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AIDS: Eine Verschwörung der Pharma-Industrie? Der große Report

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„HIV ist nicht für Aids verantwortlich“ – das klingt wie die offensichtlich falsche Antwort in einem Multiple-Choice-Test. Hinter der Behauptung verbirgt sich jedoch eine Kontroverse, die seit der offiziellen Entdeckung des HI-Virus im Jahr 1984 nicht ganz verstummt ist. Eine Anzahl von Wissenschaftlern zweifelt die Existenz des Erregers an, oder doch zumindest seine Funktion als Auslöser der Immunkrankheit, an der nach Schätzung der WHO jährlich über zwei Millionen Menschen sterben. In der ungebrochenen Akzeptanz von HIV als Auslöser von Aids erkennen sie eine Verschwörung von Pharmaindustrie und Wissenschaft auf Kosten der Allgemeinheit. „HIV dient zur Beschaffung von Forschungsgeldern, zur Angstmache in der Bevölkerung, als Umsatzmotor für die Pharmaindustrie und Medizin und als Druckmittel in der Gesundheitspolitik“, heißt es auf einer kritischen Internetseite.

Eine Studentin betrachtet einen Entwurf von Designstudenten der Hochschule Wismar für ein Projekt der AIDS-Prävention. (Foto: dpa) Wer bei Google „Aids“ eingibt, dem spuckt die Suchmaschine neben Links zu Hilfsorganisationen und staatlichen Kampagnen auch zahlreiche Verweise auf solche Seiten aus. Unter Titeln wie „Aids-Info“ oder „Rethinking Aids“ versuchen die so genannten Aids-Dissidenten, ihre Botschaft unters Volk zu bringen, während auf Seiten wie „Aidstruth“ gegen die Abweichler gewettert wird. Eine homogene Gruppe sind die Aids-Dissidenten nicht. Als Autoren der kritischen Veröffentlichungen präsentieren sich mal Professoren der Naturwissenschaften, mal freie Journalisten, der Tonfall reicht dabei von wissenschaftlich bis hin zu esoterisch. Aber quasi alle berufen sich auf zwei Galionsfiguren der Bewegung: Peter Duesberg, Molekularbiologe an der University of California, und Chemie-Nobelpreisträger Kary Mullis. Und alle kultivieren gleichermaßen den Zorn gegen große Teile der „scientific community“, die angeblich wider besseres Wissen an der herkömmlichen Aids-Erklärung festhält.


Aids durch Drogen und Mangelernährung? Um den Ansatz der Kritiker zu verstehen, muss man wissen, dass AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) als eine Häufung eigenständiger Krankheiten wie Lungenentzündung, Tumoren oder Herpes definiert ist. Diese Krankheiten machen sich eine Schwächung des Immunsystems zunutze, die in der modernen Medizin auf das HI-Virus zurückgeführt wird. Die Aids-Dissidenten meinen jedoch, andere Auslöser für die Immunschwäche identifiziert zu haben. Die konkreten Argumente der Kontroverse sind für den Nichtwissenschaftler nicht nachprüfbar: Es sei bis heute nicht gelungen, Existenz und Wirkung von HIV zweifelsfrei nachzuweisen, argumentieren die Aids-Dissidenten. Beispielsweise erkrankten viele Träger des Virus auch erstaunlicherweise niemals an Aids. An einer Klärung der Frage sei jedoch niemand interessiert: Schließlich verdienen weltweit Wissenschaftler ihr Geld mit HIV-Forschung und die Entwicklung eines Impfstoffes gegen das Virus verspricht ein gutes Geschäft für die Pharmaindustrie. Als alternative Erklärung für die fatale Schwächung des menschlichen Abwehrsystems werden unter anderen chemische Stressfaktoren wie Drogenkonsum und Mangelernährung angeführt. Mit letzterem erklären die Dissidenten auch die überdurchschnittlich hohe Zahl von Aids-Betroffenen auf dem afrikanischen Kontinent.

