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Sollen wir sein wie euer Papa?

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Die Jungsfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Fast das Schönste an meiner Freundin Inga, außer dass sie ein Supermensch ist, ist ihr riesiger Fernseher. Den hat sie von einer kurzsichtigen aber jetzt toten Oma geerbt. Davor sitzen wir gelegentlich wie am Fuß eines Berges und schauen fern. So richtig alles, von Lehrer Dr. Specht bis Alexander Kluge. Zwischendurch schreien wir: „Wie geht die denn?“ oder „Ja, zieh dich aus!“ oder „Das ist mal ein Mann!“. Das schreit Inga aber öfter als ich. Und sie schreit es nicht bei Justin-Timberlake-Videos oder Pierce-Brosnan-Stunts. Sie schreit es bei Typen, die etwa fünfzig sind, eine beginnende Glatze und einen manierlichen Vollbart haben. Sie schreit es bei Leuten, die in Krimis gutmütige Bibliothekare oder in Liebesfilmen einsame, aber nette Landgutbesitzer spielen. Typen, die nicht dafür gecastet wurden, einer tätowierten 22-jährigen Inga zu gefallen. Wenn ich Inga dann schüttle und brülle: „Warum der alte Bartmann? Warum nicht ich, der junge Geschmeido-Typ?“, flüchtet sie sich in ein hilfloses „Ich kann auch nichts dafür“, und strahlt supermenschlich. Das alles hätte ich nie aufgeschrieben, wären wir nicht letztes Wochenende bei Inga daheim gewesen. Ihre Eltern hatten nämlich von der kurzsichtigen, aber toten Oma ein Bootshaus mit See vorne dran geerbt und Inga veranstaltete dort ein Spätsommerfest. Die Eltern waren auch da. Ingas Mutter trug Sorge um rechtzeitigen Büfettnachschub, Ingas Vater trug Vollbart. Und ein abgewetztes Sakko und viel Stirn. Er lächelte landadelig und sehr nett und Inga lächelte zurück, sehr nett und ich sah endlich klar: Inga steht auf Typen, die wie ihr Vater sind. Ich dachte an ihre letzten Freunde, keiner davon war fünfzig, aber sie hatten alle etwas Behäbiges, Lehrerhaftes an sich, saßen gutmütig bei Rotwein am Küchentisch oder gingen mit Inga zum Kanu fahren. Inga und Kanu! Noch vor Ort hüpfte ich mit meiner Erkenntnis um sie herum. Ein paar Umstehende bekamen das mit und so sprach bald das halbe Bootshaus über Vatertypen und Mädchenprägung. Eine, deren Vater mit Klaus Voormann in einer Band spielt, gab zu, dass sie sich immer nur in Jungs mit Gitarre verlieben könnte. Eine andere, Pilotenvater, ist auf ihren Freund immer dann besonders stolz wenn er in Uniform aus der Kaserne kommt, sagt sie. Na also, sagten ich und die anderen Jungs, holten Bier und setzten uns zu kleine Hüte auf. Denn Bierbauch und Halbglatze machen überhaupt nichts, im Gegenteil: erst so kommen wir in die Nähe eures Traumtyps. Erst so werden wir wie euer Vater. Und das wollt ihr doch, oder? fabian-fuchs Die Mädchenantwort:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Also, in Bezug auf das Aussehen halte ich diese These ja eher für Quatsch, auch wenn Bierbauch und Halbglatze wirklich wenig ausmachen (was man ja vielleicht an anderer Stelle mal thematisieren könnte). Mein Vater hat keine Glatze und auch nur einen mini Bierbauch, aber er hat einen Bart. Und ich verabscheue Bärte. Ich hatte noch nie einen Freund mit Bart und fand auch einen Schauspieler oder sonst wen Prominenten mit Bart noch nie attraktiver als ohne. Überhaupt sahen meine Freunde alle so unterschiedlich aus, dass ich nicht mal sagen könnte, es ist immer derselbe Typ, den ich mir raussuche. Sie waren dick und dürr, lang- und kurzhaarig, groß und klein, blond und braunhaarig, introvertiert und extrovertiert, lustig und melancholisch. Meinen Vater habe ich in keinem erkennen können. So verschieden sie bisher waren, so hat sie zwei Dinge doch vereint. Zum einen waren sie oft deutlich älter als ich. Da heißt es ja dann schnell: „Du hast doch einen Vaterkomplex.“ Oder: „Du suchst doch nur den Papi in deinen Freunden.“ Ich glaube aber, es hat mit etwas anderem zu tun, als mit der Suche nach dem Vater. Und da kommen wir zum zweiten Punkt, den sie vielleicht gemeinsam hatten. In Filmen interessieren mich - wie deine Inga auch - nie die Justin Timberlakes oder die Geschmeido-Typen (wobei ich ein großer Remington Steel- und damit auch Pierce Brosnan-Fan war). Mich reizen vielmehr die Erfahrenen, diejenigen, die ihr Leben leben, ihr Ding durchziehen und wissen, was sie wollen. Und da ich nie weiß, was ich will und was ich wie aus meinem Leben machen soll, habe ich mir – so weit meine küchenpsychologische Erkenntnistheorie – unterbewusst immer Typen gesucht, bei denen ich das Gefühl hatte: die machen coole Sachen, leben ihr Leben und wissen, wie es geht. Und insofern stimmt dieses Vaterding dann vielleicht doch ein bisschen. Denn: Wer erklärt mir, wo und wie ich mich versichern muss? Papa. Wen rufe ich an, wenn das Auto kaputt ist? Papa. Und wer hilft mir aus der Patsche, wenn das Konto überzogen ist? Genau. Denn Papa hat das Leben im Griff und weiß wie es geht. Meinen Freund würde ich natürlich nie fragen, wie das mit den Versicherungen geht. Darum geht es mir gar nicht. Für so was gibt es ja Papa. Aber es ist einfach ein gutes Gefühl, jemanden an seiner Seite zu haben, der schon ein bisschen mehr Plan vom Leben hat als man selbst.

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