Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Lebensgefühl des Ladendiebstahls" Paul und Paula klauen für Yomango

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

1. "Yomango ist eine Marke, wie Nike. Die großen, internationalen Marken verkaufen keine Gegenstände. Sie verkaufen Lifestyle. Genau das machen wir von Yomango auch", erklärt Aktivist Paul. Yomango ist eine ausgeklügelten Marketing-Satire, die sich um das Klauen dreht, mit dem Motto "Du willst es? Du hast es!". Das "Lebensgefühl des Ladendiebstahls" wird auf "Yomango Dinners" gefeiert, bei denen man ausschließlich gestohlene Lebensmittel isst. Wer selber klauen geht, kann beim "Yomango-Franchising" mitmachen. yomango.net enthält das nötige Promotion-Material zum Gratis-Download, zum Beispiel Aufnäher mit Yomango-Logo, mit denen man das Diebesgut bestücken soll. Schließlich müssen Yomango-Artikel gut erkennbar sein. Nur so kann sich die Marke weiter verbreiten.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

2. Erdacht wurde Yomango 2002 in Barcelona, in einem Laden der spanischen Textilkette "Mango", wo die Gründungsmitglieder damals arbeiteten. Sie kamen auf den Geschmack, Klamotten aus dem Lager zu stehlen, zunächst einfach nur, weil ihnen die Kleidung gefiel. "Doch dann kam bei uns die Idee auf, dass man sich für das Klauen generell nicht schämen sollte. In unserer Clique gab es Leute, die waren politisch engagiert, andere haben Punkmusik gemacht und wieder andere zeitgenössische Kunst. Alles weitere hat sich dann von selbst ergeben." Der ehemalige Arbeitgeber hat Spuren hinterlassen. Alle männlichen Aktivisten nennen sich "Paul", alle weiblichen "Paula", nach dem Gründer der Mango-Kette Paul Bannister. Das Wort "Yomango" spielt auf Mango an, aber bedeutet im spanischen Slang zugleich auch "ich klaue". 3. Seit der Gründung vor vier Jahren ist viel passiert. "Franchise-Netzwerke" vertreiben den Klau-Lifestyle mittlerweile auch in Chile, Argentien und Deutschland, mit eigenen Internetseiten und Performance-Aktionen. "Eines Tages sind wir in Deutschland auf das 'Umsonst-Netzwerk' gestoßen, das ähnliche Sachen gemacht hat wie wir. Eine Kooperation war da naheliegend. Manchmal nennt sich 'Umsonst' auch 'Yomango'. Die Verbreitung von Yomango entwickelt sich sehr natürlich, fast wie von selbst." Seit einigen Tagen ist auf www.yomango.net ein Artikel zu lesen über "Yomango Alemania", in dem eine spanische Zeitung über die Hamburger Plünderungs-Aktion vergangene Woche berichtet: "Un grupo antisistema roba en supermercados como Robin Hood". Wer eine international aufgestellte Marke betreibt, braucht offensichtlich auch ein global angelegtes Marketing.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

4. Spektakuläre Aktionen gehören zum Programm. Die argentinische Fraktion zelebrierte einen "Yomango Tango". Am Jahrestag des Aufstands in Argentinien "befreiten" Aktivisten Champagnerflaschen aus einem Supermarkt. Hierfür nutzten sie das Wirrwarr einer Tango-Performance, die sie dort unangekündigt veranstalteten. Während der Aktion skandierten sie durch Megaphone "contra el capitalismo!". Die erbeuteten Flaschen öffneten die Yomangos anschließend genüsslich in einer der Banken, die für die Wirtschaftskrise des Landes mitverantwortlich gemacht werden. Auch der deutsche Yomango-Arm ist rege. In der Vergangenheit hat er mehrfach mit großen Gruppen "gemeinsame Besuche in Schwimmbad und Kino" (natürlich ohne Eintrittskarte) unternommen. Die kalkulierte öffentliche Wirkung haben die Aktionen nicht verfehlt. Lokalzeitungen berichteten irritiert-interessiert in der Sparte "Vermischte Meldungen" über die Vorkommnisse. 5. Im Kern ist Yomango jedoch eine stille Angelegenheit. Es geht um geräuschloses, unentdecktes Klauen. Hierfür bieten "Klauworkshops" praktische Unterstützung, auf denen Gratis-Schnittmuster verteilt werden für Umhängetaschen mit verstecktem doppelten Boden. Außerdem werden Magnet-Diebstahlsicherungen thematisiert, die klobigen Plastikknöpfe, die an Textilien angebracht sind und beim Ladenausgang Alarm auslösen. In einem dieser Workshop hält eine "Paula" einen starken Magneten an eine solche Sicherung, die noch an einem Pulli-Ärmel baumelt. Die Sicherung zerfällt schnöde in zwei Teile. 6. "Wir wollen keiner einzelnen Person Schaden antun. Wir sind nur gegen die großen Konzerne. Manche meinen, wenn man klaut, heben die Konzerne die Preise. Aber das stimmt nicht. Der Diebstahl ist in die Preise doch schon eingerechnet", behauptet Paula. Eine starke These. Aber selbst wenn dies so sein sollte: Versinkt eine Gesellschaft ohne Eigentumsschutz nicht im Chaos? "Wegen uns klaut doch keiner. Wir zeigen nur, was ohnehin schon Realität ist. Wir haben den Ladendiebstahl nicht erfunden, wir machen ihn bloß sichtbar", sagt Paula, und bleibt eine Antwort schuldig. 7. Die Zeiten sind gut für Yomango. Die Medien haben angebissen, und berichten auch überregional über die Klau-Künstler. Mit Lust an der Sensation lassen sich die Medien ein Stück weit auf die Bewegung ein, geben ihr Öffentlichkeit, auch wenn sie sie oft als Studentenulk verniedlichen. Für Yomango sind die Medienauftritte ein Balanceakt. Seit einem Jahr ist der Verfassungsschutz dem Umsonst-Netzwerk auf den Fersen. Trotzdem gelingt es mit Ausdauer und Glück, den Kontakt zu einem Umsonst-Aktivisten aufzubauen. Eigentlich möchte ich ein Interview mit Paul oder Paula aus Barcelona führen, über die Hamburg-Plünderung aus europäischer Yomango-Sicht. Schwierig, sagt mein Kontakt. Ein Telefoninterview sei gefährlich. Einer der Geheimdienste, der deutsche oder spanische, könnte das Gespräch anzapfen. Gut, aber könnte ich nicht bei einer Telefonzelle in Barcelona anrufen?, schlage ich vor. "OK, ich gebe deine Nummer einem Mittelsmann, der kennt einen, der einen kennt, und der kennt die, die du sprechen willst. Du wirst angerufen", lautet die Antwort. Doch offensichtlich können Zeiten, die gut laufen, zugleich auch schwierig sein. Mein Telefon bleibt stumm. Fotos: Yomango.net

  • teilen
  • schließen