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Interview mit einem der Macher der Shell-Studie: In dieser Jugend steckt sehr viel Potenzial!

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Professor Klaus Hurrelmann ist Sozialwissenschaftler an der Universität Bielefeld und einer der Projektleiter der 15. Shell-Jugendstudie. Deren Ergebnisse werden am 21. September in Berlin vorgestellt. Werden die Shell-Studien-Macher der Generation der heute 16- bis 25-Jährigen einen Namen geben? Nein, sie ist nämlich eine Befragung von 2.500 Jugendlichen zwischen zwölf und 25 Jahren, also eine Momentaufnahme einer Generation. Nur die Interpretation solch einer Studie führt zu Generationsbezeichnungen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Generationsbezeichnungen gibt es zuhauf: „Generation Web“, „Generation Praktikum“. Diese Bezeichnungen sind fragwürdig, man kann sich aber vorstellen, worauf die Erfinder hinweisen wollen. In den USA ist seit kurzem die Rede von den „Millennials“. Ist das nicht ein ganz und gar diffuser Generationenbegriff? Bei „Null Bock“ oder „Web“ klebte man das Etikett an eine kleine Teilgruppe und unterstellte, diese Teilgruppe sei symptomatisch für die ganze Jugend. Sowas funktioniert aber schon seit Jahrzehnten nicht mehr, weil die junge Generation aus verschiedensten Gruppierungen besteht. Deswegen finde ich diese eher von oben betrachtende Einschätzung klüger. Klar, sie ist unschärfer, aber darin liegt auch ein Wert. Man lässt sich nicht so sehr von einzelnen Verhaltensweisen blenden – so hätten wir jetzt schon wieder von der „iPod-Generation“ sprechen müssen. In fünf Jahren aber ist dieser Begriff schon wieder witzlos. Nützlich ist er nur für Marketingstrategen. Es heißt, die Millennials seien die „beste Generation aller Zeiten“. Das ist überzogen. Wenn ich es aber auf die Ausbildung beziehe, muss ich sagen: Soviel Bildungskapital hat noch nie eine Altersgruppe angehäuft. Es handelt sich also um die gescheiteste Generation aller Zeiten? Die Frage ist wohl eher, ob es sich um eine kompetente Generation handelt. Das klingt ja in der Beschreibung der Millenials mit. Nun weiß ich aber nicht, ob diese Jugendlichen etwa stark genug sind, künftig internationale und gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen? Schwer zu sagen. Ich würde mit einer Antwort auch zögern. Wo soll diese Generation gelernt haben, sich mit Konflikten systematischer auseinander zu setzen? Wo soll sie politisches Handwerk gelernt haben? Es ist ja eher das Gegenteil zu beobachten. Diese Altersgruppe zieht sich aus der Gestaltung von politischen Räumen eher zurück . . . Das ist ein häufig gehörter Vorwurf: „Ihr seid so unpolitisch!“ Vorsicht! Es ist eine ziemlich klare Kontur zu erkennen. Wir reden über eine Generation von jungen Leuten, die sich für die Politik in Parteien und Parlamenten sehr wenig interessiert. Seit 1990 hat sich die Zahl der Jugendlichen, die in Parteien Mitglied werden wollen, halbiert. Was aber nicht so geschrumpft ist, ist die Bereitschaft, sich punktuell politisch zu engagieren, zum Beispiel bei Organisationen zu arbeiten, die sich nur mit einem Thema wie Umwelt beschäftigen. Darin sehe ich eine grundpolitische Haltung. Und da die Zahl derer, die sich freiwillig engagieren seit Jahren auf einem sehr hohen Niveau bleibt, muss man vorsichtig sein mit dem Urteil, wir hätten es mit einer ganz und gar unpolitischen Generation zu tun. Solch ein Urteil gilt nur bezogen auf das Interesse an den „verfassten Strukturen einer Demokratie“. Wie ähnlich sind die deutschen den US-Jugendlichen? Die Diskussion um die Millennials bestätigt für mich zum ersten Mal einen Trend, den wir in Europa und vor allem in Deutschland schon seit zehn Jahren haben: die dauerhafte