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Der Runde Tisch zur Müncher Clubkultur

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München cooler als Berlin – stimmt das? Peter (Rote Sonne): In München ist nicht mehr los als in Berlin. Das wäre übertrieben. Wahr ist aber, dass wir hier mittlerweile wirklich sehr viele Clubs haben. Auch in der Innenstadt. Das gilt vor allem für elektronische Musik. Was hier am Wochenende an internationalen DJs aufgefahren wird, das ist schon fett. David (Registratur): Wenn man Top-DJs pro Einwohner rechnet, dann liegt München vielleicht wirklich vor Berlin. Sandra (Zerwirk): Es haben in den letzten Jahren irre viel Clubs aufgemacht. Rote Sonne, Monofaktur, Zerwirk, Woanders, und die Liga ist auch wieder da. Peter: An einigen Ecken fehlt es aber noch total. Zum Beispiel haben die Drum'n'Basser keinen Platz im Zentrum. Und einen Metal-Club haben wir auch nicht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

von links: die Clubmacher David B. Walker, Sandra Forster und Peter Wacha Die Goldgräberstimmung des Nachtlebens herrschte vor allem in den Jahren 2003 und 2004: Woran lag das damals? Sandra: Der Kunstpark hatte zugemacht. Zeitgleich gab es Gerüchte, dass die Stadtverwaltung die Innenstadt beleben wolle. Ich weiß allerdings nicht, ob da tatsächlich Fördergelder geflossen sind. David: Der Kunstpark - da kann man sagen was man will - war für München eine große Entwicklung. Es war zum ersten Mal eine Clubmeile in der Stadt, die zwar irgendwann kreativ ausgebrannt war, die es den Leuten aber auch ermöglicht hat, in die Innenstadt zu schauen und zu fragen: Was geht denn da? Peter: Wir hatten 2003 die Situation, dass große Gebäude wie in der Blumenstraße leer standen, und ein paar Promoter wie David es geschafft haben, Läden wie die Registratur und das Funky Kitchen aufzumachen. Davor war es sehr schwierig, in der Innenstadt einen Laden zu finden. Deshalb gab es ja die Hallenkultur. Und die Stadt war auch froh, dass sie die wilde Jugend ein bisschen draußen halten konnte. Aber: Ich bin 44 und in München aufgewachsen. So lebendig war es hier noch nie. Sandra: Irgendwann wurde die Zwischennutzung ein bisschen zur Mode. Das ZVK in der Maximiliansstraße ist gut gelaufen. Die Stadt hat gemerkt: Wir haben leer stehende Räume und wollen sie vermieten. Ein Club könnte eine Möglichkeit sein. Und natürlich gab es Leute mit Ideen und Mut. Das war 2003. Wie sieht es heute aus: Stecken wir nach dem Hype nun in einer Konsolidierungsphase? David: Es hat sich alles ein bisschen beruhigt. Aber es gibt immer Leute mit Visionen, die sich denken, dass da noch etwas fehlt. Sandra: Nicht jeder Club boomt. Es werden auch wieder ein oder zwei Läden zumachen müssen. Das Publikum verteilt sich eben. Eine große Veränderung war auch der Wegfall der Sperrzeit. Früher sind die Leute um ein Uhr aus den Bars rausgeflogen und die Clubs hatten fünf Minuten später einen großen Leute-Influx. Jetzt kannst du bis um vier in der Bar bleiben, und dort den Abend ausklingen lassen. David: Es ist eine neue Gattung der Micro-Clubs entstanden wie das K&K oder das Café am Hochhaus. Ihr sitzt eigentlich ganz friedlich zusammen. Macht ihr euch denn viel Konkurrenz? Sandra: Ich würde das positiv sehen. Jeder muss total gut sein. Alle müssen sich anstrengen. Und nur die besten werden bestehen. Das fördert vielleicht die Qualität. Peter: Die Konkurrenz hängt vor allem davon ab, wie ähnlich sich die Läden sind: Die Betreiber von Rote Sonne, Registratur und Erste Liga kommen sich natürlich ab und zu beim Booking in die Quere, wenn alle Clubs denselben DJ wollen. Da können uns die Agenturen dann gegeneinander ausspielen und es wird ein wenig teuerer. David: Um solche Dinge zu regeln, treffen wir uns am Sonntag manchmal auf der Theresienwiese, stellen uns im Kreis auf und machen Sumo-Wrestling. Ich gewinne meistens. Ich habe einen niedrigen Körperschwerpunkt.


