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Der Kaftan meines Vaters und ich

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Mein Vater trägt einen schwarzen Kaftan. Statt eines Gürtels baumeln an seiner Hüfte komische weiße Fäden herunter. Er hat einen langen Bart und auf dem Kopf ein schwarzes Käppchen. Natürlich beten wir viel, halten den Sabbat ein und essen nie Schwein. Ich will ’mal nach Israel auswandern, um möglichst viele Araber zu töten. Denn ich bin jüdisch. Genau so ist es nicht. Es ist ein schönes Klischee, vielleicht eins für einen Film, aber nicht meins. Mein Vater trägt tatsächlich Bart, einen Drei-Tage-Bart allerdings, weil er aussehen möchte wie Robert de Niro. Und ich? Naja, ich bin einfach ich. Jüdisch, per Zufall, weil so geboren, so wie ich als Frau geboren wurde. Ich kann nichts dafür. Wann immer ich es sage, meistens in einem Nebensatz, weil es einfach nicht wichtig ist, wann immer das Wort jüdisch fällt, spüre ich diese Blicke. Diese vorsichtigen Blicke. Was suchen die, einen antipalästinensischen Button? Den Davidstern an einer Kette? Ich bin nicht anders und will keine Sonderbehandlung. Ich will nicht, dass meine Freunde aufhören, über Michel Friedman zu lästern, wenn ich ins Zimmer komme. Ich will mich nicht für Israels Politik verantworten müssen. Meistens will ich nur meine Ruhe. Ich bin mit meiner Familie als Kontingentflüchtling nach Deutschland eingewandert, als ich elf Jahre alt war. Der Begriff Kontingentflüchtling ist eine Geburt der deutschen Beamtensprache und ein Resultat der deutschen Geschichte: Weil die Bundesrepublik im Rahmen der Wiedervereinigung beschlossen hat, großzügigerweise Juden aufzunehmen, die aus der ehemaligen Sowjetunion fliehen wollten, aber nicht wusste, in welches Gesetz sie diese political correct pressen wollte, ohne Israel oder den Zentralrat der Juden in Deutschland zu verärgern, wurde dieses Wortungetüm hervorgezaubert.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich bin also eine der etwa 200 000 Kontingentflüchtlinge. Ich bin in Russland aufgewachsen und dort war Judentum keine Religion, sondern eine Volkszugehörigkeit, die im Pass festgehalten wurde, dort, wo bei allen „Normalen“ russisch stand. Jude war ein Schimpfwort. Das machte mir nichts, ich benutzte es auch gern. Bis ich sieben war und meine Eltern mich hörten. Sie schimpften mit mir und erwähnten, dass wir auch jüdisch seien, so als bedeute es nichts und ganz viel. Sie sagten, ich solle es meinen Freunden nicht erzählen. Ich hatte auch keine Lust dazu. Mein Judentum war meine Rebellion Dann kam ich nach Deutschland. Dass jüdisch in Deutschland zu sein, schwierig ist, ist kein Geheimnis. Nicht ob des (vermeintlich hohen) Antisemitismus, sondern weil es exotisch ist. Exotisch zu sein, kann anstrengend sein. Jüdisch und Russisch zu sein – das Opfer aus dem Zweiten und der Feind aus dem Kalten Krieg in einem – ist wie doppelt bestraft zu sein. Oder doppelt gesegnet. In Deutschland erst, im Religionsunterricht, den ich einen Nachmittag die Woche in der Jüdischen Gemeinde besuchte, lernte ich, dass Judentum eine Religion ist. Ich lernte die Traditionen, an die sich meine Großmutter kaum erinnerte, und die Gebete. Ich ging regelmäßig in die jüdische Gemeinde, in der die so genannten „deutschen“ Juden verwundert die so genannten „Russen“ anstarrten, also uns, die wir fast nichts über das Judentum wussten und kein Hebräisch verstanden. So einer rümpfte die Nase. Die Russen gaben ein Nasenrümpfen über die Arroganz der alteingesessenen Gemeindemitglieder zurück. Wir Kinder lernten schnell Deutsch und trugen bald die richtigen Klamotten, lernten, was