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Mies aufgelegt: DJ Soulrabbi

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Mein schlimmster DJ-Abend liegt acht Jahre zurück: Ein meiner weiblichen Stammgäste im Wuppertaler Club 45 hatte mich bekniet, doch bitte, bitte, auf der Abschlussparty ihrer Heilpraktikerschule aufzulegen. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen: Die wollten doch bestimmt nur Mainstream hören, den DJ gängeln und mit ihren mitgebrachten Kassetten quälen ... Doch all meine Argumente griffen nicht. Und nach ein paar Dutzend Schmeicheleien befand ich mich mit zwei Technics, Boxen und Plattenkoffer auf dem Weg zur Heilpraktikerschule nach Bochum. Ich hatte zwei afrikanische Freunde mitgenommen: Gil, ein Massai mit Ökotrophologie-Diplom und Samuel, Fußballprofi beim WSV Wuppertal. Beide in Sachen Rare Groove, Reggae und Soul unterwegs und zuverlässige Co-DJs in allen Lebenslagen. Schon beim Auspacken der Anlage fiel meinen Begleitern die Kinnlade runter: Im Schulsaal lagerten überall Gebisse, Knochen und überdimensionale Schädel. An den Wänden hingen Schautafeln, die Innereien und Nervenbahnen des menschlichen Körpers zeigten. „Wir sollten lieber abhauen“, raunte Gil halb belustigt halb verschreckt. „Unheimlicher Ort für eine Party“, pflichtete ihm Samuel bei.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Für die DJ-Anlage wurde schließlich notdürftig ein Eck freigeräumt. Mehrere hundert frischgebackene Heilpraktiker und ihre Kinder aber kümmerten sich kaum um unsere Anwesenheit. Alle halbe Stunde kam der Veranstalter vorbei: „Macht mal kurz aus – wir haben ein Theaterstück.“ So kamen wir in den Genuss einer ganzen Reihe Sketche über Holzhammer-Therapien, sackhüpfende Ärzte und Patienten, denen Moos aus den Ohren wächst. Zwischendurch immer wieder ein neuer Versuchsballon am DJ-Pult: Auf was stehen die hier eigentlich? „Love And Happiness“ von Al Green vielleicht? Keine Reaktion. Nicht mal eine mitklackernde Bierflasche. Die digitale Zeitanzeige sagte fünf Minuten – für uns aber dauerte das Stück gefühlte zwei Stunden. Das Gleiche bei Fela Kuti, Gregory Isaacs und Sam & Dave. Selbst eine hundertprozentige Partynummer wie „Le Freak“ von Chic verpuffte wie ein Umbaugeräusch zwischen zwei Vorhängen. Lediglich Gil und Samuel zeigten die übliche Begeisterung. Wahrscheinlich fühlten sie mit, wie sehr ich unter meiner Wirkungslosigkeit litt, und tanzten deshalb umso wilder um meine Technics herum. Doch selbst ihre Einlagen konnten mir nicht den Blick auf die Realität verstellen. Wir waren praktisch überflüssig. Endlich: Ein Mädchen in Birkenstock-Schuhen und Strickpullover kam aufs DJ-Pult zugehüpft. Vage Hoffnung. Würde diese Heilpraktikerin den Bann brechen? Ihre Kollegen gar zum Mittanzen bewegen? Sie in mein Ohr: „Hast du ‚die Maschine’ von Bobby Brown“? – Klar, die hatte ihr Freund vorgeschickt. Wegen „James Brown: Sex Machine“. Verdammt! Warum hatte ich bloß diese todsichere Nummer aus meinem Plattenkoffer verbannt? Nicht, dass ich James Brown verkannte – aber mein Selbstrespekt als Soulkenner hatte es geboten, lieber zwei Dutzend unbekanntere und weniger abgenudelte Nummern einzupacken. „Das ist auch James Brown“, sagte ich. „Wart’s ab ... genauso guter Groove.“ Die Dame aber wandte sich enttäuscht ab. Um ihren Kollegen zu berichten, dass ich „die Maschine“ nicht dabei hatte. Aus, vorbei. Ich war bei der Heilpraktiker-Prüfung endgültig durchgefallen. Gil und Samuel aber tanzten – „die Maschine“ hin oder her - noch gute vier Stunden ihren einsamen Tanz, während die gesammelten Schädel, Gebisse und Herz-Kreislauf-Graphiken um mich herum zur Staffage einer musikhassenden, DJ-fressenden Geisterbahn verschmolzen. „Kumpel“, versuchte mich Samuel beim Abbau zu trösten, „geh nie zu einem Heilpraktiker. Wenn die keinen James Brown verstehen, dann verstehen die gar nichts.“ Klang überzeugend. Trotzdem habe ich „die Maschine“ wieder in meinen Plattenkoffer gepackt. Nur für alle Fälle. Protokoll:

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