Verlängerung der Lebensphase Jugend. Einerseits verlängert sie sich nach unten: Die Lebensphase Jugend beginnt so früh wie noch nie in der menschlichen Geschichte. Aus irgendeinem Grund, der noch nicht systematisch erforscht ist, stellt sich der Hormonhaushalt früher um und die jungen Frauen sind im Schnitt schon mit zwölfeinhalb Jahren geschlechtsreif – die jungen Männer folgen ein Jahr später. Und die Jugendphase wird auch immer länger, weil sich die beiden Meilensteile „Berufseintritt“ und „Gründung einer Familie“ verschieben. Sie standen immer für den Übergang zum Erwachsenen-Dasein. Wir dachten, das sei eine deutsche Spezialität wegen der überlangen Studienzeiten. Und nun sehen wir diesen Trend auch bei den Amerikanern, die ja eine völlig andere Hochschul- und Arbeitsmarktstruktur haben. Das Erwachsenwerden wird verschoben. Die Jugendlichen warten ab, wägen die Optionen. In dieser Haltung steckt ein kräftiger Schuss Opportunismus. Man bindet sich nur, wenn es unbedingt sein muss, denn vielleicht gibt’s doch noch einen besseren Job, eine bessere Freundin. Dieses Offenhalten ist für viele Eltern sehr befremdlich. Andererseits rücken viele auch näher an die Eltern heran. Oder besser: Sie rücken gar nicht von ihnen ab. Das können wir in der deutschen Jugendforschung schon seit 20 Jahren beobachten. Auch da bin ich fast elektrisiert, dass es in den USA ähnlich zu sein scheint. Ich hatte den Eindruck, dass die lange Nesthockerei in Europa mit dem schlechten Arbeitsmarkt zu tun hat, der in den USA ja anders aussieht. Die Eltern sind aber scheinbar hier wie da die Vorbilder für die Lebensgestaltung. Die Mutter vor allem! Und mit einigem Abstand der Vater. Warum kommt der Vater erst an zweiter Stelle? Die Mutter begleitet jeden Schritt, sie ist der Partner, der einen schützt. Es scheint eine kräftige Sehnsucht nach diesem sozialen Kokon zu geben. Die Sehnsucht nach einer wärmenden Hülle in einer schwer berechenbaren Umwelt. Ist das die Reaktion auf die Umwelt mir ihren tausend Möglichkeiten? Genau. Man bindet sich in urtümlicher Weise an die Person, zu der man vom ersten Lebenstag an, genaugenommen schon im Mutterleib eine intensive Beziehung hatte. Man kann sagen: das ist das Festhalten an einer Orientierungsbasis für das weitere Leben. Wir halten also fest . . . . . . dass es seit 1980 eine erfahrbare Verlängerung der Lebensphase Jugend gibt, weil sich der Übergang in den Beruf immer weiter verschiebt, weil die Optionen so zahlreich sind. In dieser Jugend steckt sehr viel Potential. Wie wird das geweckt? Meine Empfehlung lautet: Macht Euch nicht unglücklich mit einem Verstricken in die Optionen. Lasst Euch auf Optionen ein – im Wissen, dass Ihr die Fähigkeit habt, diese Optionen wieder zu verändern. Und lebt! Leben besteht auch aus „sich festsetzen“ und „sich entscheiden“. Es scheint eine kollektive Schwäche zu sein, dass jeder fürchtet: Habe ich mich einmal für etwas entschieden, dann habe ich mich lebenslang entschieden. Das ist völlig irrational. Vertagt keine Entscheidungen, das macht nur unglücklich. Es sieht ja auf den ersten Blick so aus, als gewinne man mit den Optionen Freiheit hinzu. Auf den zweiten Blick stimmt das aber nicht! Man weiß gar nicht, was Freiheit ist, wenn man den Gegenpol, die Bindung, nie persönlich erlebt hat. Mehr zur Generationen-Debatte auf jetzt.de: + Ein Interview mit Klaus Hurrelmann, einem der Autoren der Shell-Jugendstudie 2006. Er glaubt, in den Jugendlichen zwischen 16 und 25 Jahren stecke sehr viel Potential. + Zu den liebsten Spielzeugen eines Millennials gehören SocialNetworkSites. max-scharnigg hat sich Gedanken über die Mail-Einladungen zu diesen vermeintlich exklusiven Zirkeln gemacht.

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