Ist es denn schwer, in München einen Club zu betreiben? Der Zerwirk-Club musste ja im Frühsommer schließen, nachdem sich Anwohner über den Lärm beklagt hatten. David: Der einzige Club, der richtig Unterstützung bekommt, ist der Muffat-Komplex: also die Halle und das Ampère. Ein Riesen-Laden, der nicht einmal besonders gut läuft. Wenn man selbst sein letztes Geld und die ganze Arbeitkraft in das eigene Projekt steckt, ist das schon manchmal blöd. Peter: Im Ampère finden ab und zu auch gute Sachen statt. Aber wenn die Frage ist "Hilft die Stadt?", dann muss man sich nur mal den winzigen Kulturetat anschauen. Mir fehlt die Geduld, um ewig Anträge und Konzepte zu schreiben, und am Ende dann 500 Euro zu bekommen - das ist ja kafkaesk. Sandra: Die Stadt hilft nicht. Im Gegenteil. Ich bin enttäuscht und frustriert. Wir haben ja keinen Orden erwartet, als wir das alte Haus, das eh niemand wollte, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben. Aber wir haben viel Geld in die Hand genommen, haben auch ein breites Programm gemacht, um niemanden auszugrenzen - und das wurde uns dann sukzessive wieder entzogen. Die sind uns immer mehr mit verwaltungstechnischen Instrumenten zu Leibe gerückt: Baugenehmigung, Parkplatzablöse, Schallschutzauflagen, Bußgelder - das sind die Knöpfe, die gedrückt werden, um dich zu verscheuchen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

David und Peter - was denkt ihr euch, wenn ihr die Zerwirk-Story hört? David: Es tut weh im Bauch. Man weiß ja, wie viel Arbeit da drinsteckt. Peter: Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Die haben ein anspruchsvolles Programm gemacht. Außerdem lag der Zerwirk-Club gleich um die Ecke vom Hofbräuhaus - da gibt es doch auch einen großen Lärmpegel und besoffene Touristen. Sandra: Das Schlimmste war eigentlich, dass man uns absprach, "Kultur zu machen" und uns vorwarf, es nur aufs Geld abgesehen zu haben. Bitte. Wir machen Independent-Konzerte. Da kommen 60 Leute. Da zahlt man drauf. Aber im Bezirksausschuss haben sie uns gesagt, wir würden nur "In-die-Ecke-pissen-Kultur" machen - weil in der Gegend ab und zu jemand an eine Mauer gepinkelt hat. Das passiert übrigens heute immer noch, und hat mit dem Hofbräuhaus bestimmt nichts zu tun. Findet ihr das verlogen, dass München immer mit dem Image einer lebendigen und modernen Stadt wirbt, aber der Jugend- und Clubkultur dann doch immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen werden? David: Hey, alle hier in München wollen angeblich ein Großstadtgefühl. Aber die Leute kommen nicht zurecht mit dem, was da sonst noch dazu gehört. Lärm. Unsicherheit. Geschwindigkeit. Menschenmassen. Ich habe ein paar Jahre in New York gelebt. Da ist es unberechenbar, da hat man mehr Freiheit. Da kommt nicht wegen jedem kleinen Scheiß die Polizei. Peter: Ein Anwohner, der vielleicht 200 Meter vom Club entfernt wohnt, kann dir die Hölle heiß machen. Egal ob es den 300 anderen Anwohner gut gefällt. Das kann dir in New York oder Barcelona aber auch passieren. Sandra: Es gibt keinen Wunsch der Stadt nach Belebung oder urbanen Qualitäten. Wir hatten schon enorme Probleme, als im Winter fünf Leute mal eine Schneeballschlacht vor unserer Tür gemacht haben. Da kam die Polizei und hat uns das als extrem asozial ausgelegt. Ich musste immer wieder lachen. Und war doch ratlos. Es war so eine wunderschöne Winternacht.


