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„Ich habe die Revolution nach Afghanistan gebracht“

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Kabul International Airport. Ein Mann schreitet die Gangway eines Flugzeugs herunter und küsst, umringt von einer Fotografenmeute, den heißen Asphalt der Rollbahn. Er trägt einen weißen Anzug, eine Sonnenbrille und ein getrimmtes Hip Hop-Bärtchen. Nächste Einstellung: der Mann beim Landrover-Fahren. Er wedelt mit den Händen vor der Kamera rum und rappt auf Dari, einer der afghanischen Landessprachen, man hört einen spartanischen Beat mit Orientsample. Anschließend: Händeschütteln mit einem Turbanträger auf dem Basar. Die Botschaft des Mannes lautet: „Seht her, Leute, ich bin zurück.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Screenshots aus DJ Besho Videoclips Im afghanischen Privatsender Tolo TV lief der Videoclip von DJ Beshos Song „Bargascht“, auf deutsch „Rückkehr“, wochenlang. Die Zuschauer wählten ihn immer wieder per Anruf und SMS an die Spitze der Hitlisten. Das ist das Erste, was aus Bezhan Zafarmal alias DJ Besho beim Interview herausplatzt. Danach fügt er noch hinzu: „Ich habe die Revolution nach Afghanistan gebracht.“ Soll heißen: den Hip Hop. Während er das verkündet, schaut er sich auf dem Laptopbildschirm beim Rumposen zu – mit Goldkette und ein paar Hintergrund-Homies. Das Einzige, was das etwas pathetische Filmchen von US-Clips unterscheidet, ist die völlige Abwesenheit von Frauen, erst recht von Po-Wacklerinnen: „Natürlich wär’s schwierig, wenn ich so rüberkommen würde wie 50 Cent. Mit Frauen beim Bootyshaken in sexy Klamotten. Dafür ist noch nicht die richtige Zeit. In Afghanistan muss man sich sehr brav verhalten, sonst wird man schnell untergehen.“ Redest du oder singst du? Bezhan klappt den Laptop zu, der auf dem Rasen eines Wiesbadener Parks steht. Hier lebt der 29-Jährige seit Anfang der Neunziger. Seine Familie floh wegen des Bürgerkriegs aus Afghanistan. Erste Station: China, wo er 1990 während der Asienspiele zum ersten Mal mit Rap konfrontiert wurde, mit MC Hammers „U Can’t Touch This“ und Dr. Albans „Hello Africa“. Inspiriert davon fing Bezhan an, in seiner Sprache zu reimen. Seine Familie zog weiter, nach Indien, dann über Moskau nach Prag, Budapest und schließlich nach Wiesbaden. Hier rappte er im JUZ erst übers Leuteerpressen, dann sozial engagiert gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Weil sich Bezhan in seinem Heimatland mehr Aufmerksamkeit für afghanischen Rap erhoffte, reiste er Ende 2005 zum ersten Mal wieder nach Kabul. Im Gepäck: ein unverfängliches Liedchen über ein Mädchen mit schönen, schwarzen Augen: „Als ich das erste Mal da war, haben mich viele Leute gefragt: Redest du oder singst du? Viele haben bis vor einem Jahr nicht gewusst, was Hip Hop ist. Aber, ohne zu übertreiben, ich habe das Gefühl, dass jetzt sechzig Prozent der jungen Afghanen Hip Hop hören.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dj Besho in der Discothek Copa Cabana in Kabul; Fotos: DJ Besho In Afghanistan ist fast die Hälfte der Einwohner jünger als 15 Jahre. Viele davon sind interessiert an westlichem Pop, der unter der Herrschaft der Taliban ebenso wie jede andere Musik verboten war. Dank etlicher Radio- und Fernsehsender, Internetcafés und über einer Million Handys im Land konnte sich DJ Beshos Ruhm rasch verbreiten: „Wenn du aus dem Ausland nach Afghanistan zurückkehrst, bist du für die Leute etwas Besonderes. Sie sind sehr stolz darauf, dass so jemand wie ich kommt und akzentfrei in ihrer Sprache rappt. Aber klar, ich habe auch meine Feinde.“ Allzu besorgt scheint Bezhan deswegen aber nicht zu sein. Schließlich braucht jeder ordentliche Rapper ein paar ordentliche Feinde. In seinem Fall sind das vor allem die Afghanen, die Hass gegenüber dem Westen verspüren und eine Erosion der traditionellen Werte befürchten. In Internetforen werfen sie Bezhan vor, er treibe der afghanischen Jugend den letzten Funken Religiosität und Respekt aus. Und Maulvi Mohammed Seddiq, der ehemalige Scharia-Berater am Obersten Gerichtshof, mahnte, dass es im Islam weniger Sexualverbrechen gebe, weil man die dafür verantwortlichen Versuchungen verbiete.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