ein Game Boy ist und ein Stickeralbum. Bald ging ich in die Jüdische Gemeinde, weil dort meine Freunde waren, die Religion kam, wie im Doppelpack, selbstverständlich hinzu. Dass meine Eltern von ihren Schwierigkeiten sprachen, sich zu integrieren, davon, dass sie sich unwillkommen fühlten, nervte mich und kam mir überzogen vor; erst mit dem Abstand vieler Jahre kam der Stolz, dass sie es dennoch geschafft haben. In der Pubertät kam mir das Judentum gerade recht. Die Pubertät ist schwierig, die Akne, die Bravo, die Sinnlosigkeit der Welt um einen herum… Ich wollte provozieren, ob des Provozierens willen, nicht, weil ich etwas zu sagen hatte – eigentlich wie alle anderen. Mein Judentum war meine Rebellion. Ich warf meinen Mitschülern vor, ihre Vorfahren hätten meine Großeltern umgebracht. An den jüdischen Feiertagen ging ich in die Synagoge, ich zwang meine Familie, milchig und fleischig zu trennen, weniger, weil ich Gott entdeckt hatte, sondern weil ich mich unterscheiden wollte. Auffallen in der oberflächlichen Menschenmasse. Meine Religiösität hielt an, bis meine Sinnsuche von einem ausgeprägten Interesse an Jungs abgelöst wurde. Seit ich ein Buch geschrieben habe, in dem es um eine junge Frau geht, die mit elf Jahren als Kontingentflüchtling nach Deutschland kommt und sich als Erwachsene auf die Suche nach ihrer Identität macht (nein, nicht nur autobiographisch, auch wenn die groben Daten mit den meinen übereinstimmen), wollen alle wissen, wer ich bin. Deutsch oder Russisch oder Jüdisch. Manche (Journalisten) wollen Prozentzahlen hören, als sei ich ein Tortendiagramm, in einer Excel-Tabelle erstellbar. „Würden Sie sagen, es ist ein Drittel-Verhältnis? Wie groß ist der jüdische Anteil?“ Manchmal muss ich bei jüdischen Kulturwochen lesen, die es mittlerweile in jeder deutschen Stadt gibt. Dann sitzen im Publikum Leute, die wollen nur eine Jüdin sehen. Bei einer solchen Lesung fragte eine Frau, sobald der Applaus verstummt war, ob ich vorhabe, meinen Sohn beschneiden zu lassen. Ein anderer sagte, es sei doch schön, dass Jesus uns alle hier zusammen gebracht hat. Eine Zeitlang lebte ich in einer Frauen-WG. Dienstags tranken wir Wein und guckten Sex and the City. Wir redeten über Männer und teilten uns ein Glamour-Abo. Wir lachten viel. Eine kam aus New York, sie hieß Alice und war etwas dick. Ich machte Witze über Fast Food und Bush und Alice sagte, wenn ich nach Hause kam, meine jüdische Mutter habe oft angerufen, ich sei ein typisches jüdisches Kind. Die deutschen Mitbewohnerinnen entschuldigten sich bei mir ob dieses Antisemitismus. Dabei hatte ich endlich jemand gefunden, der normal mit dem Thema umging. Jüdische Mütter sind nun mal witzig. Nun wird das Jüdische Zentrum in München fertig gestellt. Das ist eine schöne Sache, für die Stadt, nicht so sehr für mich persönlich. Dennoch werde ich nach meiner Meinung gefragt, so wie ich immer auf den Nahostkonflikt angesprochen werde und die armen Palästinenser. „Aber du bist doch jüdisch!“, sagen die Leute. Jüdisch schon, aber weder der Zentralrat der Juden noch der Mossad. Jüdisch sein, heißt für mich, eine jüdische Mutter zu haben, die mir Essen per Post schickt (und mich für diesen Satz enterben wird). Jüdisch sein, heißt, dass ich jüdische Literatur liebe, Klezmer-Musik und jüdischen Humor, aber das tun auch viele Deutsche. Jüdisch sein, heißt, naja, viel und gar nichts, es ist ein Gefühl, ein gutes und nerviges zugleich. Ich werde demnächst nach Israel fahren, und ich werde meinem Vater einen schwarzen Kaftan mitbringen, das ist jüdischer Humor und das Jüdische an mir.

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