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der beste Augenblick in meinen Leben ist grade eben erst gewesen

Text: haruki
Der Bettbezug ist kalkweiß. Durch Äste und Blätter fällt Sonne in den Raum. Scheint auf sein Haar, in meine Augen. Es fühlt sich an, als ob sich Moleküle aus meinen Armen lösen, meinem Bauch und in den Raum segeln. Auf der Straße schreit ein Kind und eine Kreissäge. Wir liegen aneinander, nur Haut auf Haut und ich bin ganz ich. Und doch so nah an ihm.

Ich habe fast vergessen was Ruhe ist, dass es in mir still sein kann und ohne Sturm. Das hier ist ein gelebter Moment, kein verpasster, alle Sinne sind hier. Und ich rieche ihn, und spüre ihn, und sehe ihn, höre wie er atmet und schmecke ihn immer noch. Es sind seine Eltern die nicht da sind, und die es noch nicht wissen. Sie machen Urlaub, irgendwo dort wo es auch sonnig ist. Er wird es ihnen sagen müssen, es ist kein Geheimnis mehr, aber doch noch diese Woche. Doch noch den nächsten Tag. Es macht nichts aus, verändert nichts, also warum reden. Die letzen Wochen waren schon groß genug. In der Schule und bei meinen Eltern, vielleicht neben ihnen. Sie werden es verstehen, ich glaube es.

Nur jetzt, jetzt nicht. Jetzt ist es nur wir, und er und er und er und er, mit mir daneben.

Seine Haare kitzeln mich an der Nase. Schon seit einer Stunde, aber ich weiß so kann es nicht bleiben.

„So kann es nicht bleiben nicht wahr?“ frage ich ihn.

„Nein.“

„Wird es schwer werden?“ Frage ich ihn.

„Ja!“

„Warum?“ Frage ich ihn.

„Weil wir immer schneller rennen müssen als andere. So ist es eben. Wir können nur froh sein, dass es bein uns nur Holger ist. Andere haben es nicht so gut. Und manche sehen eben anders, das ist die Welt. Nicht alle können mehr sein und jeder sucht sich seine Angst selber aus. Und das hier sind nur wir, es macht die Welt nicht klüger.“ Und ich spüre wovon er redet. Und das auch er Angst hat. Es ist jetzt schon gewiss zwei Monate alt. Und es beginnt immer noch, jedes Mal wenn ich seine Augen sehe. Neu, er, der Junge, mein Junge. Aber ich weiß, dass ich erst 16 bin und eben doch noch nicht viel weiß und dass ich Dinge nicht verstehen kann.

„Pelle, Lieber, hör zu, es ist Ok, fein, ich kann weit laufen, ich bin mir sicher, dass ich weiter laufen kann als ich denke, aber nun muss ich gehen, hörst du. Ich will bleiben, aber du kennst meine Mutter. Ja, bleib einfach liegen und tu so als wäre ich nicht weg ok?“ Ich schlage die Decke zurück, stehe auf und sammle meine Klamotten zusammen. Noch einen Moment lasse ich die Sonne auf meiner Haut, dann schlüpfe ich in meine Shorts, meine Jeans. Und Pelle sieht in all dem weiß viel jünger aus und mein Herz brennt, weil ich ihn verlassen. Zurück, auf das Bett und zu seinen Lippen. Weicher. Viel Weicher.

„Pelle, ich liebe dich.“

„Ich liebe dich.“ Schon jetzt, und es ist erst zwei Monate alt, vielleicht. Nur klar ist es auch. Ich stehe auf, öffne die Tür und drehe mich nicht um, weil ich dann nicht gehen könnte, nicht einmal für fünf Minuten. Und durch den Flur, Treppe hinunter und raus. Auf die Straße, mit Menschen, anderen. Und Leuchtreklamen und Zeitungsständen, mit soviel mehr.

Hey, das hier ist es. Und das eben war es. Es ist ein sonniger Tag, vielleicht werde ich einfach gehen, den ganzen Weg und keine Bahn nehmen, keinen Bus. Nur langsam laufen, meine Schritte zählen. Eins zwei drei, nur Leben, einfach Atmen. Es hat sich nichts verändert.




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