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Sven-Joachim Otto und der einsamste Moment eines Politikers

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Dass ich mit 29 Jahren als Oberbürgermeister kandidierte, war eher einem Zufall zu verdanken. Bei der Wahl 1999 standen eine ganze Reihe potenzieller Kandidaten zur Debatte. Zum Beispiel der damalige Rektor der Universität Mannheim Dr. Peter Frankenberg, der heute Wissenschaftsminister in Baden-Württemberg ist und noch einige mehr. Am Ende haben alle abgesagt. Der amtierende Oberbürgermeister Gerhard Widder (SPD) hatte erklärt, noch einmal kandidieren zu wollen und da man gegen ihn nur verlieren konnte, wollte niemand mehr antreten. Für mich war das natürlich eine Chance. Ich war erst vor fünf Jahren, da war ich gerade mal 24 und habe noch studiert - in den Gemeinderat gewählt worden, hatte mir innerhalb der Fraktion aber ein ganz gutes Standing erarbeitet und wurde vom damaligen Vorsitzender sehr gefördert. Also habe ich mich intern beworben und der Vorstand hat dann tatsächlich beschlossen, dass ich der Oberbürgermeister-Kandidat der CDU bin. Wir haben dann Wahlkampf gemacht, Plakate gedruckt, einen Prospekt entworfen, für den ich mich mit Nachbarshund und den Kinder meiner Geschwister fotografieren ließ und haben uns zum Beispiel die Aktion „Grillen mit Otto“ ausgedacht. Wer mich auf seine Grillparty eingeladen hat, dem hab' ich ein Fässchen Bier mitgebracht. Es geschah, womit niemand gerechnet hatte: Ich habe im ersten Wahlgang 44 Prozent der Stimmen erhalten, der amtierende OB Widder bekam 46 Prozent. Das war die Sensation überhaupt! Auch der zweite Wahlgang war sehr knapp, doch Widder erhielt knapp über 50 Prozent der Stimmen. Anschließend wurde ich zum Fraktionsvorsitzenden der CDU im Mannheimer Gemeinderat gewählt und alles lief zunächst sehr gut. Wir waren die größte Fraktion im Gemeinderat, haben unsere Wahlversprechen zügig umgesetzt, die Gewerbesteuer gesenkt, Kindergartengebühren halbiert, Spielplätze saniert usw.

Doch dann begann es innerhalb der Fraktion immer mehr zu gähren. Einige Mitglieder waren unzufrieden wegen meines eher konfrontativen Kurs gegenüber der SPD und den Grünen, warfen mir zu großes Machtbewusssein vor, es bildeten sich Flügel und die Situation begann sich über mehrere Runden zuzuspitzen. 2004 wollte ich mich dann nach der Gemeinderatswahl aus der Fraktionsführung zurückziehen und mich stattdessen zum Kämmerer wählen lassen. Die SPD hatte bereits zugestimmt und meine Partei hat mich ohne Gegenstimmen nominiert. Dann kam der 17. September 2004. Das war der Wendepunkt. Ich bin für die Wahl raus gegangen, weil ich mich nicht selber wählen wollte, und dachte, die Wahl ist eigentlich nur Formsache: Die SPD hat 17 Stimmen im Gemeinderat, die CDU 19, einige wählen immer nicht so, wie die Fraktionsspitze sagt, aber dennoch hätte es locker reichen müssen. Ich erhielt aber nur 13 Stimmen. Ich habe in einem gläsernen Sitzungszimmer gewartet und dachte, nach einer Viertelstunde ist alles vorbei. Nach einer Stunde saß ich immer noch da, als plötzlich ein Fotograf an die Glasfront kam und mich fotografierte. Ich habe mich völlig ohnmächtig gefühlt, als ich endlich erfahren habe, was los ist. Das Herz ist mir runtergerutscht, sämtliche Muskeln sind erschlafft, ich war wie gelähmt. Ich wusste nicht, was ich tun und lassen soll. Es ist, als wenn einem der Teppich unter den Füßen weggezogen wird. Man steht absolut im Nichts. Das ist wirklich der einsamste Moment, der einem als Politiker widerfahren kann. Wenn man Heide Simonis nach ihrem einsamsten Moment befragt, wird sie sicher das Gleiche sagen und von ihrer gescheiterten Wahl im Kieler Landtag berichten. Mit demokratischen Entscheidungen kann ich ja leben. Wenn man mich nicht wählt, ist das ja in Ordnung, ich habe schließlich keinen Anspruch drauf- das wäre vermessen. Worum es mir geht, ist Ehrlichkeit. Wenn man mir vorher gesagt hätte, wir wollen dich nicht, hätte ich mich nie beworben. Man ist aber zu mir gekommen und hat gesagt: du bist gut, du kannst das, du bist der richtige Mann und wir haben ohnehin niemand anderen. Es hat auch niemand gegen mich kandidiert. Wenn sie sich wenigstens die Mühe gemacht hätten, einen Gegenkandidaten aufzubauen und der Fraktion zur Abstimmung gestellt hätten! Das Hinterhältige war, dass sie vorne rum gesagt haben, sie wählen mich, und es dann nicht getan haben und bis heute nicht dazu stehen. Aber das Allerschlimmst war: ich musste gute Miene zum bösen Spiel machen. Ich hätte meine Fraktion beschimpfen können, wie unsolidarisch das ist und wie unverschämt, dass die eigene Partei einen auf so eine infame Weise fertig macht. Ich habe dazu aber nichts gesagt und meine Partei geschont, obwohl mir weiß Gott nicht danach zu Mute war. Ich habe meine Kandidatur dann zurückgezogen, weil ich mich dem nicht mehr aussetzen wollte, und habe für mich entschieden, nichts mehr dazu zu sagen. Das Theaterstück war deshalb auch eine Möglichkeit, meine Sicht der Dinge einmal darzustellen. Dieser eine Tag hat mein Leben jedenfalls völlig verändert. Ich habe meinen Beruf gewechselt und erst einmal sehr an mir gezweifelt. Ein guter Freund hat mich dann sogar zu einem Personalberater geschickt, der mit mir durchgegangen ist, ob mit mir vielleicht etwas nicht stimmt. Die haben festgestellt, dass ich mir viel zu viele Vorwürfe gemacht habe und dass ich viel zu idealistisch sei. Das war natrürlich interessant zu hören. Im Nachhinein bin ich ganz froh über diesen Vorfall, weil ich dadurch mehr Freiraum bekommen habe, um die volle Breite des Lebens kennen zu lernen und andere Optionen auszunutzen. Man wird schon ein bisschen betriebsblind, wenn man in der Politik ist und sieht plötzlich auch nur noch da seine Chancen. Ich mache aber auch heute noch gerne Politik, nur auf andere Weise. Foto: cdu-mannheim.de Zum Thema "Einsamkeit" gibt es einen aktuellen Schwerpunkt auf jetzt.de: Dazu sind bereits erschienen: - Ein Text aus der Rubrik Meine Theorie: Einsamkeit sucks. - Eine Handreichung: Wie man stilsicher alleine auf Konzerte, ins Kino oder Theater geht - Ein Interview mit Dominic Stoiber, dem Sohn des bayerischen Ministerpräsidenten.

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