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Ab.Schied

Text: sokratine
Abschied. Was für ein Wort, so schmierig wie die Füllung eines Nimm2-Bonbons - verklebt die Sinne, verschließt die Kehle, lässt das, was man gute Wörter nennt, versiegen. Es macht uns anders. Es streift uns die Wahrheit über, die wir zu lange zu feige waren zu offenbaren, es zeigt uns ungeschminkt, weil alles Puder unter Krokodilstränen doch nichts bringt. Und alles, was wir sind, sind zwei kleine Würmchen in dunklen Ecken, eines im Aufbruch, das andere im Zusammenbruch.

Und so stehen wir, kauern wir in eigener Unfähigkeit. Du blinzelst zu viel in den warmen Schein der Laterne, die einmal in zwanzig Minuten beginnt, gar gruselig zu flackern.

„Kann man sogar messen.“, würge ich hervor, während das Bonbon Abschied mich quält.

„Was?“, fragst du erstickt und vergräbst deine Hände in den Taschen, Taschen der Selbstlosigkeit wohl.

„Das…Flackern.“

Du schenkst mir diesen Blick, dieses Durchdringende, das mir entgegenknallt, wie herzlich wenig das dich interessiert. Scheißdreck. Mann, du haust ab, wer weiß, wohin, und woher du wiederkommst, wie verändert, und was…was aus uns wird. Ich lese es in deinen grau-grünen Augen wie in einem sterbenden Buch. Ich möchte sie küssen, geschlossen, und wir werden dabei nicht rauchen, das haben wir nie. Bei der Vorstellung habe ich dir schon viel zu oft ins Gesicht gelacht. Du hast es genossen, verdammt. Irgendetwas stimmt nicht hier, es schwirrt alles. Mein Kopf schwirrt vor Wut, Trägheit, Liebe. Das Blut schwirrt durch meinen Körper wie sinnloser Saft, was soll er denn am Leben erhalten – ohne dich?

Und Mücken schwirren auch. Mücken schwirren in die Hitze der Lampe und verbrennen am eigenen Leib, lebend, bestialisch. Sie geben sich auf für die Neugier, denke ich pathetisch. Ich bin auch viel zu neugierig, um hier zu bleiben, aber aufgeben würde ich mich lieber für dich.

Die Viecher werden mehr, sammeln sich um die Quelle, bis sie erlischt. Und dunkel. Und kalter Wind im Nacken. Dabei ist Sommer. Abschiedssommer.

Mal wieder Film.

„Ich will nicht“, ächzt du irgendwie, nimmst mich und packst deine Arme um mich, legst den Kopf auf meine Schulter, als würde dir das die Last der Gedanken nehmen.

„Gott.“

„Hast du doch nie dran geglaubt.“

„Doch, wenn du Gott bist.“

Ich weiß ja, ich übertreibe. Meine guten Wörter haben dir noch nie was genützt, du bist wie eine Funktion und reagierst nicht auf etwas, was sich Gefühl nennt. Aber ich will auch nicht, dass du auf die Knie sinkst und meine Schönheit preist, ich will dich hier haben, ewig, und will dieses stille Gefallen in deinem Atem spüren, das Zeichen, dass dir diese Worte soviel bedeuten wie die Welt.

Ich könnte nach Standard sagen, dass ich nicht weiß, wie lange wir so gestanden haben. Weiß ich aber. 21 Minuten, und sie waren so süß wie fruchtiger Ekel-Karamell. 21 Minuten, weil der Bus hupte. Ich ging, und spürte nichts als den leisen Händedruck zwischen den Linien meiner Hand. Abschied, wollte ich schreien.

Abschied.

Abschied.

Abschied.

Und trotzdem gab mir das Wort halt, im gleichen Moment, wie es zerriss.

Abschied.

Ja.

Ich schied von der Bühne deines Lebens, und doch ging ich nie ab.

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