerfinder und Comiczeichner. Cool, oder? Fotos: Ray Tamarra

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