Auf Tüten wirbt die Aids-Hilfe Schweiz für den Welt-Aids-Tag am 1. Dezember 2001. (Foto: ap) Eine wichtige Rolle wird auch dem aggressiven Wirkstoff AZT zugeschrieben, der in virenhemmenden Medikamenten vorhanden ist: Er mache die Menschen durch massive Nebenwirkungen eher krank als gesund. Die psychische Belastung durch die „HIV-positiv“-Diagnose, die damit verbundene Todesangst und gesellschaftliche Stigmatisierung schwäche die Abwehrkräfte noch zusätzlich. Die konventionelle Forschung scheint sich nur wenig auf die Vorwürfe der Dissidenten einzulassen. Das Robert-Koch-Institut kommentiert die Veröffentlichungen der so genannten Perth Group, eines Zusammenschlusses von Medizinern, die aufgrund eigener Forschungsergebnisse die Existenz von Aids anzweifeln, lakonisch: „Zunächst werden nicht belegte Tatsachenbehauptungen aufgestellt, die nicht dem Stand der Wissenschaft entsprechen oder schlichtweg falsch sind. [...] Die für [andere] Behauptungen angeführten Literaturzitate sind nahezu ausnahmslos Eigenzitate der Autoren.“ Vor dem Hintergrund der Verschwörung, die die Aids-Dissidenten erkannt haben wollen, kann diese Kritik unausweichlich erscheinen und kein Grund, den Behauptungen der Perth Group zu misstrauen. Vor allem, da diese – wie auch die Thesen der anderen Dissidenten-Gruppen – als wissenschaftlich erlangte Erkenntnisse präsentiert werden. Hin und wieder wird zusätzlich auf die Notwendigkeit hingewiesen, in der Forschung auch scheinbar schlüssige Ergebnisse immer wieder in Frage zu stellen. Als Laie kann man da mangels Möglichkeit zur Nachprüfung nur glauben – entweder an die Unfehlbarkeit der etablierten Wissenschaft oder an die hehren Absichten der revolutionären Zweifler.


„Analsex ist gegen die Natur“ Aus den alternativen Erklärungen der Krankheit Aids lassen sich nämlich durchaus weltanschauliche Aspekte herauslesen. Die Perth Group gibt die Überreizung von Darmzellen durch den Kontakt mit fremdem Sperma beim Analverkehr als eine Ursache für die Immunschwächung an. Die Darmschleimhäute seien anders als Vaginalschleimhäute nicht für diesen chemischen Kontakt konzipiert. Die Kurzfassung dieser Argumentation lautet: „Analsex ist gegen die Natur“ – eine Abwandlung wäre: „Sünder sind selbst schuld“. Die Website „Aids-Info“ wirbt in einem Atemzug mit der Aids-Kritik für „sanfte Methoden alternativer Heilweisen“. Legitimer Zweifel an Mehrheitsmeinungen – denn es ist davon auszugehen, dass der Mensch die Mehrzahl der natürlichen und sozialen Phänomene noch nicht in ihrer ganzen Komplexität durchschaut hat – mischt sich also hier wie in vielen so genannten Verschwörungstheorien mit der Aussendung von eigenen nicht hinterfragbaren „Wahrheiten“. Dem angesichts so vieler widerstreitender Wahrheiten ratlosen Individuum sei jedenfalls empfohlen, bis zur endgültigen Klärung der Verhältnisse beim Analsex ein Kondom zu benutzen, um nach beiden Theorien auf der sicheren Seite zu sein. Oder aber – einfach die nächste Wahrheit abzuwarten. +++

Den Text entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung der aktuellen Ausgabe des Online-Magazins daheim, die sich mit dem Thema "Verschwörung" befasst. "daheim" versteht sich als "unabhängiges Online-Magazin. Jede Ausgabe widmet sich einem Thema und beleuchtet dieses aus verschiedenen Perspektiven. Das Magazin möchte Denkanstöße geben und sich dabei die Zeit nehmen, aktuellen Debatten und Fragestellungen auf den Grund zu gehen." Ein Porträt des Daheim-Magazins erschien auf bereits auf jetzt.de.

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