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Guantanamo: „Alle spielen ihre Rolle perfekt – aber irgendetwas stimmt mit dem Stück nicht“

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Die Gefangenenlager auf Guantanamo sind seit Jahren Thema in der Presse. Was war die Motivation nun diesen Film zu machen? Der Dreh in Guantanamo war eigentlich eine fünf Minuten Reportage für die Deutsche Welle. Aber anders als sonst üblich – eigentlich nur ein Zufall – war ich nicht Teil einer Journalistengruppe, sondern bekam eine individuelle 4-Tage-Tour durch das Gefängnis. Ich kam abends an, wurde mit einem Kanonenboot vom Flughafen abgeholt und bekam erstmal mein Programm in die Hand gedrückt: voll mit Besichtigungs- und Interviewterminen. Daraus entstand so viel Filmmaterial, dass fünf Minuten Sendezeit nicht reichte. Also habe ich mich nach ein paar Monaten noch einmal an den Schnittcomputer gesetzt und einen Film daraus gemacht, ohne ein bestimmtes Fernsehformat vor Augen zu haben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Auschnitt auf "Guantanamo Unplugged" Im Gegensatz zu 'normalen Reportagen' kommt "Guantanamo unplugged" ohne Offsprecher aus. Weshalb? Weil Worte dieses Gefühl, dass man in Guantanamo hat, nur unzureichend beschreiben können. Die Art und Weise, wie die Militärs das Lager selbst beschreiben, entlarvt das Problem. Es ist die Selbstdarstellung des US-Militärs, die Solddaten reden sich um Kopf und Kragen und sie merken es nicht – und auch nicht die Zensurbeamten, die das Material gesichtet haben –, weil es für sie alltägliche Realität ist. Ein Kommentar in diese oder jene Richtung ist völlig überflüssig. Schon die Bilder des Filmes an sich sind beklemmend und eindrucksvoll. Trotzdem unterstreicht der Schnitt des Filmes diesen Effekt nochmals. War das notwendig, den Schrecken noch offensichtlicher zu machen? Es war notwendig, um die Widersprüche herauszustellen. Das Militär hat seine eigene Realität: Wenn der Kommandeur behauptet, dass es sich bei der Militärbasis juristisch um Kuba handelt, dann bleibt für die Kamera kaum eine andere Möglichkeit, als am McDonalds in Guantanamo vorbeizufahren, um diese Auffassung auf den Kopf zu stellen. Wenn man die Wärter der Zellen sprechen hört, bekommt man das Gefühl, dass sie das, was sie tun, selbst kaum einschätzen können. Ist das tatsächlich so, dass die Menschen dort glauben, das Richtige zu tun? Absolut. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Wärter wegen ihres Jobs schlecht schliefen. Allerdings werden für solche Interviews auch nur standfeste Soldaten von der US-Armee ausgesucht. Ein ganz anderes Erlebnis hatte ich durch Zufall in einer der Baracken. Der Fernseher lief und Präsident Bush hielt eine Rede. Die Soldaten, die mich gar nicht bemerkt hatten, sagten nur: Ach, der schon wieder.


Allen Filmen und allen Medienberichten zum Trotz ist der Protest gegen die Lager auf Guantanamo relativ gering - und das obwohl die letzte Bundesregierung durch diese Verhörmethoden auch Informationen gewonnen hat. Sind es die Kriege der letzten Jahre, ist es die Angst vor dem Terror oder was hat uns so gleichgültig gegen die Verletzung von Menschenrechten werden lassen? Ich glaube es gab und gibt viel Widerspruch gegen Guantanamo, von Organisationen und Regierungen, von Anwälten und der Uno. Und auch ein großer Teil der US Bevölkerung hält Guantanamo für eine Schande, das wird in Europa oft gar nicht gesehen. Es ist letztlich die Bush-Regierung, die Guantanamo gegen jeden Zweifel aufrechterhält. In zehn oder 20 Jahren wird Amerika auf dieses Kapitel Geschichte zurückblicken wie heute auf die McCarthy-Zeit während des Kalten Krieges.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Stephan Bachenheimer vor dem Capitol, Washington, D.C. Diese Orte in den Nachrichten, in Michael Winterbottoms "Road To Guantanamo" oder in deinem Film zu sehen, ist schon verstörend - wie erging es dir persönlich an diesem Ort, an dem Menschenrechte und Völkerrecht verletzt werden? Das Gefühl, das man dort bekommt, ist schwer zu beschreiben. Es ist nicht so, dass man als Beobachter die ganze Zeit erbost ist über die Ungerechtigkeit Guantanamo. Das ist aus der Ferne viel einfacher. Wenn man den Gefängnisbetrieb vor Ort beobachtet, ist das viel komplizierter. Es gibt jede Menge durchaus intelligenter Menschen, Soldaten, die Familie haben, Offiziere mit Universitätsausbildung, Gefangene der Taliban, die freundlich mit den Offizieren scherzen, um einen guten Eindruck zu machen. Es ist die Normalität, die verwirrt und für einen Außenstehenden so skurril ist. Die Ungerechtigkeit ist auf so viele Einzelzuständigkeiten verteilt, dass niemand dafür verantwortlich ist, nur noch das Pentagon. Man hat das Gefühl, dass alle ihre Rolle perfekt spielen, aber irgendetwas nicht mit dem Bühnenstück stimmt. Ist der Film denn, so wie er ist, zu verstehen? Oder kann man Guantanamo eigentlich nur begreifen, wenn man den 11. September und die resultierende Angst in den USA als Rahmenbedingung mitdenkt? Ich finde, man muss Guantanamo als das sehen was es ist: eine ungeheure Verletzung jeglicher rechtsstaatlicher Standards, für die Amerika eigentlich steht. Grundsätze lassen sich nicht relativieren, weder durch den 11. September noch durch Angst. Man hat sie oder man hat sie nicht. Aber zweifelsohne glaubt man in den USA mit dem Schlagwort Terror vieles rechtfertigen zu können: Ich wurde in Februar in New Orleans von der Polizei festgenommen, weil ich ein provisorisches Postamt im vom Hurrican zerstörten New Orleans gefilmt habe. Ich wurde in Handschellen gelegt, eingeschüchtert und beleidigt, mein Film wurde konfisziert. Die Begründung der Beamten: "Krieg gegen den Terror". Über Videoreporter.org, die die Homepage des International Video Journalism Award kann man „Guantanamo Unplugged“ nicht nur ansehen, sondern auch über den Publikumspreis abstimmen. Zudem wird der Film auch als Abschlussfilm beim International Video Journalism Award in Berlin gezeigt werden.

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