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Die Tambermas essen nämlich gern Hunde!

Text: FrankaC
Am 23. August 2006 strahlte der private Fernsehsender Sat1 die erste Folge seiner sechsteiligen Survival-Doku-Soap mit dem Titel „Wie die Wilden – Deutsche im Busch“ aus. Das Konzept ist schnell umrissen: „3 deutsche Familien wagen das Abenteuer ihres Lebens und verbringen 3 Wochen in ihnen völlig fremden Kulturen bei Naturstämmen in Togo, Namibia und Indonesien. Dabei kennen Sie weder die Regeln und Bräuche, noch die Sprache. Dennoch ist es ihre Aufgabe, sich bestmöglich in die Gemeinschaft zu integrieren“, um so „in den Stamm aufgenommen zu werden“. So Sat1 im Internetauftritt der Produktion. Abenteuer. Naturstämme.



Die Online-Eigendarstellung der Produktion lässt vermuten, dass auch die verantwortlichen Redakteure sich der Problematik einer solchen Sendung durchaus bewusst sind – sie wimmelt von impliziten Rechtfertigungen und Verteidigungen. Man legt Wert auf den humanitären Einsatz der Crew: Die Anwesenheit der zwei „deutschen Ärzte“ „sprach sich schnell in den Drehgebieten herum, so dass Patienten aus der jeweiligen Region ihre kostenlose Hilfe in Anspruch nahmen – in Namibia ca. 500! In Togo wurden mehrere Personen ins ca. drei Stunden entfernte Krankenhaus gefahren und zum Teil lebensrettend auf Kosten der Produktion operiert. Alles geschah selbstverständlich in Respekt für die Bedeutung lokaler Medizinmänner“. Auch berichtet man von der Unterstützung eines lokalen Schulprojekts. Und: „Die Stämme wurden für ihr Mitwirken sowohl in Geld als auch in Naturalien entlohnt“ Bei so viel Einsatz für die Sache traut man sich kaum zu fragen: ist nicht zumindest letzteres, die Bezahlung der Mitwirkenden, selbstverständlich? Und: wäre sie auf deutschem Boden, bei weißen Darstellern erwähnenswert? Vor allem aber wird betont, dass „Wie die Wilden – Deutsche im Busch“ „unter großem Aufwand und Respekt den drei Stämmen gegenüber … und mit Genehmigung der jeweiligen Landesregierung produziert“ worden sei. Offen bleibt hier nur, warum bloß die namibische Botschaft in Deutschland nun doch die Initiative der Gesellschaft für Afrikanische Philosophie gegen die Doku-Soap unterstützt? Deutsche Ärzte. Kostenlose Hilfe. 500. Drei Stunden entfernt. Lebensrettend. Auf Kosten der Produktion. Respekt. Medizinmänner. Naturalien.



„Familie Sauerzapf-Koch aus Kassel und Familie Düvel vom Niederrhein tauschen für drei Wochen ihre gewohnte Umgebung mit einem Leben fernab jeglicher Zivilisation. Erst kurz vor ihrem Abflug erfahren sie, wohin die Reise geht: Siberut ist das Ziel der vierköpfigen Familie Sauerzapf-Koch. Inmitten dichter Regenwälder lebt der Stamm der Mentawai, die noch an Geister glauben und sich von den Früchten der Natur, u. a. auch von Baumrinde und Maden ernähren. Die Gäste mit den "weißen Affenhaaren" werden nach ihrer Ankunft sehr herzlich empfangen.“ Inmitten dichter Regenwälder. Fernab jeglicher Zivilisation. Noch an Geister glauben. Früchte der Natur. Baumrinde. Maden. Weiße Affenhaare.



Vor Drehbeginn sei den Stämmen das Format erklärt worden, so heißt es auf Sat1.de. Man fragt sich nun, ob den „Stämmen“ auch der Titel der Sendung erklärt wurde, der sie zu „Wilden“ degradiert, und ob ihnen erklärt wurde, dass ihre Kultur und Lebensweise mit den „Ursprüngen menschlicher Zivilisation“ gleichgesetzt werden würde, zu denen die (auf der Zivilisationsleiter höher stehenden?) Deutschen in diesem „Abenteuer ihres Lebens“ „[zurückkehren]“ sollten? Und ob man ihnen erklärt hat, warum ihr Leben im deutschen Fernsehen seinen Platz nur im Bereich Comedy findet? Erklären. Ursprünge. Abenteuer.



„Auch Familie Fröhlich - Vater "Palme", Mutter Janine und die beiden Söhne Steven (16) und Denny (14) - erfährt erst auf dem Flughafen ihr Reiseziel: Es geht nach Togo zu dem kriegerischen Stamm der Tambermas. Hund "Schröder" muss zu Hause bleiben, aber das ist für alle eine glückliche Entscheidung: Die Tambermas essen nämlich gern Hunde!“ Kriegerischer Stamm. Hunde essen.