An DJ Besho prallt solche Kritik ab: „Ich bin nicht so wie Bushido. Ich benutze keine Schimpfwörter, ganz im Gegenteil. Ich will die Kinder auf einen guten Weg bringen. Ich rappe gegen Drogen, gegen Krieg.“ In „Bargascht“, seinem größten Hit, beschwört er die Einheit Afghanistans, fordert die Versöhnung im Vielvölkerstaat, in dem Paschtunen neben Hazara und Tadschiken neben Usbeken leben. Der Appell kommt an, erzählt Bezhan: „Das Lied ist sehr berühmt geworden. Ich habe viele Menschen getroffen, die den Text auswendig konnten, vom zweijährigen Kind bis zum 82-jährigen Großvater. Jeder will sich mit mir unterhalten und mich zum Essen einladen. Sogar der afghanische Präsident Karzai mag dieses Lied. Er hat beim Sender angerufen, der mein Video spielte, und gesagt, dass er mich sehen will.“ Weil der Rapper aber zu lange im notorischen Kabuler Stau steckte, kam es dann doch nicht zu diesem Treffen. In Afghanistan, so Bezhan, sei er ein König, in Deutschland ein Arbeitsloser. Seine Ausbildung zum Hotelkaufmann hat er zwar fertig gemacht, aber einen Job will er sich in der Branche nicht suchen. Er hat schließlich Größeres vor. Momentan kämpft er mit den Behörden um einen deutschen Pass. Er soll ihm Türen öffnen. Weil er dann bequemer um die Welt reisen könnte, ohne am Flughafen „wie ein Terrorist“ angeglotzt zu werden. Weil er dann leichter Unterstützung vom Auswärtigen Amt bekäme, um in Afghanistan eine Schule für Waisenkinder aufzumachen. Und: Weil der Pass natürlich auch ein Rückfahrtticket nach Deutschland ist. Denn alles auf eine Karte setzen und nach Kabul abhauen will Bezhan doch nicht. So wie er von seinem Heimatland berichtet, wirkt das widersprüchlich, aber vielleicht ist Afghanistan einfach ein widersprüchliches Land: reich und arm, Laptop und Stoff-Burka. Bezhan erzählt von einem Zehnjährigen, der mit einer Hightech-Kamera einen Videoclip für ihn drehen wollte, und anschließend von einem Fünfjährigen, der mitten in der Nacht auf der Straße für seine Eltern arbeiten musste. Er beschreibt das Partyleben an geheimen Orten im Kabuler Stadtzentrum und erwähnt im nächsten Atemzug, wie sein Grillfest in den Hindukusch-Bergen von einer bewaffneten Bande beendet wurde. Und auch über seine eigene Identität als Rapper scheint sich DJ Besho noch nicht ganz klar zu sein. Einerseits will er sich mit seinen Texten einen guten Namen machen, um mit Stolz sterben zu können, so wie ihm das der Koran vorschreibe. Doch wenn die politische Korrektheit nicht mehr ankommt, kann er sich auch vorstellen, seine Texte expliziter zu gestalten, denn, erklärt Bezhan: „Hip Hop ist, wie Bushido gesagt hat, erst guter Junge, dann böser Junge.“

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