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Von Grenzverschiebern und Kartoffeln

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Katharina, 27 Jahre, stammt aus einem Dorf bei Opole Ich habe deutsche Vorfahren und bin in Oberschlesien aufgewachsen. Als ich klein war, gab es hier viele Deutsche, aber auf der Straße Deutsch zu reden, war verpönt. Ende der 80er Jahre, als die Grenze durchlässiger wurde, begann das große Auswandern: In der ersten Klasse waren wir 40 Schüler, in der vierten nur noch 18. Ich war die einzige deutschstämmige Schülerin, die übrig geblieben war. Meine Eltern wollten eigentlich auch nach Deutschland, aber sie beschlossen, mich und meine Schwester nicht aus dem gewohnten Umfeld zu reißen. Meine Schwester versteht sich heute als Polin, ich fühle mich deutsch. Wenn man wie wir mit zwei Kulturen aufgewachsen ist, ist Nationalität nichts anderes als eine Entscheidung, die man irgendwann trifft.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Erst nach der Wende durfte die deutsche Minderheit den „Bund der Deutschen in Polen“ gründen. Meine Eltern haben mich dann oft in das so genannte „Deutsche Haus“ mitgenommen. Es gehörte einer alten Dame namens Frau Himmel und wir Kinder haben dort stundenlang Tischtennis gespielt. Die deutsche Minderheit bekam damals einige Sonderrechte. Zum Beispiel durften wir Abgeordnete ins polnische Parlament schicken, auch wenn unsere Partei in den Wahlen die Fünfprozenthürde nicht schaffte. Dieses Recht wollen sie uns nun wieder nehmen. Meine Eltern haben immer die deutschen Abgeordneten gewählt. Ich selbst habe bei der letzten Parlamentswahl zum ersten Mal für eine andere Partei gestimmt: Ich wollte um jeden Preis verhindern, dass die jetzige rechte Regierung an die Macht kommt. Leider hat es nichts genützt. Es gibt in Oberschlesien nur noch wenige Menschen, die sich als Deutsche fühlen. Ich glaube deshalb nicht, dass es schrecklich wäre, wenn wir im Parlament keine eigenen Vertreter mehr hätten. Aber ich finde die Logik einiger Mitglieder der polnischen Regierung erschreckend: In Berlin wird eine Ausstellung eröffnet, die ihnen nicht passt und um sich zu rächen nehmen sie uns in Opole Rechte weg. Mit dieser Art von Sippenhaft hat Europa genug schlechte Erfahrungen gemacht.


Andrzej, 25 Jahre, ist in Breslau aufgewachsen. Er studiert in Bielefeld BWL Der Deutschunterricht hat mir schon in der Schule viel Spaß gemacht, deshalb habe ich nach dem Abi beschlossen, in Deutschland zu studieren. Seither fühle ich mich oft wie ein doppelter Botschafter: In Deutschland muss ich erklären, dass wir in Polen tatsächlich schon Internet haben und dass meine Heimatstadt Breslau nicht trostlos und grau ist, sondern eine schön renovierte alte Stadt, mit tollen Kneipen und mit moderneren Shopping-Malls, als es sie in Deutschland gibt. In Polen bin ich dann Botschafter der Deutschen und erkläre meinen alten Kumpels, dass die Deutschen nicht alle steif und humorlos sind und auch nicht darauf gieren, die Grenzverschiebung, die nach dem Weltkrieg stattfand, rückgängig zu machen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie sehr die Deutschen und die Polen aneinander vorbei reden, ist fast absurd: Zum Beispiel kennt in Polen absolut jeder Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, die diese umstrittene Ausstellung in Berlin mitorganisiert hat – sie ist jedes Jahr ein paar Mal auf dem Cover großer Zeitungen. Frau Steinbach erzählt immer gerne, wie sehr die Deutschen während und nach dem Zweiten Weltkrieg leiden mussten. Ich verstehe, dass das in Polen viele Leute stört, vor allem die Alten: In fast jeder polnischen Familie gibt es einen Großvater oder eine Großmutter, die von den Deutschen ins KZ oder als Zwangsarbeiter verschleppt wurde. Diese Menschen haben die Deutschen als Täter erlebt, nicht als Opfer. Aber ich erkläre in Polen die ganze Zeit vergeblich, dass Frau Steinbach in Deutschland total unwichtig ist. Andersrum muss ich die Deutschen dann wieder davon überzeugen, dass die meisten jungen Polen die Kaczynski-Brüder und ihre nationale Regierungskoalition völlig bescheuert finden. Die Kaczynskis sind zwar keine Nazis oder so, aber sie sind sehr altmodische, verbohrte Politiker, die zu dem modernen, weltoffenen Polen, das ich kenne und mag, nicht passen.


Maria, 21 Jahre, studiert in Krakau Literaturwissenschaft und wird ab Oktober in Erlangen ein Auslandssemester machen Die meisten Studenten und Intellektuellen in Polen hassen die momentane Regierung richtig. Sie sagen, dass die Kaczynski-Brüder naiv, nationalistisch und provinziell seien. Ich finde man muss das differenzierter sehen. Ich habe diese Regierung zwar auch nicht gewählt, aber ich verstehe die Leute, die sie gewählt haben.

Ja, die Kaczynskis sind sehr patriotisch und manchmal etwas undiplomatisch, aber viele Polen sehnen sich nach Politikern, die ihre Interessen offensiv vertreten. Wir Polen werden von ausländischen Staatsleuten oft wie ein kleines armes Land behandelt, das die Klappe halten soll, wenn die Großen reden. Der französische Präsident Jacques Chirac hat zum Beispiel mal gesagt, es sei von Polen sehr ungezogen gewesen, die US-Regierung in ihrer Irak-Politik zu unterstützen. Solche Aussagen verletzen die Menschen hier: Polen ist ein souveränes Land, das sich seine Unabhängigkeit hart erkämpft hat. Wir lassen uns unsere Außenpolitik nicht von anderen EU-Ländern vorschreiben! Ich bin auch, genau wie die Kaczynskis, gegen diese Vertreibungs-Ausstellung in Berlin. So eine Ausstellung sollte, wenn überhaupt, nur von deutschen und polnischen Historikern zusammen gemacht werden. Aber es ist falsch, wenn die polnische Regierung vom Bund der Vertriebenen auf „die Deutschen“ schließt. Verallgemeinerungen sind nie gut. Ich kenne einen Haufen Deutsche und die meisten wissen viel über den Zweiten Weltkrieg und beschönigen die Geschichte nicht. Ich glaube, dass persönliche Kontakte und Freundschaften tausend Mal wichtiger sind als alle Politik. Deshalb bin ich sehr gespannt auf meinen Aufenthalt in Deutschland und deshalb freue ich mich auch über jeden Deutschen, der nach Krakau kommt, um sich meine Heimatstadt einfach mal anzusehen. Es ist nämlich sehr schön hier. Fotos: privat

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