Ob die verantwortlichen Redakteure wohl wissen, dass diese sozialen Evolutionstheorien ihren historischen Ursprung und auch ihren politischen Zusammenhang – denn Theoriebildung ist, wie man weiß, niemals apolitisch und ahistorisch - in Zeiten des Kolonialismus haben? Unter dem hatte ja Namibia, eine der Stationen der Produktion, in nicht unbedeutendem Maße auch durch deutsche Hand zu leiden. Oder, wie es Michael Tetzlaff am zum Start der Sendung in der Frankfurter Rundschau treffend formulierte: „bei Sat1 weiß wohl keiner mehr, dass die Deutschen sich in der Tat mal wie die Wilden im Busch verhalten haben“. Eigentlich gehören diese Theorien auch für immer in ihre Zeiten verbannt, genau wie die Terminologie, die „Wie die Wilden – Deutsche im Busch“ anwendet – eine Terminologie der Verachtung und des Otherings, die den Schwerpunkt auf das unüberwindbar Andere und geradezu Unmenschliche legt:



„Fernab der Heimat und ohne elektrischen Strom, fließendes Wasser und gemeinsame Sprache lernen sie, was es heißt, zu den Ursprüngen menschlicher Zivilisation zurückzukehren. Werden sie es unter diesen Umständen schaffen, sich als vollwertige Stammes-mitglieder zu behaupten? Sind sie ohne Auto und Supermarkt-Versorgung überhaupt überlebensfähig?“ Elektrischer Strom. Fließendes Wasser. Ursprünge menschlicher Zivilisation. Vollwertige Stammesmitglieder.



Dies bewegt die Redakteure von „Wie die Wilden – Deutsche im Busch“. Hier schwingt die bange Frage mit: kann ein echter (d.h., in der suggestiven Darstellung der Produktion und damit in den Augen des Zuschauers, ein weißer, europäischer, zivilisierter) Mensch SO denn überhaupt überleben? Da hilft auch der augenzwinkernde Verweis auf „unsere ach so zivilisierte Welt“ nicht mehr weiter. Zu guter Letzt wird „Wie die Wilden – Deutsche im Busch“ noch „ursprünglicher Witz“ attestiert – Bravo! Auch darüber haben schon koloniale Karikaturisten gelacht: der täppische, unfreiwillig clownhafte Wilde, der bestenfalls für die Sparte Comedy und Kuriosa zu brauchen ist, in der die Produktion ja folgerichtig auch angesiedelt ist.



„In der dritten Folge zeigt Vater Sauerzapf den Mentawai im Fluss, wie er sich die Zähne putzt, und lässt die Männer seine elektrische Zahnbürste ausprobieren. Zum Mittagessen bekommt die Familie Sagu - und Maden, die die Mentawai für sie gesammelt haben“ Zeigen. Zähne putzen. Maden.



Der Verweis auf die „Aha-Momenten über unsere ach so zivilisierte Welt“, der einen Lernprozess auf Augenhöhe impliziert, verdeckt mehr schlecht als recht, worum es in dieser Produktion geht: die – mit ein ganz klein bisschen romantisch-nostalgischer Gesellschaftskritik gepaarte - Bestätigung unseres eigenen überlegenen Selbstbildes und dessen, was wir schon immer über die Anderen gewusst zu haben meinten; vor allem eben, dass sie ganz anders sind als wir – und dass wir so niemals sein wollen.



„Während die Frauen Wasser holen - und Mutter Düvel mit ihren Töchtern dabei mächtig ins Schwitzen kommt - ruhen sich die Männer aus. Um die Ungerechtigkeit auf die Spitze zu treiben: Am Ende können sich nur die männlichen Himbas mit dem Wasser erfrischen, denn Frauen dürfen sich niemals waschen!“ Ungerechtigkeit. Niemals waschen.



Eigentlich sollte man meinen, dass Fernsehredakteure sich aufgrund Ihres Berufs über die Suggestivkraft medialer Konstruktion und Inszenierung von Wirklichkeit und die damit zusammen hängende große Verantwortung, die sie als Vierte Gewalt tragen, im Klaren sind. Auch sollte man meinen, dass sie wissen, dass Wirklichkeit, verstanden als sozialer Konsens über das, was als wirklich gelten soll, wesentlich von ihrer Präsentation und Repräsentation abhängt, und dass auch Comedy-Sendungen wie „Wie die Wilden – Deutsche im Busch“ nicht nur lustig sondern in hohem Maße politisch sind. Eigentlich sollte man meinen…

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