Wie ist eigentlich das Publikum in München? Peter: Ich würde mir wünschen, dass die Leute ein offeneres Ohr für experimentelle, neue Klänge hätten. Aber wenn man dann wieder mal einen Abend hat, mit einem tollen, etwas abseitigen Line-Up, und es waren nur 40 zahlende Gäste da, dann denkt man sich schon: Naja, München, so viel neugierige Leute gibt es halt doch nicht. Man muss stark auf bekannte Leute und Labels setzen. David: Natürlich will man Cutting Edge sein. Aber man lernt auch, wie viel man den Leuten zutrauen kann. Ich weiß, dass, je experimenteller ich werde, ich auch damit rechnen muss, dass die Leute schneller gehen. Da stellt sich dann die Frage: Wie wichtig ist mir das mit diesem DJ? Eigentlich geht es ja um Musik. Peter: Man will natürlich eine hohe Qualität in seinem Laden. Aber ich habe immer unterschätzt, wie lange es dauert, bis sich ein Stammpublikum findet. Die Leute brauchen eine Zeit, bis sie warm werden mit dem Laden. Es kommen vielleicht 20 Prozent der Menschen wegen der Musik. Der Rest will tanzen und ein bisschen was trinken. Die sagen sich: Da gefällt es mir. Da treffe ich meine Freunde.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Was braucht es, um einen guten Club zu machen? Peter: Ein breites Kreuz. Durchhaltevermögen. Man darf sich nicht von Negativ-Erlebnissen abschrecken lassen. Wenn man zum Beispiel für einen Super-DJ mal wieder 2000 Flyer verteilt und die Stadt gepostert hat. Und kaum jemand kommt. So was passiert. Sandra: Es fühlt sich an wie eine Geburtstagsparty, zu der keiner kommt. Da muss man aufpassen, dass man es nicht persönlich nimmt und geknickt nach Hause trottet. David: Einen guten Club zeichnet aus, dass man immer wieder etwas Neues entdeckt und sich darin verlieren kann. Dafür ist man als Betreiber verantwortlich. Man sollte auf jeden Fall gut schlafen können. Man hat ja Prinzipien. Und denen muss man treu bleiben. Wenn auch das abkackt, dann ist es Zeit aufzuhören. Peter: Man muss neugierig bleiben. Es gibt ja auch Promoter, die einfach das Grove-Magazin aufschlagen und sich sagen: "Der sieht dick aus. Den buche ich." Das ist nicht unser Anliegen. David: Das Schönste ist doch, wenn man einen DJ oder eine Band drei Monate im voraus bucht, und am Wochenende vor dem Gig tauchen die Typen auf dem Cover des De:Bug-Magazins auf. Dann denke ich mir: Ja. Du hast Gespür bewiesen. Oder Glück gehabt. Das heißt aber noch lange nicht, dass am Abend dein Laden voll sein wird. Sandra Forster, 32 , betreibt seit 2005 das Zerwirk zusammen mit Michi Kern und Andi Zappe. Der Zerwirk-Club musste im Sommer schließen. David Walker betreibt seit 2003 die Registratur zusammen mit Sebastian Kruse. Peter Wacha, 44, ist seit 2005 Co-Betreiber der „Roten Sonne“ und betreibt die Labels „Disko B“ und „Chicks on Speed“. Interview: benedikt-sarreiter und tobias-moorstedt Fotos: Maria Dorner

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